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Neue Süchte, neue Probleme

Rauchen, Glücksspiel, Internet - immer andere Formen der Sucht kommen auf. Dadurch plagen sich mehr Menschen mit diesen Erkrankungen herum als noch vor 20 Jahren. Doch nicht allen Süchtigen kann auf die gleiche Art geholfen werden.

Von Cajo Kutzbach | 18.01.2011
    Viele Jahre lang gab es keine großen Fortschritte bei der Suchbekämpfung, weil man nach Wegen suchte, die bei allen Süchtigen gleichermaßen helfen sollten. Das wurde erst besser, als man die Süchtigen genauer untersuchte und verschiedene Gruppen von Süchtigen fand. Seither geht es voran, berichtet Prof. Karl Mann, Lehrstuhlinhaber für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, und zugleich Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchtherapie:

    "Wir versuchen jetzt Untergruppen genau zu definieren, für die dann eine bestimmte Maßnahme in der Psychotherapie oder auch in der Pharmakotherapie wesentlich effektiver ist als für die gesamte Gruppe von Betroffenen. Das funktioniert tatsächlich. Also wir bekommen dann etwa doppelt so hohe Effektstärken. Das hat schon hier Herr Batra in Tübingen probiert mit Rauchern, und wir in Mannheim haben eine sehr große Studie mit Alkoholikern gemacht, wo wir zeigen können, dass das relativ gut funktioniert."

    Die genauere Analyse der Krankengeschichte und der psychischen und biologischen Zusammenhänge erlaubte auch in der Forschung Fortschritte, zwang aber auch zu erkennen, dass es neue Süchte gibt:

    "Wir haben natürlich jetzt relativ klar definiert und gut belegt leider auch die sogenannte Glücksspielsucht, die ja doch einige jetzt auch betrifft, und wo wir eben auch neue therapeutische Möglichkeiten entwickeln müssen für diese Betroffenen. Wir sprechen zum Teil auch von Internetsucht, also viele, gerade Jugendliche, die irrsinnig viele Stunden im Internet verbringen und ihr eigentliches Leben dabei verpassen und so weiter. Also da kann man durchaus sagen, dass sich mehr Menschen jetzt mit Suchtproblemen herumplagen als vor 20 Jahren etwa."

    Allerdings haben Süchtige heute auch bessere Chancen Hilfe zu finden, zumindest in Baden-Württemberg:

    "Wir haben hier in Baden-Württemberg die Situation, dass landesweit sogenannte kommunale Suchthilfenetze eingerichtet wurden. Dort arbeiten die Beratungsstellen zusammen mit den Kliniken, zusammen mit den niedergelassenen Ärzten, mit den Ambulanzen. Und diese Zusammenarbeit ist verbindlich geregelt. Das heißt eine Beratungsstelle, die daran nicht teilnimmt, wird in ihren Zuschüssen gekürzt."

    Das Hilfsangebot wurde nicht nur besser vernetzt, sondern auch ergänzt:

    "Zusätzlich hat man dabei aber auch mal geschaut, was fehlt denn noch, und ist darauf gekommen, dass so genannte Tageskliniken noch, wo also Patienten am Tag sechs oder sieben Stunden behandelt werden und dann abends wieder nach Hause gehen, für Suchtpatienten eingerichtet werden sollten. Das ist in Absprache, zum Teil auch gegen den Widerstand von Krankenkassen passiert, ... "

    ...die sich heute noch weigern, Tabaksucht als Krankheit anzuerkennen.

    Die neuen Süchte bringen auch neue Probleme mit sich: Spielsüchtige fallen lange überhaupt nicht auf, und Internetsüchtige kann man nicht völlig internetabstinent machen, da sie sonst in vielen Berufen nicht arbeiten könnten. Man greift dabei mit Erfolg auf Erfahrungen mit Therapien bei Essstörungen zurück, um den Patienten die Kontrolle ihres Verhaltens wieder beizubringen.

    Über 60 Milliarden, also mehr als 750 Euro pro Kopf und Jahr, kosten allein Alkohol und Tabakkonsum. Ganz zu schweigen vom Leid der Betroffenen und ihrer Familien. Es lohnt sich also, Geld gezielt in die Vorbeugung zu stecken. Prof. Karl Mann nennt als Beispiel eine Anhebung der Steuern auf Europäisches Niveau:

    "Wenn wir die Alkoholsteuern um 30 Prozent erhöhen würden, nämlich genau auf diesen Mittelwert in Europa, dann würde der Konsum bei den Jugendlichen um 90 Prozent gesenkt werden."