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Niederlande
Hauptsache billige Lebensmittel

Die niederländischen Landwirte wollen mehr Wertschätzung für ihre Produkte. Doch ihre Proteste werden von den Verbrauchern kaum gehört. Die meisten kaufen das, was am billigsten ist, sagt Korrespondentin Kerstin Schweighöfer im Gespräch mit dem Dlf.

Kerstin Schweighöfer im Gespräch mit Katrin Michaelsen | 05.02.2020
Fleischauslage in einem Supermarkt: Schweinegulasch, Schwarte und Rollbraten
Fleischauslage in einem Supermarkt: Schweinegulasch, Schwarte und Rollbraten (imago / Westend61)
Katrin Michaelsen: Alles hat seinen Preis - auch Lebensmittel. Der Konkurrenzkampf um die Kunden, die Schnäppchenaktionen der Supermärkte, der Preisdruck und das Verhältnis zu den Produzenten, den Landwirten - darüber läuft hierzulande eine Debatte, und zwar schon eine ganze Weile. Und in die haben sich Anfang der Woche auch Bundeskanzlerin Merkel und Agrarministerin Klöckner eingeschaltet, haben den Blick auf Preisgestaltung und Marktzugänge gelenkt. Was ist uns das Essen auf dem Tisch wert? Je nachdem, wo in Europa diese Frage gestellt wird, fallen die Antworten unterschiedlich aus. Verbraucher in unseren Nachbarländern Frankreich oder auch in Dänemark, zum Beispiel, geben traditionell mehr Geld für Lebensmittel aus als in Deutschland. Wie es in den Niederlanden aussieht, darüber kann ich jetzt mit unserer Korrespondentin Kerstin Schweighöfer sprechen. Frau Schweighöfer, Hauptsache billig gilt das auch in den Niederlanden?
Kerstin Schweighöfer: Oh ja, die Lebensmittelpreise sind hier bis auf Alkohol, also eine Flasche Wein, das ist schon relativ teuer. Aber ansonsten ist alles nach wie vor sehr viel niedriger als in fast allen anderen EU-Ländern. Nur in Deutschland, und darauf wird doch immer wieder hingewiesen, sind Lebensmittel noch billiger als hier hinter den Deichen. Und auch in den Niederlanden locken die Supermärkte die Kunden mit Schnäppchen: gerade beim Fleisch. Ein Kilo Knallers heißt das hier, sprich: möglichst viel Fleisch für möglichst wenig Geld. Umwelt- und Tierschutz-Organisationen, die protestieren schon seit Jahren dagegen, inzwischen sogar richtig aggressiv mit Kampagnen, bei denen Supermärkte beim Namen genannt werden und regelrecht an den Schand-Pfahl genagelt werden. Aber es nützt nichts. 2019 ist die Zahl dieser Schnäppchen beim Fleisch erneut gestiegen, also dieser Kilo Knallers, und zwar so stark wie seit vier Jahren nicht mehr.
Geld ist wichtiger als Gesundheit
Michaelsen: Und wie sehen das die Verbraucher? Ist denen das egal, oder gibt es auch unter ihnen andere Ansprüche?
Schweighöfer: Also, was Umwelt, Gesundheit und was Tierwohl betrifft, da liegen zwischen Deutschland und den Niederlanden schon Welten. Während sich der Deutsche sofort Sorgen macht, vor allem um seine Gesundheit, kümmert den Niederländer das also relativ wenig. Dem geht's wirklich vor allem um eins, ums Geld. Hauptsache, es ist billig. Und der Niederländer, der lässt sich verglichen mit Deutschen auch nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Ich habe das immer wieder gemerkt. Wenn hier eine Tierseuche ausgebrochen ist, oder wenn es Lebensmittelskandale gab, dann ist in Deutschland sofort die Aufregung riesengroß. Die Leute machen sich Sorgen, der Umsatz von Fleisch, der sinkt rapide. Und hier passiert eigentlich überhaupt nichts. Am Konsumverhalten ändert sich nicht viel. Die Zahl der Vegetarier und Veganer, die ist in den Niederlanden auch nur halb so hoch wie in Deutschland. Und auch der Umsatz biologischer Produkte, der ist relativ niedrig. Der Marktanteil steigt hier zwar auch, das schon, aber er liegt in den Niederlanden bei biologischen Produkten gerade mal bei 3,4 Prozent. Zum Vergleich: In Dänemark und in Österreich sind es bereits 20 Prozent.
Zweitgrößte Exportnation von Agrarprodukten
Michaelsen: Nun haben in den Niederlanden die Landwirte ebenfalls protestiert. Sie haben die Proteste hierzulande sogar ausgelöst.
Schweighöfer: Ja, das stimmt. Auch in den Niederlanden haben Bauern und Landwirte die vielen Auflagen und Regeln satt und auch die geringe Wertschätzung, die sie erfahren. Da kam es zu großen Protesten Ende letzten Jahres. Aber man darf nicht vergessen, die Lebensmittel-Produktion in den Niederlanden, das ist eine Industrie. Mit dem romantischen Bild des Bauern auf dem Acker - wenn das Dasein eines Bauern überhaupt jemals romantisch war -, hat das in den Niederlanden wirklich überhaupt nichts zu tun. Die Niederlande sind die zweitgrößte Exportnation von Agrarprodukten weltweit nach den USA. Und das muss man sich mal vorstellen: die kleinen Niederlande. An erster Stelle stehen Blumen und Pflanzen. An zweiter Stelle steht Fleisch. Und der größte Abnehmer dieser Produkte, das ist mit 25 Prozent Deutschland. Der zweitgrößte Exporteur von Agrarprodukten - das geht also nur, wenn man alles, wirklich alles aus dem Boden herausholt. Und so viel Boden steht den Landwirten hier in den Niederlanden ja nicht zur Verfügung. Das heißt: Es geht wirklich nur mit extrem intensiver Zucht, mit intensivem Anbau, mit Massentierhaltung. Und die Zahlen sprechen da eigentlich für sich. In den Niederlanden leben rund 17 Millionen Menschen und 12 Millionen Schweine.
Regierung steht unter Zugzwang
Michaelsen: Geringe Wertschätzung der Landwirte, die Proteste - welche Folgen beobachten sie? Gibt es Reaktionen in Den Haag, greift die niederländische Regierung ein?
Schweighöfer: Die Regierung gibt sich eher zurückhaltend. Zwar wurde auch hier der Ruf nach einer Fleisch-Tax laut, nach einer Fleischsteuer, aber daraus ist bislang nichts geworden. Und auch der Mehrwertsteuersatz für Fleisch, der wurde nicht erhöht. Die Mehrwertsteuer ist in den Niederlanden deutlich höher als in Deutschland. Der niedrige Satz liegt bei neun Prozent. Der gilt für alle Lebensmittel auch für Fleisch. Und der höhere Satz, der liegt bei 21 Prozent. Und viele Tierschützer hätten gerne, dass eben der Fleischpreis, dass da 21 Prozent gelten. Daraus ist nichts geworden. Und auch die Proteste vieler Niederländer, die haben wollen, dass die Zahl der Schweine und Rinder halbiert wird, das kommt überhaupt nicht in Frage. Das fordert inzwischen auch eine der vier Koalitionsparteien, die liberale D66-Partei. Aber das geht eben den beiden großen Regierungsparteien, den Rechtsliberalen vom Premierminister Mark Rutte, viel zu weit - und auch den Christdemokraten. Die sind ja auch hier traditionelle Bauernpartei. Aber inzwischen steht die Regierung unter Zugzwang, weil eben die sogenannte Stickstoff-Krise ausgebrochen ist. Und die Niederlande stoßen eben zu viel Stickstoff aus, zu viel Ammoniak, zufiel Nitrate. Und daran ist zu 40 Prozent die Landwirtschaft schuld. Die drückt eben auf die Umweltbilanz. Deshalb finanziert die Regierung den Landwirten inzwischen den Ausstieg aus der Schweinezucht. Und der Betrag, den Den Haag dafür reserviert hat, der wurde aufgrund der Stickstoff-Krise auf 180 Millionen erhöht. Bis Mitte Januar konnten sich interessierte Landwirte melden. Aber die Zahl der Schweine wird sich dadurch nur um eine Million reduzieren. Und da fragen sich Kritiker natürlich, ob das reicht, wenn jetzt elf statt 12 Millionen Schweine hier leben.
Michaelsen: Kerstin Schweighöfer, besten Dank für Ihre Einblicke in die niederländischen Verhältnisse.