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Niederlande
Basis-Versorgung für abgewiesene Asylbewerber

Mehr als 1200 abgewiesene Asylbewerber leben in den Niederlanden quasi auf der Straße. In ihre Herkunftsländer können sie nicht zurückzukehren: Weil sie um ihr Leben fürchten, ihnen dazu die Papiere fehlen oder ihr Land sich weigert, sie wieder aufzunehmen. Eine ganze Reihe von Städten bieten ihnen nun mit den drei sogenannten B’s eine humanitäre Grundversorgung an: Bett, Bad und Brot.

Von Kerstin Schweighöfer | 12.04.2016
    Proteste von abgewiesenen Asylsuchenden in den Niederlanden
    Proteste von abgewiesenen Asylsuchenden in den Niederlanden (AFP / Jerry Lampen)
    Ein schlichter Neubau in einem Außenbezirk der alten Rembrandtstadt Leiden. Viereckig, schnörkellos, mit großen Fenstern. Es hat etwas von einer Jugendherberge.
    Hier finden abgewiesene Asylbewerber ohne Aussicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung ein Dach über dem Kopf. In dieser so genannten BBB-Auffangstation können sie schlafen, essen und sich waschen. Denn BBB steht für: Bett, Bad und Brot.
    Im Aufenthaltsraum läuft der Fernseher. Es ist ruhig an diesem Nachmittag, auf der Couch sitzt ein einsamer Mann im Trainingsanzug. Gedankenverloren starrt er auf den großen Bildschirm an der Wand. Er dürfte Mitte 50 sein.
    Er kommt aus Syrien, ist aber schon vor 23 Jahren nach Holland geflüchtet. Sein Name? "Nennen Sie mich Tarik!” Im Gegensatz zu den vielen anderen syrischen Flüchtlingen, die derzeit eintreffen, hat er alle Prozeduren durchlaufen und hätte Holland längst wieder verlassen sollen, da er abgewiesen wurde. Doch Tarik hat keine Papiere.
    Zuvor schlief er auf Speichern oder in leer stehenden Garagen. Tarik gehört zum harten Kern von rund 1.250 abgewiesenen Asylbewerbern, die in den Niederlanden auf der Straße leben. In ihre Herkunftsländer können sie nicht zurückzukehren: weil sie um ihr Leben fürchten, ihnen dazu die Papiere fehlen oder ihr Land sich weigert, sie wieder aufzunehmen.
    Haben diese Menschen ein Recht auf humanitäre Grundversorgung? Also auf die drei B’s Bett, Bad und Brot? An dieser Frage wäre vor einem Jahr beinahe die sozialliberale Koalition in Den Haag zerbrochen.
    Gemeinden richten auf eigene Faust BBB-Plätze ein
    "Nein!” finden die Rechtsliberalen von Premierminister Mark Rutte. Sie sprechen von einer "ansaugenden Wirkung” und wollen nicht noch mehr Wähler an die Rechtspopulisten von Geert Wilders verlieren.
    "Ja”, sagen die Sozialdemokraten, man könne diese Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, das sei eine humanitäre Pflicht. Die Sozialdemokraten wissen nicht nur Kirchen und Menschenrechtsorganisationen hinter sich, sondern auch viele Gemeinden, die auf eigene Faust BBB-Plätze einzurichten begannen. So wie in Leiden:
    "Allein bei uns geht es um rund 100 Menschen”, sagt die zuständige Dezernentin Roos van Gelderen. "Die können wir doch nicht einfach ignorieren! Wir in Leiden wollen nicht, dass Menschen so leben müssen, auch abgewiesene Asylbewerber nicht.”
    Zwar gelang es den Koalitionsparteien, sich Ende 2015 auf einen Kompromiss zu einigen: Die drei B’s soll es weiterhin geben – aber nur noch für kooperative Asylbewerber, die bereit sind, die Niederlande zu verlassen, nur noch für die Dauer von maximal 12 Wochen und nur noch in sechs Städten. Gemeinden, die sich nicht daran halten, müssen mit einer Geldbuße rechnen. Doch in Leiden, das nicht zu den sechs auserwählten Städten gehört, hat man sich davon nicht abschrecken lassen:
    "Es ist doch unsinnig, alles auf sechs Orte zu konzentrieren und auf 12 Wochen – manche dieser Menschen sind seit 15 Jahren hier, da ist es eine Illusion zu denken, man könne sie innerhalb weniger Wochen zurückschicken!”
    Viele suchen inzwischen regelmäßig ihr Heil jenseits der Grenze
    Eine ganze Reihe von Städten – neben Leiden auch Arnheim und Groningen – übt sich im bürgerlichen Ungehorsam und leistet weiterhin Hilfe.
    Geldbußen hat Den Haag bislang noch nicht verhängt, wie es weitergehen soll, weiss niemand. "Die Verhandlungen mit der Regierung befinden sich in einer Sackgasse”, so Dezernentin van Gelderen. "Niemand weiss, woran er ist.”
    Die betroffenen Asylbewerber suchen inzwischen regelmäßig ihr Heil jenseits der Grenze. Um in Deutschland ein paar Monate, wie es heißt, wieder zu Atem zu kommen. Bis sie aufgrund der Dublin-Verordnung wieder in die Niederlande zurückgeschickt werden. Denn Deutschland kennt im Gegensatz zu den Niederlanden die Duldung, das heißt, abgeschobene Asylbewerber landen nicht auf der Straße, wenn sie nicht zurückkehren können.
    Daran zeige sich wieder einmal, dass auch dieses Problem nur gemeinsam, auf europäischer Ebene, gelöst werden könne, seufzt Dezernentin van Gelderen: Leiden jedenfalls könne es alleine nicht lösen. Leider.