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Niederlande
Bauern unter Klima-Druck

Wachstum war bisher die Devise der Landwirtschaft in den Niederlanden. So wurde das kleine Land zum zweitgrößten Agrarexporteur der Welt. Weil dieses System immer mehr auf Kosten von Tierwohl, Natur und menschlicher Gesundheit geht, wird nun nach neuen Wegen gesucht.

Von Kerstin Schweighöfer | 18.10.2020
Mehrere Tiere schauen durch die Gitterstäbe ihrer engen Mastkäfige
Massentierhaltung: 6.000 Schweine in einem Stall sind in den Niederlanden Durchschnitt (picture alliance / blickwinkel/J. S. Peifer)
"An der Wand hängen Overalls, in der Ecke stehen Stiefel. Mütze nicht vergessen", ruft Bauer Herman Krol. Wegen des stechenden Ammoniakgeruchs. Der bleibe auch im Haar hängen. Dann öffnet Krol die Tür zum Schweinestall.
Als das Licht angeht, stieben Hunderte von Schweinen auseinander. Soweit in den engen Boxen von Auseinanderstieben die Rede sein kann. 0,8 Quadratmeter steht jedem Schwein zur Verfügung.
Herman Krol ist ein traditioneller Mastschweinzüchter. 6.000 Tiere stehen in seinen Ställen. Das ist niederländischer Durchschnitt. Sie kommen als Ferkel an und sind nach fünf Monaten bereits schlachtreif. Raus kommen sie im Laufe ihres kurzen Lebens nie. "Raus? Was sollen sie denn da? Ich kann doch nicht 6.000 Schweine herauslassen", sagt Krol.
Der Hof der Familie Krol ist vier Hektar groß und liegt in Bernheze in der Provinz Nordbrabant, auch Schweineprovinz genannt, weil nirgendwo in Europa die Schweinedichte so hoch ist wie hier. In den Niederlanden leben rund 17,4 Millionen Menschen und zwölf Millionen Schweine. Die Hälfte, also sechs Millionen, befinden sich in Nordbrabant. In Bernheze kommen auf jeden Einwohner 13 Schweine. Das riecht man.
"Natürlich gibt es Leute, die finden, dass man Schweine so nicht halten kann. Darüber lässt sich streiten. Aber zu behaupten, dass wir Umwelt und Natur schädigen, das stimmt nicht mehr. Unser ökologischer Fußabdruck ist superklein geworden, weil wir unsere Sache super gut machen", sagt Krol.
Der Schweinemäster deutet aus dem Stallfenster auf die Biogas- und Gülleverarbeitungsanlage, die er zusammen mit 25 anderen Bauern gebaut hat: Damit könnten sie 6.500 Familien mit Strom versorgen.
Die Ammoniakemissionen in den Ställen konnte er mittels Kühlgitter um 70 Prozent senken. Für einen seiner Ställe hat er einen Luftreiniger angeschafft, der senkt die Emissionen sogar um 85 Prozent. Aber das reiche alles nicht mehr, seufzt der 59-Jährige auf dem Weg zurück ins Haus. Ab 2024 müssen in sämtlichen Ställen in Nordbrabant die Ammoniakemissionen um 85 Prozent gesenkt sein. Dazu müsste Krol weitere 500.000 Euro in den Hof investieren.
Das lohne sich in seinem Alter nicht mehr, sagt er. Und deshalb wird er aufhören, denn keines seiner drei Kinder will sein Erbe antreten. Wegen der vielen Auflagen. Und wegen des schlechten Ansehens der Schweinebauern: "Ich kenne Bauern, deren Kinder schämen sich in der Schule zu sagen, welchen Beruf ihr Vater hat."
Masthähnchen in einem der Ställe der Agrarproduktionsgesellschaft Agp Lübesse.
Wandel der landwirtschaftlichen Tierhaltung
Turbokühe und in Rekordzeit gemästete Schweine und Geflügel: Das Tierwohl ist in vielen deutschen Ställen auf der Strecke geblieben. Das sei das logische Ergebnis einer Agrarpolitik, die Landwirtschaft möglichst schmerzfrei industrialisieren wollte, sagte die Historikerin Veronika Settele im Dlf.
Niederlande fördert Ausstieg aus der Viehhaltung
Als Krol hörte, dass der niederländische Staat den Bauern den Ausstieg aus der Schweinezucht finanzieren will, hat er sich sofort gemeldet. So wie rund 400 andere Bauern auch. 500 Millionen Euro hat Den Haag dafür zur Verfügung gestellt. Weil sämtliche Auflagen und Verordnungen die Ursache des Problems nicht behoben haben: Es gibt zu viele Schweine.
"Warme sanering" nennt sich dieses Programm: "Warme Sanierung". Sie ist Teil einer neuen Landwirtschaftspolitik, mit der eine Wende eingeläutet werden soll. Denn bisher setzten die Niederländer auf Intensivierung und Rationalisierung. "Darin sind wir sehr weit gegangen. Und darin waren wir auch sehr gut", erklärt Pieter de Wolf. Er ist Nachhaltigkeitsexperte am landwirtschaftlichen Universitäts- und Forschungszentrum Wageningen: "Die Niederlande sind ein Delta, in dem sich alles konzentriert: Hier wird gearbeitet und gehandelt. Und hier wohnen Menschen, sehr viele Menschen: Die Niederlande gehören zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Und in diesem Delta wird auch noch Landwirtschaft betrieben."
Fast die Hälfte der knappen Landesoberfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Die Folge: Die Bodenpreise sind extrem hoch, Arbeit ist teuer. Ein Landwirt kann in diesem Delta nur überleben, wenn er möglichst viel aus einem Hektar herausholt und auf Hightech setzt. Am weitesten vorangeschritten sind Robotisierung und Automatisierung im Gartenbau: Da gibt es bereits vom Boden losgelöste mobile Systeme, da wachsen Tomaten in vier Meter Höhe. "Auch die Schweine- und Geflügelbauern kommen schon lange ohne Land aus und brauchen nur noch einen Stall. Das Futter, das hereingeht, kommt als Fleisch, Eier und Gülle wieder raus. Dieses System lässt sich weiter intensivieren – man bräuchte die Tiere nur zu stapeln", sagt de Wolf.
Denn anders als viele deutsche Landwirte bauen die Niederländer das Futter für ihre Tiere nicht selbst an, der Boden ist für Viehfutter viel zu kostbar. Sehr viel billiger ist es, Kraftfutter zu importieren - auch für die Milchbauern. Dadurch können sie mehr Kühe auf ihre Weiden stellen und mehr Milch produzieren.
Niederlande ist nach den USA zweitgrößter Agrarexporteur
Auf diese Weise ist es den Niederländern gelungen, nach den USA zum zweitgrößten Agrarexporteur der Welt aufzusteigen. Obwohl sie von der Fläche her gerade einmal so groß sind wie Nordrhein-Westfalen. "Dieses kleine Land ernährt die Welt", heißt es in einem Video auf der Webseite von Wageningen.
Doch das hat seinen Preis. Im Ackerbau sind durch Monokulturen und den Einsatz von Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln ökologische Wüsten entstanden. Die Biodiversität hat in den letzten 20 Jahren um bis zu 40 Prozent abgenommen.
In der Nutztierhaltung werden immer noch viel zu viele Antibiotika verwendet. Die Gülle von Kühen und Schweinen verschmutzt durch Ammoniakemissionen die Luft und belastet in Form von Nitrat auch Böden und Grundwasser.

Am allergrößten sind die Probleme in Nordbrabant. Durch die Massentierhaltung kommt es immer wieder zu Ausbrüchen von Seuchen. Dann müssen Millionen Tiere präventiv getötet werden. So wie 1997, während der Schweinepest. Oder vor elf Jahren, als die Ziegengrippe ausbrach, die auch 100 Menschen das Leben kostete. 1.500 Menschen leiden bis heute an Folgeschäden.
Außerdem ist die Luft in Nordbrabant so schlecht wie nirgendwo sonst in den Niederlanden. Sie ist sozusagen doppelt belastet – durch Massentierhaltung und durch Verkehr und Industrie. Denn Nordbrabant ist keine ländliche, sondern eine stark urbanisierte Provinz mit Städten wie Eindhoven, Herzogenbosch und Helmond.
Eingepferchte Schweine in der Massentierhaltung.
Massentierhaltung ist auch ein Grund für die schnellere Verbreitung von Tierseuchen (Picture Alliance / AP Images / Charlie Riedel)
Feinstaubkonzentration ist extrem hoch
Dadurch ist die Feinstaubkonzentration extrem hoch, erklärt Dick Heederik, Professor für Veterinärmedizin an der Universität Utrecht: "Den Feinstaub, den Dieselautos und Autoreifen im Verkehr produzieren, nennen wir primären Feinstaub. Daneben gibt es chemischen Feinstaub. Er ist gefährlicher und entsteht, wenn die Ammoniakemissionen der Gülle in der Luft mit den Stickstoffoxiden des Verkehrs reagieren. Das ist der sekundäre Feinstaub."
Die Folge: In Nordbrabant haben auffallend viele Menschen Atem- und Lungenprobleme. Das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, Herzkranzgefäßerkrankungen zu bekommen oder COPD, liegt deutlich höher als im Rest des Landes. Schon vor Jahrzehnten haben sich besorgte Bewohner deshalb zu Bürgerinitiativen zusammengeschlossen.
Unterstützt werden sie vom Ärzteforum Gesundheit, Natur und Umwelt. Gegründet wurde es von Ignas van Bebber. Er ist Professor für onkologische Chirurgie: "Wir wollen dafür sorgen, dass die Regierung nicht länger ignoriert, dass die intensive Tierhaltung auch Folgen für die Gesundheit der Menschen hat. Doch die Politiker stecken die Finger in die Ohren. Das hat mit Opportunismus zu tun. Und mit der starken Lobby der Bauern. Auch im Abgeordnetenhaus sitzen Schweinezüchter und Viehbauern."
In einer landesweiten Kampagne will das Ärzteforum zur Abschaffung der Massentierhaltung aufrufen. Nur so könne das Problem gelöst werden. Dass 400 Schweinebauern der Ausstieg finanziert werde, nütze nicht viel, dadurch sinke die Zahl der Schweine lediglich von zwölf auf elf Millionen.
Die Regierung jedoch setzt nach wie vor auf Freiwilligkeit und will parallel dazu bis 2030 die Wende zur sogenannten Kreislauflandwirtschaft herbeiführen: ein geschlossenes und nachhaltiges System, bei dem im Prinzip nichts von außen zugeführt und aus dem auch nichts entfernt werden muss. Ein Strategiepapier wurde 2019 präsentiert.
Der Kreislauflandwirtschaft, so Agrarministerin Carola Schouten, gehöre die Zukunft. So lasse sich Natur und Landwirtschaft wieder in Balance bringen. Weil im Idealfall das Viehfutter wieder vor Ort angebaut wird, angefüllt mit Restströmen aus der Nahrungsmittelindustrie. Und weil nur soviel Gülle entsteht wie zum Düngen der Äcker gebraucht wird. Nichts geht verloren und nichts wird vergeudet. Realisiert werden soll das alles unter dem Einsatz modernster Techniken. Wie, das wird seit diesem Sommer auf einem 25 Hektar großen Testgelände der Universität Wageningen ausprobiert.
Mitarbeiter eines Schlachtbetriebs zerkleinern Fleisch
Schlachthöfe in Europa - Billiges Fleisch, unhaltbare Zustände
Die erschreckend großen Zahlen der COVID-19-Fälle in Schlachthöfen haben ein Schlaglicht auf die prekären Zustände dort geworfen. Begonnen hat die systematische Ausbeutung von Arbeitsmigranten in deutschen Fleischfabriken – und sie hat sich in weiten Teilen Europas ausgebreitet.
Kreislaufwirtschaft als Ansatz der Regierung
Dort liegt die "boerderij van de toekomst"– der "Bauernhof der Zukunft". Einer der beiden Projektleiter ist Nachhaltigkeitsexperte Pieter de Wolf. Er steht vor einem Acker mit acht Streifen, jeweils drei Meter breit. Hier werden Karotten angebaut, Zwiebeln, Kartoffeln, Feldbohnen.
Durch Fruchtwechsel sollen die Böden wieder gesund werden und Vögel und Insekten zurückkehren. Marienkäfer und Schlupfwespen dienen als biologische Schädlingsbekämpfer. "Und falls eine Krankheit oder Seuche ausbricht, kann sie sich nicht ausbreiten. Sie wird durch die Streifen gebremst. Die sorgen für eine Art von social distancing", sagt de Wolf.
Drohnen sorgen dafür, dass Unkrautbekämpfungsmittel ganz gezielt eingesetzt werden können - tröpfchenweise. Sensoren im Boden messen den Feuchtigkeitsgehalt, sodass auch gezielt bewässert werden kann.
In Brüssel machen sich die Niederländer deshalb für eine Modernisierung der GAP stark, der gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Premierminister Mark Rutte möchte ein Umdenken über die bisherige Verteilung der EU-Gelder in Gang setzen. Das Ziel: mehr Geld für Innovationen und weniger als direkte Einkommensstütze für die Bauern.
Das ist durchaus im Sinne der Europäischen Kommission: Sie will diese direkten Subventionen um fünf Prozent kürzen. Die Höhe der Subventionen ist von der Größe der Betriebe abhängig. Von den Subventionen profitieren deshalb vor allem die osteuropäischen Länder. Sie sind gegen die geplanten Kürzungen.
Der größte niederländische Bauernverband LTO hingegen hat im Prinzip nichts gegen die GAP-Reform einzuwenden, sagt LTO-Vorstandsmitglied Leon Vaassen: "Vorausgesetzt, das Geld wird auch tatsächlich effektiv für Innovationen eingesetzt, von denen wir Bauern etwas haben."
Fleischauslage in einem Supermarkt: Schweinegulasch, Schwarte und Rollbraten
Niederlande: Hauptsache billige Lebensmittel
Die niederländischen Landwirte wollen mehr Wertschätzung für ihre Produkte. Doch ihre Proteste werden von den Verbrauchern kaum gehört. Die meisten kaufen das, was am billigsten ist, sagt Korrespondentin Kerstin Schweighöfer im Gespräch mit dem Dlf.
Auch mit der Wende hin zur Kreislauflandwirtschaft seien die Bauern einverstanden. Viele würden das ja bereits teilweise umsetzen. Es müsste allerdings die gesamte Kette miteinbezogen werden – bis hin zu Supermärkten und Konsumenten, so Leon Vaassen: "Wenn der Konsument von uns erwartet, dass wir nachhaltiger und umweltfreundlicher produzieren, dann erwarten wir vom Konsumenten, dass er auch bereit ist, dafür zu zahlen. Bislang jedoch greift er im Supermarkt nach wie vor zum billigsten Artikel."
Außerdem müsse Ministerin Schouten klarer definieren, wie groß der Radius in der neuen Kreislauflandwirtschaft sei: "Wird der Kreis um ein Dorf gezogen? Um eine Region? Darf er über die Grenze? Wir leben in Europa und genauso groß ist für uns Bauern auch der Kreis", sagt Vaassen.
Umweltschützer fordern möglichst kleinen Kreis
Umweltschützern zufolge hat der Kreis möglichst klein zu sein. Je kleiner, desto besser, sagt auch Jan Willem Erisman. Er ist Professor für Umwelt und Nachhaltigkeit an der Universität Leiden. Eine echte Kreislauflandwirtschaft, die ganz ohne Kraftfutterimporte auskommt, würde so zu einer Halbierung der Tiere führen. Das hätten Studien ergeben.
Aber im Strategiepapier der Ministerin heißt es: "Lokal, wenn möglich, regional oder international, wenn nötig." Das sei viel zu unverbindlich, kritisiert auch Ignas van Bebber vom Ärzteforum. Dadurch blieben den Bauern viel zu viele Ausweichmöglichkeiten und es würde sich nicht viel ändern.
Doch inzwischen sind gleich zwei Krisen ausgebrochen, die Ministerin Schouten in Zugzwang gebracht haben: die sogenannte Stickstoffkrise und Corona. Denn ausgebrochen ist die COVID-19-Epidemie in den Niederlanden in Nordbrabant – und da gab es pro 100.000 Einwohner bislang auch die meisten Toten. Zufall?
Nein, sagt Professor van Bebber und verweist auf eine Studie der Universität Birmingham vom letzten Sommer. Britische Wissenschaftler wollen den Nachweis erbracht haben, dass die hohe Zahl der Corona-Toten in Nordbrabant auf die stark von Feinstaub verschmutzte Luft dort zurückzuführen ist.
Ministerin Schouten möchte diesen Zusammenhang in einer eigenen Studie klären lassen. Aber, so der Utrechter Veterinärmediziner Heederik: "Wir kommen nicht darum herum, zu konstatieren, dass die Massentierhaltung Folgen für die menschliche Gesundheit hat. Wir haben da ein Problem."
Gericht verbietet weitere Freisetzung von Stickstoff
Auch die sogenannte Stickstoffkrise hat die Missstände der intensiven Landwirtschaft unter das Vergrößerungsglas gelegt. Die Niederlande überschreiten die von der EU vorgeschriebenen Grenzwerte für Stickstoffemissionen schon seit Jahren. Die Gegenmaßnahmen, die die Regierung ergriffen hatte, waren vom Hoge Raad, der höchsten juristischen Instanz des Landes, 2019 für unzureichend erklärt worden.
Urgenda director Marjan Minnesma, center right, hugs members of her legal team after the court turned down an appeal of the Dutch government against a 2015 landmark ruling ordering the government to cut the country's greenhouse gas emissions by at least 25 percent by 2020 in a climate case that activists hope will set a worldwide precedent, in The Hague, Netherlands, Tuesday, Oct. 9, 2018. The case was brought to court by Urgenda, a sustainability organization on behalf of some 900 citizens, claiming that the the government has a duty of care to protect its citizens against looming dangers.(AP Photo/Peter Dejong) |
Klimaklage in den Niederlande: Ein historisches Urteil
Anders als Greenpeace und Landwirte in Deutschland hatten Umweltschützer in den Niederlanden Erfolg mit der Klage gegen ihre Regierung: Die Niederlande müssen den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduzieren. Das Urteil hat Klimageschichte geschrieben. Doch noch hapert es an der Umsetzung.
Seitdem stecken die Niederlande buchstäblich in der Klemme: Denn auch beim Wohnungs- und Straßenbau wird Stickstoff frei. Und der muss aufgrund des Urteils vom Hoge Raad erst kompensiert werden, bevor weiter gebaut werden kann. Trotz der hohen Wohnungsnot. Als kurzfristige Maßnahme zur Einsparung von Stickstoff wurde deshalb im März auf niederländischen Autobahnen Tempo 100 eingeführt.
Für den größten Anteil der Emissionen, rund 40 Prozent, ist die Gülle der Nutztiere verantwortlich. Ein Abgeordneter schlug deshalb vor, einfach die Zahl der Tiere zu halbieren. Das sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagt Marc van den Oever, der Vorsitzende der Farmers Defense Force, einer 2019 gegründeten Bauernaktionsgruppe, die als militant in Verruf geraten ist: "Verkehr und Industrie sorgen auch für Stickstoffemissionen. Wir sind die Sündenböcke, uns wird die Schuld an allen Umweltproblemen in die Schuhe geschoben."
Ausbringen von Gülle auf dem Feld – aufgenommen in den Niederlanden.
Niederlande: Wütende Landwirte wehren sich gegen Umweltauflagen
Besonders dort, wo Tiere in Massen gehalten werden, überschreiten die Niederlande die EU-Grenzwerte für Stickstoff-Emissionen. Das ist schädlich für die Artenvielfalt. Mit neuen Regeln will die niederländische Regierung das Problem in den Griff bekommen. Doch viele Landwirte wollen da nicht mitmachen.
Aus dem ganzen Land kamen im Herbst 2019 wütende Landwirte mit ihren Traktoren nach Den Haag. Ministerin Schouten beeilte sich, daraufhin zu betonen, dass, solange sie Ministerin sei, die Zahl der Tiere nicht halbiert werde.
Die Bauern wollen selbst entscheiden können, wie sie die Stickstoffmenge auf ihren Höfen reduzieren – jeder auf seine Weise. Der eine durch eiweißärmeres Futter, der andere durch luftdichtere Ställe. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Felder nach dem Ausfahren der Gülle mit Wasser zu besprühen, um die Emissionen zu senken.
Maßnahmen wie diese wurden in dem mit Spannung erwarteten Gesetzesentwurf zur Senkung der Stickstoffemissionen aufgenommen, den Ministerin Schouten letzte Woche dem Parlament vorgelegt hat. Industrie und Bau werden darin miteinbezogen und sollen mit saubereren Kränen, Lkw und Baumaschinen arbeiten. Das Budget, um Schweinebauern den Ausstieg zu finanzieren, wurde erhöht. Daneben gibt es ein zweites Budget für die Viehbauern.
Für Umweltschützer und Bürgerinitiativen ist das neue Maßnahmenpaket ein Aufguss des ersten und unzureichend. Die Ministerin setze weiterhin zu sehr auf Freiwilligkeit. Sie habe sich dem Druck der Bauern gebeugt, kritisieren die Grünen und Sozialdemokraten.
Um das Stickstoffproblem wirklich aus der Welt zu schaffen, helfe nur eines, betont auch der Wageninger Forscher Pieter de Wolf: "Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Aber wir müssen die Anzahl der Tiere drastisch reduzieren. Selbst wenn wir sie alle luftdicht wegsperren: Das Stickstoffproblem lässt sich mit so vielen Tieren unmöglich lösen. Das geht einfach nicht."