
Herman Krol ist ein traditioneller Mastschweinzüchter. 6.000 Tiere stehen in seinen Ställen. Das ist niederländischer Durchschnitt. Sie kommen als Ferkel an und sind nach fünf Monaten bereits schlachtreif. Raus kommen sie im Laufe ihres kurzen Lebens nie. "Raus? Was sollen sie denn da? Ich kann doch nicht 6.000 Schweine herauslassen", sagt Krol.
Der Hof der Familie Krol ist vier Hektar groß und liegt in Bernheze in der Provinz Nordbrabant, auch Schweineprovinz genannt, weil nirgendwo in Europa die Schweinedichte so hoch ist wie hier. In den Niederlanden leben rund 17,4 Millionen Menschen und zwölf Millionen Schweine. Die Hälfte, also sechs Millionen, befinden sich in Nordbrabant. In Bernheze kommen auf jeden Einwohner 13 Schweine. Das riecht man.
"Natürlich gibt es Leute, die finden, dass man Schweine so nicht halten kann. Darüber lässt sich streiten. Aber zu behaupten, dass wir Umwelt und Natur schädigen, das stimmt nicht mehr. Unser ökologischer Fußabdruck ist superklein geworden, weil wir unsere Sache super gut machen", sagt Krol.
Der Schweinemäster deutet aus dem Stallfenster auf die Biogas- und Gülleverarbeitungsanlage, die er zusammen mit 25 anderen Bauern gebaut hat: Damit könnten sie 6.500 Familien mit Strom versorgen.
Die Ammoniakemissionen in den Ställen konnte er mittels Kühlgitter um 70 Prozent senken. Für einen seiner Ställe hat er einen Luftreiniger angeschafft, der senkt die Emissionen sogar um 85 Prozent. Aber das reiche alles nicht mehr, seufzt der 59-Jährige auf dem Weg zurück ins Haus. Ab 2024 müssen in sämtlichen Ställen in Nordbrabant die Ammoniakemissionen um 85 Prozent gesenkt sein. Dazu müsste Krol weitere 500.000 Euro in den Hof investieren.
Doch das hat seinen Preis. Im Ackerbau sind durch Monokulturen und den Einsatz von Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln ökologische Wüsten entstanden. Die Biodiversität hat in den letzten 20 Jahren um bis zu 40 Prozent abgenommen.
Am allergrößten sind die Probleme in Nordbrabant. Durch die Massentierhaltung kommt es immer wieder zu Ausbrüchen von Seuchen. Dann müssen Millionen Tiere präventiv getötet werden. So wie 1997, während der Schweinepest. Oder vor elf Jahren, als die Ziegengrippe ausbrach, die auch 100 Menschen das Leben kostete. 1.500 Menschen leiden bis heute an Folgeschäden.
Außerdem ist die Luft in Nordbrabant so schlecht wie nirgendwo sonst in den Niederlanden. Sie ist sozusagen doppelt belastet – durch Massentierhaltung und durch Verkehr und Industrie. Denn Nordbrabant ist keine ländliche, sondern eine stark urbanisierte Provinz mit Städten wie Eindhoven, Herzogenbosch und Helmond.

Die Folge: In Nordbrabant haben auffallend viele Menschen Atem- und Lungenprobleme. Das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, Herzkranzgefäßerkrankungen zu bekommen oder COPD, liegt deutlich höher als im Rest des Landes. Schon vor Jahrzehnten haben sich besorgte Bewohner deshalb zu Bürgerinitiativen zusammengeschlossen.
Unterstützt werden sie vom Ärzteforum Gesundheit, Natur und Umwelt. Gegründet wurde es von Ignas van Bebber. Er ist Professor für onkologische Chirurgie: "Wir wollen dafür sorgen, dass die Regierung nicht länger ignoriert, dass die intensive Tierhaltung auch Folgen für die Gesundheit der Menschen hat. Doch die Politiker stecken die Finger in die Ohren. Das hat mit Opportunismus zu tun. Und mit der starken Lobby der Bauern. Auch im Abgeordnetenhaus sitzen Schweinezüchter und Viehbauern."
In einer landesweiten Kampagne will das Ärzteforum zur Abschaffung der Massentierhaltung aufrufen. Nur so könne das Problem gelöst werden. Dass 400 Schweinebauern der Ausstieg finanziert werde, nütze nicht viel, dadurch sinke die Zahl der Schweine lediglich von zwölf auf elf Millionen.
Die Regierung jedoch setzt nach wie vor auf Freiwilligkeit und will parallel dazu bis 2030 die Wende zur sogenannten Kreislauflandwirtschaft herbeiführen: ein geschlossenes und nachhaltiges System, bei dem im Prinzip nichts von außen zugeführt und aus dem auch nichts entfernt werden muss. Ein Strategiepapier wurde 2019 präsentiert.
Der Kreislauflandwirtschaft, so Agrarministerin Carola Schouten, gehöre die Zukunft. So lasse sich Natur und Landwirtschaft wieder in Balance bringen. Weil im Idealfall das Viehfutter wieder vor Ort angebaut wird, angefüllt mit Restströmen aus der Nahrungsmittelindustrie. Und weil nur soviel Gülle entsteht wie zum Düngen der Äcker gebraucht wird. Nichts geht verloren und nichts wird vergeudet. Realisiert werden soll das alles unter dem Einsatz modernster Techniken. Wie, das wird seit diesem Sommer auf einem 25 Hektar großen Testgelände der Universität Wageningen ausprobiert.
Durch Fruchtwechsel sollen die Böden wieder gesund werden und Vögel und Insekten zurückkehren. Marienkäfer und Schlupfwespen dienen als biologische Schädlingsbekämpfer. "Und falls eine Krankheit oder Seuche ausbricht, kann sie sich nicht ausbreiten. Sie wird durch die Streifen gebremst. Die sorgen für eine Art von social distancing", sagt de Wolf.
Drohnen sorgen dafür, dass Unkrautbekämpfungsmittel ganz gezielt eingesetzt werden können - tröpfchenweise. Sensoren im Boden messen den Feuchtigkeitsgehalt, sodass auch gezielt bewässert werden kann.
In Brüssel machen sich die Niederländer deshalb für eine Modernisierung der GAP stark, der gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Premierminister Mark Rutte möchte ein Umdenken über die bisherige Verteilung der EU-Gelder in Gang setzen. Das Ziel: mehr Geld für Innovationen und weniger als direkte Einkommensstütze für die Bauern.
Das ist durchaus im Sinne der Europäischen Kommission: Sie will diese direkten Subventionen um fünf Prozent kürzen. Die Höhe der Subventionen ist von der Größe der Betriebe abhängig. Von den Subventionen profitieren deshalb vor allem die osteuropäischen Länder. Sie sind gegen die geplanten Kürzungen.
Der größte niederländische Bauernverband LTO hingegen hat im Prinzip nichts gegen die GAP-Reform einzuwenden, sagt LTO-Vorstandsmitglied Leon Vaassen: "Vorausgesetzt, das Geld wird auch tatsächlich effektiv für Innovationen eingesetzt, von denen wir Bauern etwas haben."
Außerdem müsse Ministerin Schouten klarer definieren, wie groß der Radius in der neuen Kreislauflandwirtschaft sei: "Wird der Kreis um ein Dorf gezogen? Um eine Region? Darf er über die Grenze? Wir leben in Europa und genauso groß ist für uns Bauern auch der Kreis", sagt Vaassen.
Aber im Strategiepapier der Ministerin heißt es: "Lokal, wenn möglich, regional oder international, wenn nötig." Das sei viel zu unverbindlich, kritisiert auch Ignas van Bebber vom Ärzteforum. Dadurch blieben den Bauern viel zu viele Ausweichmöglichkeiten und es würde sich nicht viel ändern.
Doch inzwischen sind gleich zwei Krisen ausgebrochen, die Ministerin Schouten in Zugzwang gebracht haben: die sogenannte Stickstoffkrise und Corona. Denn ausgebrochen ist die COVID-19-Epidemie in den Niederlanden in Nordbrabant – und da gab es pro 100.000 Einwohner bislang auch die meisten Toten. Zufall?
Nein, sagt Professor van Bebber und verweist auf eine Studie der Universität Birmingham vom letzten Sommer. Britische Wissenschaftler wollen den Nachweis erbracht haben, dass die hohe Zahl der Corona-Toten in Nordbrabant auf die stark von Feinstaub verschmutzte Luft dort zurückzuführen ist.
Ministerin Schouten möchte diesen Zusammenhang in einer eigenen Studie klären lassen. Aber, so der Utrechter Veterinärmediziner Heederik: "Wir kommen nicht darum herum, zu konstatieren, dass die Massentierhaltung Folgen für die menschliche Gesundheit hat. Wir haben da ein Problem."
Für den größten Anteil der Emissionen, rund 40 Prozent, ist die Gülle der Nutztiere verantwortlich. Ein Abgeordneter schlug deshalb vor, einfach die Zahl der Tiere zu halbieren. Das sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagt Marc van den Oever, der Vorsitzende der Farmers Defense Force, einer 2019 gegründeten Bauernaktionsgruppe, die als militant in Verruf geraten ist: "Verkehr und Industrie sorgen auch für Stickstoffemissionen. Wir sind die Sündenböcke, uns wird die Schuld an allen Umweltproblemen in die Schuhe geschoben."
Die Bauern wollen selbst entscheiden können, wie sie die Stickstoffmenge auf ihren Höfen reduzieren – jeder auf seine Weise. Der eine durch eiweißärmeres Futter, der andere durch luftdichtere Ställe. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Felder nach dem Ausfahren der Gülle mit Wasser zu besprühen, um die Emissionen zu senken.
Maßnahmen wie diese wurden in dem mit Spannung erwarteten Gesetzesentwurf zur Senkung der Stickstoffemissionen aufgenommen, den Ministerin Schouten letzte Woche dem Parlament vorgelegt hat. Industrie und Bau werden darin miteinbezogen und sollen mit saubereren Kränen, Lkw und Baumaschinen arbeiten. Das Budget, um Schweinebauern den Ausstieg zu finanzieren, wurde erhöht. Daneben gibt es ein zweites Budget für die Viehbauern.
Für Umweltschützer und Bürgerinitiativen ist das neue Maßnahmenpaket ein Aufguss des ersten und unzureichend. Die Ministerin setze weiterhin zu sehr auf Freiwilligkeit. Sie habe sich dem Druck der Bauern gebeugt, kritisieren die Grünen und Sozialdemokraten.