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Ukraine
Das sind die Streitpunkte des neuen Mediengesetzes

Mit dem neuen Mediengesetz erfülle man Forderungen der EU, heißt es aus der Partei von Präsident Selensky. Kritiker warnen dagegen vor zu viel Einflussmöglichkeiten für seine Regierung. Etwa, selbst Propaganda im TV verbreiten zu können.

Von Florian Kellermann | 15.12.2022
Das Europäische Parlament zeichnet das ukrainische Volk mit dem Sacharow-Preis aus - Präsident Wolodymyr Selenskyj ist live dabei via Videoschalte
Das Europäische Parlament zeichnet das ukrainische Volk mit dem Sacharow-Preis aus - Präsident Wolodymyr Selenskyj ist live dabei via Videoschalte, während in der Ukraine ein umstrittenes Mediengesetz beschlossen wird (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Ukraine Presidency / Ukrainian Pre)
Das Gesetz soll der Ukraine den Weg in die EU ebnen. Die EU-Kommission hatte eine Reform der Medienlandschaft gefordert. Denn diese wird von sogenannten Oligarchen dominiert. Reiche Geschäftsleute versuchen, vor allem über Fernsehsender die Politik mitzugestalten, in ihrem Sinn.
Die Abgeordnete Jewhenija Krawtschuk von der Regierungspartei "Sluha Narodu", „Diener des Volkes“, erklärte im Fernsehsender „1+1“: „Das ist einer von sieben Schritten, die wir tun müssen, um offizielle Beitrittsgespräche mit der EU zu beginnen. Die EU hat uns aufgetragen, den Einfluss von Privatpersonen auf die Medien zu verringern. Außerdem soll es nun eine starke, unabhängige Aufsichtsbehörde geben. Das ist der Nationale Rundfunkrat.“
Diesen Rat gab es schon bisher. Aber er bekommt nun neue Vollmachten. So kann er künftig selbständig Geldstrafen aussprechen, falls ein Massenmedium seiner Ansicht nach gegen Gesetze verstößt.

Zu viel Macht beim Präsidenten?

Oppositionspolitikerinnen und -politiker sehen darin eine Gefahr. Denn die Mitglieder des Rundfunkrats werden zur Hälfte vom Präsidenten und zur Hälfte vom Parlament bestimmt. Und dort wiederum stellt die Partei „Diener des Volkes“ von Präsident Wolodymyr Selenskyj die größte Fraktion. Die Gefahr: Der Rundfunkrat könnte parteiische Entscheidungen treffen.
Das Kiewer Institut für Massenmedien, das die ukrainische Medienlandschaft beobachtet, weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass eine derartige Aufsichtsbehörde in EU-Ländern Standard sei. Es fordert allerdings, bei der Auswahl der Kandidaten für den Rundfunkrat künftig höhere Anforderungen zu stellen.
Eine weitere Neuerung: Auch Online-Medien werden in der Ukraine nun juristisch als Medien gelten. Walentyn Kowal, stellvertretender Vorsitzender des Rundfunkrats, sagte im Fernsehsender ICTV: „Diese Onlinemedien haben heute mehr Einnahmen als traditionelle Medien. Sie werden nun auch reguliert – und das schafft Chancengleichheit auf dem Markt.“

„Wir werden viel transparenter arbeiten“

In einem Punkt setzten sich Kritiker durch: Konten in sozialen Netzwerken werden in keinem Fall als Medien gewertet. Das gilt etwa für Kanäle auf der Internet-Plattform Telegram. Kritiker hatten hier einen Einschnitt in die persönliche Meinungsfreiheit befürchtet.
Das Gesetz werde die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, Medien besser einzuschätzen – und damit die Informationen, die sie von ihnen bekämen, so Walentyn Kowal: „Wir werden viel transparenter arbeiten. Es wird ein öffentliches Register der Medien geben, die registriert sind oder die eine Lizenz haben. Wir werden nicht nur sehen, wer die Eigentümer der Medien sind, die eine Lizenz haben, sondern auch, wie sie ihre Einnahmen generieren und wofür sie diese ausgeben. Wer eine Webseite sieht, auf der eine Registrierung beim Rundfunkrat angegeben ist, der kann sicher sein, dass dieses Medium ehrlich und transparent arbeitet.“
Der Rundfunkrat könne zudem in Zukunft auch von Onlinemedien Gegendarstellungen verlangen.

Sorge wegen russischer und ukrainischer Propaganda bleibt

Eine Debatte hatte es um die Frage gegeben, ob das Gesetz die Gesellschaft ausreichend vor russischer Propaganda schütze. Hier seien ursprüngliche Entwürfe verbessert worden, erklärte Mykola Knjaschyzkyj von der Oppositionspartei „Europäische Solidarität“ im Fernsehsender „Espreso“:
„Das Gesetz ist in seiner jetzt beschlossenen Form in Ordnung, zu 80 Prozent, würde ich sagen. Es ist uns gelungen, auch die Förderung der ukrainischen Sprache und der ukrainischen Kultur durchzusetzen. Schlecht bleibt allerdings, dass das Gesetz den Fernsehkanal ‚Rada‘ als staatlichen Kanal etabliert. So etwas sollte es nicht geben, weil so ein Kanal dann Regierungspropaganda verbreiten kann.“
Regierungsvertreter halten dem entgegen, der Kanal „Rada“ werde nur dafür sorgen, Parlamentssitzungen zu übertragen. Während des Kriegsrechts kann die Regierung Live-Übertragen allerdings einschränken.