Im Internet gelten in Deutschland dieselben Gesetze wie im analogen Leben. Zum Beispiel ist das Leugnen des Holocaust strafbar. Ebenso Volksverhetzung, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten oder Verleumdung. Weil aber trotzdem viele illegale Aussagen im Netz zu finden sind, gibt es schon seit dreieinhalb Jahren ein Gesetz mit dem sperrigen Namen Netzwerkdurchsetzungsgesetz - kurz NetzDG. Es soll dafür sorgen, dass Facebook, Twitter und Co. illegale Aussagen möglichst schnell aus dem Netz nehmen.
Doch das funktioniert meist nicht, meint Marc Liesching, Medienrechts-Professor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er hat das Gesetz untersucht.
Marc Liesching: Wir haben eine Auswertung gemacht, zum einen der Angaben, die die sozialen Netzwerke Facebook, YouTube, Twitter selber machen - Halbjahresberichte, zu denen sie nach dem NetzDG verpflichtet sind. Wir haben darüber hinaus auch noch Monitoringergebnisse bekommen, vom Bundesamt für Justiz, das selber testweise strafbare Inhalte eingereicht hat in die Sozialen Netzwerke, um dann zu schauen, ob die auch tatsächlich löschen.
Wir haben das verglichen mit den Löschungen, die sie tatsächlich nach ihren eigenen Community-Standards vornehmen und das zahlenmäßig gegenübergestellt dem, was nach dem NetzDG gelöscht wird. Und kommen zu dem Ergebnis, dass die praktische Relevanz des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sehr beschränkt ist. Vor allem verglichen mit den noch überwiegend nach AGB, also nach Community-Standards durchgeführten Löschungen.
Christoph Sterz: Aber ist das nicht letztlich egal, wie genau die strafbaren Inhalte gelöscht werden - selbst wenn das nach den Hausregeln geht? Hauptsache, sie sind weg - oder nicht?
Marc Liesching: Das könnte man so sagen. Aber hier kommt jetzt die Overblocking-Problematik rein - eine Kritik, die bereits 2017 mit Inkrafttreten des NetzDG formuliert wurde, etwa vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags oder auch von Hans-Jürgen Papier, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Die haben nämlich gesagt, dass genau diese NetzDG Struktur, also schnelle Löschungen, die bußgeldbewehrt sind im Falle, dass man sie nicht vornimmt, dass die zu einem Anreiz führen, dass die sozialen Netzwerke in Zweifel mehr löschen, als sie eigentlich nach dem Strafrecht müssen. Und das geht dann zu Lasten der Meinungsäußerungsfreiheit.
Jetzt liegt natürlich die Vermutung nahe, dass diese Mehrlöschungen passieren, dass sie nur gleichsam durch diese allgemeinen Geschäftsbedingungen durch die Community-Standards etwas institutionalisiert worden sind. Und die zweite Frage ist dann, wenn wir so eine AGB-Löschung haben, dass wir sagen, 99,9 Prozent wird nach AGB gelöscht und nach dem NetzDG fast nichts mehr. Und das Bundesamt für Justiz, das zuständig ist fürs NetzDG, macht im Grunde auch nichts - seit drei Jahren gab es kein einziges Bußgeldverfahren mehr. Da kann man schon die Frage stellen, inwieweit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz das richtige Mittel ist.
Christoph Sterz: Sie stützen Ihre Aussagen ja unter anderem auf diesen Bericht im Auftrag des Bundesamts für Justiz. Da wurde dann beispielsweise ein Post mit einem Hakenkreuz bei Facebook eingestellt und geguckt, ob das wirklich innerhalb von 24 Stunden von Facebook gelöscht wird. Das ist ein offizieller Bericht, den es aber in der Öffentlichkeit bisher nicht gegeben hat. Verhindert das Bundesamt für Justiz vielleicht sogar eine größere Debatte über das NetzDG?
Marc Liesching: Erstmal ist es nicht Aufgabe des Bundesamts, eine Debatte zu evozieren in diesem Bereich. Es ist ja eigentlich nur eine NetzDG-Bußgeldbehörde. Aber es ist schon richtig: Das Bundesamt für Justiz hat jetzt über zwei Jahre hinweg solche Monitoring-Testberichte beauftragt und da an eine Tradition angesetzt, die ja schon vor dem NetzDG angefangen hat. Diese ersten Monitoringberichte gab es schon vor dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, und diese Ergebnisse wurden damals 2017 gerade zur Begründung der Notwendigkeit eines NetzDG hergenommen.
Die Monitoringberichte, die jetzt vom Bundesamt für Justiz beauftragt worden sind, haben Zahlen ergeben, die zumindest im Mittelwert noch unter den Entfernungsquoten von 2017 liegen. Und vor dem Hintergrund ist es natürlich ein bisschen delikat gewesen, dass das Bundesamt für Justiz diese Monitoring Ergebnisse nicht von sich aus herausgegeben hat. Wir haben danach gefragt, uns wurde das dann auch erst verweigert, und erst nach Stellen eines Antrags auf Herausgabe nach dem Informationsfreiheitsgesetz wurden uns diese Berichte zur Verfügung gestellt. Mittlerweile sind die jetzt auch bei Netzpolitik.org veröffentlicht.
Christoph Sterz: Das klingt ja alles fürs Gesetz nicht so richtig gut. Aber immerhin hat es gerade ein Update beim NetzDG gegeben. Letzten Freitag hat der Bundesrat etwas auf den Weg gebracht. Unter anderem geht es darum, dass jetzt nicht mehr einfach nur gelöscht werden darf, sondern dass diese Inhalte weitergegeben werden müssen an die Staatsanwaltschaften. Außerdem wird in der EU gerade der Digital Services Act vorbereitet - von der Gesetzgebung her etwas Ähnliches. Wird am Ende doch alles irgendwie gut?
Marc Liesching: Eine Novellierung eines Gesetzes heißt ja noch nicht automatisch, dass es dann besser wird. Die Erfahrung haben wir ja in vielen Bereichen gemacht. Meine persönliche Prophezeiung ist, dass die Sozialen Netzwerke das wahrscheinlich nicht umsetzen wollen, und dass dann auf dem Klageweg die Rechtmäßigkeit dieser Novellierungen überprüft werden wird. Hier steht dann natürlich vor allem das europäische Herkunftsland-Prinzip im Mittelpunkt, wonach die ja überwiegend in Irland sitzenden Anbieter gar nicht verpflichtet sind, deutsches Recht zu beachten. Und das wird dann vermutlich demnächst vor dem Europäischen Gerichtshof landen und überprüft werden. Und auch da ist es völlig offen, wie es ausgeht. Es kann sein, dass dieses NetzDG dadurch letztlich den Sargnagel erhält. Und dann wird der Blick nach Europa, insbesondere zum Digital Services Act, noch virulenter werden.