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Niederlande
Mühsames Zusammenraufen in der Flüchtlingsfrage

Die niederländische Asylpolitik gilt als eine der strengsten in Europa. Doch die Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge ist in der Bevölkerung - ähnlich wie in Deutschland - momentan groß. Die Regierungskoalition tut sich in der Flüchtlingsfrage hingegen schwer.

Von Kerstin Schweighöfer | 10.09.2015
    Flagge Niederlande
    Die niederländische Regierungskoalition errang einen mühsamen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage. (picture alliance / Thomas Muncke)
    Egal, ob Spendenaktionen, Sondersendungen oder Sonderbeilagen in Zeitungen: Auch in den Niederlanden gibt es ein großes Engagement für Flüchtlinge. Als Vorbild gelten vielen die Deutschen und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch Frans Timmermans, der niederländische Vizepräsident der EU-Kommission, ist voll des Lobes:
    "Wenn wir alle in Europa so handeln würden, ließen sich auch für dieses Problem Lösungen finden."
    In Den Haag hingegen herrschte lange Zeit Funkstille. Die beiden Koalitionspartner mussten sich erst auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen. Denn in Sachen Asylpolitik liegen zwischen den Sozialdemokraten und den Rechtsliberalen von Premierminister Mark Rutte Welten. Im Frühjahr noch war es zu einer schweren Regierungskrise gekommen: An der Frage, ob abgewiesene Asylbewerber ein Recht auf Grundversorgung haben, wäre die Koalition beinahe zerbrochen.
    Die Rechtsliberalen haben Angst, weiter Wähler an die Rechtspopulisten von Geert Wilders zu verlieren und würden die europäischen Außengrenzen am liebsten rigoros schließen:
    "Entweder wir schaffen die europäische Asylpolitik ab und beenden damit auch ihre Magnetwirkung", so der rechtsliberale Abgeordnete Malik Azmani, "oder wir errichten eine Laufbrücke zwischen Afrika und Europa – mit allen Folgen, die das mit sich bringt."
    Die Sozialdemokraten hingegen streben nach einer einheitlichen europäischen Asylpolitik mit einem festen Verteilschlüssel für Flüchtlinge. Ein Schließen der Grenzen ist für sie unvereinbar mit internationalen Verträgen und damit inakzeptabel.
    Der Kompromiss, auf den sich beide Parteien nun geeinigt haben und der am Montag in Brüssel präsentiert werden soll: Den Haag erklärt sich bereit, kurzfristig rund 7.000 zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen. Aber nur, wenn erstens eine Quote für jedes Land festgelegt wird, damit sich niemand drücken kann. Und zweitens, wenn die Zahl der Flüchtlinge, die es nach Europa zieht, langfristig minimiert werden kann und den Geschäften der Menschenschmuggler ein Riegel vorgeschoben wird.
    Den Haag will "sichere Regionen"
    Das will Den Haag erreichen, indem "sichere Regionen" außerhalb Europas geschaffen werden, in denen die Flüchtlinge zu bleiben bereit sind – in Jordanien, im Libanon oder in der Türkei. Dort müsse Europa investieren – in Schulen, Unternehmen, in die Infrastruktur. Und dort und nicht länger in Europa soll in Zukunft auch die Asylprozedur beginnen: in Anmeldezentren für Flüchtlinge, die doch noch weiter nach Europa ziehen wollen. Wer das sofort auf eigene Faust versucht, soll umgehend zurückgeschickt werden.
    "Das ist nicht einfach nur ein Vorschlag, das ist eine harte Bedingung, die wir an Europa stellen", so der rechtsliberale Fraktionsvorsitzende Halbe Zijlstra:
    "Wenn sich Europa damit nicht einverstanden erklärt, ist eine Umverteilung der Flüchtlinge völlig sinnlos. Dann stehen wir alle drei Monate vor demselben Problem. Wir müssen die Ursachen beheben. Das ist der Charme, den unser Plan hat."
    Eine Kabinettskrise konnten die Koalitionsparteien mit diesem "charmanten Plan" zwar umschiffen. Aber sie dürfen sich auf eine heftige Parlamentsdebatte gefasst machen. Denn die Oppositionsparteien lassen kein gutes Haar an dem Kompromiss und halten ihn für unausführbar.
    Oppositionsparteien üben starke Kritik
    Für die Grünen tun die Rechtsliberalen nichts anderes, als erneut zu versuchen, die Außengrenzen Europas zu schließen – in verkappter Form, mit angeblichen Anmeldezentren, die keinen Asylbewerber mehr nach Europa durchlassen. Den Linksliberalen zufolge will das Kabinett nicht das Flüchtlingsproblem lösen, sondern sein eigenes. Auch Sybrand Buma, Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten, sparte in der gestrigen Debatte nicht mit Kritik:
    "Die Länder in den Krisengebieten müssen zur Mitarbeit bewegt werden. Wer sagt, dass sie das tun? Man braucht doch nur an die Golfstaaten zu denken, die halten sich völlig raus. Und die Türkei und der Libanon, die haben ihre eigenen Probleme."
    Mindestens genauso groß dürfte die Hürde sein, die das niederländische Kabinett am Montag in Brüssel nehmen muss: sich die Unterstützung von Berlin und Paris sichern. Für die Tageszeitung "Volkskrant" ist die Sache klar: Der zuständige Staatssekretär müsse sich darauf gefasst machen, sich den Mund fusselig zu reden. Oder, wie die Niederländer sagen: vom vielen Reden Blasen auf der Zunge zu bekommen.