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Nicaragua
Die Zeichen stehen auf Konfrontation

Mehr als 400 Tote hat der Konflikt zwischen der nicaraguanischen Regierung und Studenten seit April hervorbracht. Doch Präsident Daniel Orgtega setzt die Daumenschrauben weiter an: Wer demonstriert, lebt in ständiger Unsicherheit. Dennoch formiert sich der Widerstand. Das Land steht vor einer ungewissen Zukunft.

Von Burkhard Birke |
    02.09.2018, Nicaragua, Managua: Schwer bewaffnete Polizisten sitzen auf einem Pick-up und stehen neben einem brennenden Polizeifahrzeug. Mindestens eine Person wurde in Managua verletzt als Unbekannte mit Schusswaffen auf die Teilnehmer einer Demonstration gegen die Regierung schossen. Foto: Carlos Herrera/dpa | Verwendung weltweit
    Schwer bewaffnete Polizisten sitzen auf einem Pick-up und stehen neben einem brennenden Polizeifahrzeug Anfang September in der Hauptstadt Managua (picture alliance / dpa / Carlos Herrera)
    "Ich möchte nach Nicaragua zurückkehren. Ich weiß aber nicht, ob das gut wäre. Meine Familie ist gespalten, weil die Paramilitärs unser Haus angegriffen haben. Ich stehe auf der Liste der Polizei. Deshalb bin ich nach Deutschland gekommen."
    Sonst säße Valeria Martinez vermutlich im Gefängnis. Erst Anfang dieser Woche wurde eine andere Anführerin der Studentenproteste vom April, Amaya Coppens, in der Stadt Leon willkürlich verhaftet. Rigoros gehen die Sicherheitskräfte gegen die Rädelsführer der Proteste vor.
    Widerstand gegen den Präsident formiert sich weiter
    Valeria Martinez hatte deshalb ihre Heimat Nicaragua vor zwei Monaten überstürzt verlassen. Gemeinsam mit Studentenfreunden hatte die 23-jährige Englischlehrerin in den letzten Apriltagen gegen Präsident Ortega und seine Regierung demonstriert. Auslöser der Proteste war eine Rentenkürzung bei gleichzeitiger Anhebung der Beiträge. Die später zurückgenommene Maßnahme war jedoch nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
    "Ich fühle mich schlecht, als hätte ich meine Kameraden im Stich gelassen.
    Sie sind noch da, bauen Barrikaden, protestieren in den Vierteln. Ich bin hier in Sicherheit, während einige von ihnen im Gefängnis sitzen und gefoltert werden", sagt Valeria.
    Proteste gegen Präsident Ortega in der Stadt Ticuantepe: Eine Demonstrantin läuft mit nicaraguanischer Nationalfahne zwischen Autos entlang
    Seit April demonstrieren vor allem Studenten gegen die Regierung von Daniel Ortega (AFP)
    Die Barrikaden sind mittlerweile zwar weitgehend abgebaut, die Sicherheitskräfte haben hart durchgegriffen. Der Widerstand gegen Präsident Ortega formiert sich jedoch weiter. Erst dieser Tage gab es wieder Massenproteste auch wegen der steigenden Zahl der Opfer."
    Seit April wurden mehr als 400 Menschen Opfer von Gewalt durch die Polizei und paramilitärische Gruppen. Es gab Fälle von Folterungen und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua", berichtet Max Jeréz. Der junge Studentenführer ist eigens nach Berlin gekommen, um für die Forderungen der Alianza Civica, eines breiten Bündnisses gesellschaftlicher Oppositionsgruppen, zu werben.
    "Ortega hat das Land sich untertan gemacht"
    "Wir wollen, dass der nationale Dialog wieder aufgenommen wird, die politischen Gefangenen freikommen, die paramilitärischen Gruppen aufgelöst werden und Verhandlungen über eine Wahlreform und vorgezogene Neuwahlen aufgenommen werden, um das Regime von Ortega abzulösen."
    Daniel Ortega denkt freilich nicht ans Aufhören. Er befindet sich in seiner vierten Amtszeit, der dritten in Folge und hat für den Fall der Fälle
    seine Frau, Rosario Murillo, zur Vizepräsidentin küren lassen.
    Was ist aus dem Held der sandinistischen Befreiungsfront geworden, der sein Land 1979 vom Joch des Diktators Somoza befreite? Hannes Bahrmannn, Autor des Buches "Die privatisierte Revolution":
    "Auch unter Weggenossen ist der Spruch: Ortega ist der neue Somoza völlig landläufig. Also er hat mit seiner Familie, seinen neun Kindern, mit seiner Ehefrau, seinen engsten Vertrauten mittlerweile in der Tat das Land sich untertan gemacht."
    Auch die Wirtschaft leidet
    Durch systematische Enteignungen für einen Kanal zwischen Pazifik und Atlantik, der wohl nie gebaut wird, und teilweise durch soziale Wohltaten für Gefolgsleute, finanziert mit billigem Erdöl aus Venezuela. Mit der Krise in Venezuela ist auch Nicaragua, das zweitärmste Land Lateinamerikas, in den Abwärtsstrudel geraten. Die jüngsten Streiks und Proteste haben das ihre zur angespannten Lage beigetragen. Max Jeréz:
    "Mehr als 300.000 Jobs sind verloren gegangen. Der Tourismus ist quasi inexistent und die Aussichten sind alles andere als gut."
    Auch weil immer mehr Unternehmer der Regierung das Vertrauen entziehen.
    Nicaragua steht auch wirtschaftlich am Abgrund, sein Präsident ist jedoch krisenerprobt und die Opposition ohne wirkliche Führungsfigur. Somit ist unwahrscheinlich, dass Ortega bald seinen Platz räumt. In Nicaragua stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation.