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NATO-Ausbildungsmission
Womit die afghanische Armee zu kämpfen hat

Der längste NATO-Einsatz der Geschichte, an dem die Bundeswehr derzeit mit rund 900 Soldaten beteiligt ist, geht in die Verlängerung. Mit offenem Ende. Vom Rückzug aus Afghanistan redet keiner mehr. Die NATO investiert weiter Milliarden in den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte. Ein Besuch an der Nationalen Verteidigungsuniversität in Kabul.

Von Sandra Petersmann | 12.08.2016
    Afghanische Soldaten hocken vor Plastikspielzeug im Sand.
    Strategiespiel im Sand - ein Besuch bei den Offiziersanwärtern der afghanischen Armee. (Deutschlandradio/ Sandra Petersmann)
    Nach dem Englischunterricht am Morgen geht es raus zum Strategiespiel. Mohammed Qaiz ist Offiziersanwärter. Er verteilt blaue und gelbe Plastiksoldaten im Sand des Trainingsgeländes. Die Gelben sind seine Jungs, die blauen sind die Taliban. Dann stellt er ein paar gelbe Plastikpanzer dazu.
    "Als zukünftige Offiziere müssen wir unsere Soldaten disziplinieren und aufklären. Wir bringen sie in Gefechtsstellung für unsere geplante Operation und dann greifen wir an, wie wir es von unseren Trainern gelernt haben", erklärt Qaiz das Strategiespiel im Sandkasten. Seine Trainer sind Afghanen, die von der NATO ausgebildet worden sind. Von Amerikanern, Briten und auch von Deutschen.
    Viele Soldaten desertieren oder wechseln die Seiten
    Die NATO-Staaten investieren rund fünf Milliarden US-Dollar pro Jahr in den Aufbau der afghanischen Armee und Polizei. Doch die Verlustraten sind hoch. Allein im vergangenen Jahr verloren die Afghanen mehr Sicherheitskräfte als die gesamte NATO-Mission in den vergangenen 15 Jahren. Korruption behindert den Nachschub und die Auszahlung der Gehälter. Kämpfende Soldaten klagen über Hunger und fehlende Munition. Viele desertieren oder laufen über – während jedes Gefecht und jeder Selbstmordattentäter das Vertrauen der Afghanen in ihren Staat weiter zerstören.
    "Wenn die Taliban und der Islamische Staat keine Helfer in der afghanischen Regierung haben, wie können sie uns dann mitten in Kabul angreifen?" fragt ein verzweifelter Vater, der bei einem Selbstmordanschlag Ende Juli seinen Sohn verloren hat.
    Kommandeur Jalandar doziert
    Generalmajor Jalandar Shah Behnam blickt aus dem Fenster. Sein Büro liegt auf einem Hügel. Von hier oben hat er einen Panorama-Blick auf das weitläufige Trainingsgelände für die Offiziere der afghanischen Armee. Jalandar ist der Kommandeur der Nationalen Verteidigungs-Universität in Kabul. Hier wird das militärische Führungspersonal akademisch gefördert und in Kriegsführung geschult.
    Generalmajor Jalandar Shah Behnam, Kommandeur der Nationalen Verteidigungs-Universität in Kabul
    Generalmajor Jalandar Shah Behnam (Deutschlandradio/ Sandra Petersmann)
    "Den meisten Kämpfern da draußen geht es nicht um die Taliban oder um den IS oder um ideologische Terrorziele. Denen geht es nur ums Geld", doziert Generalmajor Jalandar. "Unserem Land fehlen Alternativen. Es fehlen Bildung und Arbeitsplätze. Da draußen kämpfen Tausende unverantwortliche Männer für kriminelle Zwecke, weil sie Geld bekommen", klagt Kommandeur Jalandar – und spricht dann lange über die Macht der Drogen- und Menschenschmuggler, die verhindern wollten, dass sich Afghanistan stabilisiere, weil das ihr Geschäft kaputtmachen würde.
    Wenn Feinde wie Zivilisten aussehen
    "Eins unserer größten Probleme ist, dass unsere Feinde wie Zivilisten aussehen. Sie mischen sich unter die Bevölkerung um uns zu töten", schließt Kommandeur Jalandar seinen Vortrag.
    Er ist seit 35 Jahren Soldat. Es waren 35 kriegerische Jahre. Auch heute wird in 31 von 34 afghanischen Provinzen gekämpft. Es ist ein Schlachtfeld ohne Fronten, auf dem Taliban, Al Qaida, der selbsternannte IS und dutzende marodierende Milizen und kriminelle Banden konkurrieren. Die NATO hat ihren Rückzug gestoppt. Die Amerikaner fliegen wieder verstärkt Luftangriffe. Die vergangenen 15 Jahre sollen nicht umsonst gewesen sein. Ein Ende der NATO-Mission ist nicht in Sicht.