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NATO-Flugzeuge über Litauen
Der Klang der Freiheit

Wenn über Litauen wieder einmal der Lärm von NATO-Kampfjets zu hören ist, dann wird das von den Bewohnern weniger als Belästigung, sondern eher als Beruhigung empfunden. Denn die Flugzeuge steigen auf, wenn russische Militärflugzeuge sich mal wieder der Grenze nähern. Angesichts solcher Provokationen ist die schützende Hand der NATO gern gesehen.

Von Kai Küstner | 27.07.2015
    Ein Kampfflugzeug vom Typ F-16
    Ein Kampfflugzeug vom Typ F-16 (imago/eibner)
    Wenn ein F-16 Kampfjet über die Luftwaffenbasis Siauliai in Litauen jagt, dann ist das für so manchen Anwohner hier einfach nur - Lärmbelästigung. Doch für andere hat es fast etwas Musikalisch-Beruhigendes: "Ich habe den Menschen immer gesagt: Wir müssen den Lärm der Kampfflugzeuge als den Klang der Freiheit betrachten." So drückt es der Kommandeur der Luftwaffenbasis aus. Glaubt man Oberst Raklevicius, dann hat er inzwischen viele seiner Landsleute überzeugt. Oder war es vielleicht doch eher das Verhalten Moskaus seit der Ukraine-Krise? "Russland ist unser Nachbar. Aber es hat Litauen schon vor Jahren klargemacht: Mit kleinen Ländern geben wir uns nicht ab. Die respektieren kleine Länder einfach nicht."
    Also braucht das winzige Litauen dem misstrauischen Kommandeur zufolge unbedingt den Schutz der mächtigen NATO - und deren Kampfjets: die schickt die westliche Allianz - nach einem zermürbenden Afghanistan-Einsatz ohnehin auf einer Art Sinnsuche - gern. 2004 traten die baltischen Staaten dem Bündnis bei. Seitdem überwacht die NATO den Luftraum der drei Ex-Sowjet-Staaten - fliegt am Himmel über'm Baltikum sozusagen Streife. Die Zahl der Jets, die sie dafür insgesamt einsetzt, hat sie seit der Ukraine-Krise von vier auf 16 erhöht.
    Gefährlich auch für die zivile Luftfahrt
    Innerhalb von 15 Minuten - so lautet die Vorgabe hier auf der Basis - müssen es die wachhabenden Piloten im Alarmfall schaffen, in der Luft zu sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das heißt: Wer oder was da oben auf einen wartet, erfährt man bei einem Einsatz oft erst in der Luft: "Uns wird gesagt, in welche Richtung und in welcher Höhe wir fliegen sollen. Dann halten wir Kontakt zur Bodenkontrolle. Die sagen uns, was zu tun ist", berichtet dieser norwegische Pilot, der seinen vollen Namen nicht nennen darf. Ein typischer Auftrag dieser Tage: Ein unbekanntes Flugobjekt bewegt sich - was erst mal nicht illegal ist - dicht heran an den baltischen Luftraum. Aus Sicherheitsgründen steigen dann die NATO-Flieger auf, um den Unbekannten zu "verhören", wie es im Flieger-Fach-Jargon heißt: "Wir versuchen es über Funk, wackeln mit den Flügeln und sehen dann, ob er auf unseren Kurs einschwenkt."
    "Wir winken uns zu. Das war’s dann normalerweise." Alles laufe von Pilot zu Pilot fast freundschaftlich ab. Erklärt der Norweger cool. Das, was andere den Kalten Krieg in der Luft nennen, hört sich bei ihm wie eine willkommene Abwechslung an. Dass Flieger aggressiv in NATO-Luftraum eindringen, kommt praktisch nicht vor. Aber: für den Fall der Fälle, berichten andere Piloten bei abgeschaltetem Mikrofon, drehe man sich dann in der Luft mal kurz auf die Seite. Um dem Gegner zu zeigen, was man so zu bieten hat: Unter den Flügeln hängen nämlich die Raketen. Man will ja gewappnet sein - was immer auch passiert: "Die russische Luftwaffe hatte die Zahl ihrer Übungsflüge, mit denen sie das Aufsteigen von NATO-Jets provozierte, im letzten Jahr verdreifacht. Und 2015 war bislang auch nicht eben ruhig. Dies sei aber, erklären Luftfahrtexperten, weniger ein militärisches Problem - als vielmehr eine Gefahr für Passagiermaschinen."
    Während Fluglotse Alminas, ein Zivilist, im Tower der Luftwaffenbasis hilft, den Verkehr am Himmel zu regeln, hat er einen Radarschirm mit ungefähr 150 grünen Punkten vor sich: so viele Maschinen - zivile und militärische - teilen sich den Luftraum gerade über Baltikum und Ostsee. Es ist unvorstellbar eng da oben. Die russischen Maschinen würden sich, sagt der Lotse, meist unangekündigt und mit abgeschaltetem Transponder hinein in dieses Gewimmel begeben: "Ein Transponder zeigt die Höhe an, die Geschwindigkeit, er sendet Information über das Flugzeug. Er gibt auch Warnungen ab, wenn eine andere Maschine zu nahe kommt."
    "Russland ist eine unberechenbare Nation"
    Wie ein Blindflug sei das, was die russischen Militärs täten, klagt der Lotse. Und sehr gefährlich. Kommen die dem NATO-Luftraum zu nah, lässt das Bündnis seine eigenen Jets aufsteigen. In Litauen tun sie das ironischerweise von jener Basis in Siauliai, die bis 1991 den Sowjets gehörte. Und auf der jetzt ein Mann das Kommando führt, der seine Ausbildung einst in Russland genoss. Sollte Moskau seinerzeit je intensiv versucht haben, den ideologisch für die sowjetische Sache zu gewinnen - viel hängen geblieben ist davon nicht: "Russland ist eine unberechenbare Nation. Die tun, was immer sie wollen - ohne eine Erklärung abzugeben, warum sie das tun."
    Der schützenden NATO-Hand sei es zu verdanken, dass das so nahe Russland mit der seinigen nicht nach weiteren Ex-Sowjet-Staaten greife, meint der Oberst. Dass ein Offizier so etwas sagt, ist keine Überraschung. Viele Zivilisten aber im Baltikum sehen das genauso. Sie haben auch nichts dagegen einzuwenden, dass die NATO derzeit so viele Manöver in Europa abhält wie selten zuvor. Viele davon dicht an der russischen Grenze. Das erklärt auch, warum allzu viel Kampfjetgeräusch von vielen Menschen weiter westlich in Europa mindestens als Lärmbelästigung, wenn nicht gar als Provokation Moskaus wahrgenommen wird. Von Osteuropa aber als Klang der Freiheit.