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Norbert Röttgen zur Nahost-Konferenz
"Das Schlimmste wäre die Gewöhnung"

In Paris beraten heute Vertreter von 28 Staaten und Organisationen über den Nahost-Konflikt und darüber, wie Israelis und Palästinenser zurück an einen Tisch gebracht werden können. "Das Schlimmste, was passieren kann, ist die Gewöhnung an den Status quo", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), im Deutschlandfunk.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.06.2016
    Norbert Röttgen (CDU) spricht im Deutschen Bundestag in Berlin
    Norbert Röttgen (CDU) spricht im Deutschen Bundestag in Berlin (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Ziel bei der Nahost-Konferenz sei es, "die Hauptdarsteller wieder auf die Bühne zu holen", so Röttgen. Das Schlimmste wäre, wenn man sich mit dem Status quo abfinden würde, betonte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.
    Die gestrige Debatte im Bundestag über den Völkermord an den Armeniern bezeichnete Röttgen als gehaltvoll und niveauvoll. In der Türkei gebe es eine nationale Tabuisierung bezüglich der dunklen Kapitel in der Geschichte. Viele Türken seien stark mit ihrem Ehrgefühl beschäftigt. Das müsse man respektieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Eine kraftlose palästinensische Führung, eine nationalistisch geprägte Regierungskoalition in Jerusalem - das Personal weckt kaum Hoffnungen. Dennoch versucht die französische Regierung, innenpolitisch unter Druck, einen Nahost-Friedensprozess anzustoßen. In Paris kommen heute Vertreter von rund 20 Ländern zusammen. Vielleicht keine schlechte Idee, die Konfliktparteien erst einmal außen vor zu lassen. Dennoch kommt es auf Israelis und Palästinenser am Schluss natürlich an.
    Israelis und Palästinenser sind in Paris zunächst einmal nicht mit von der Partie. Am Telefon ist jetzt Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Röttgen, wann haben Sie zuletzt ein Schauspiel ohne Hauptdarsteller gesehen?
    Röttgen: Ja, das ist eine gute Frage. Das habe ich, glaube ich, noch nie. Und hier ist ja auch die ganz besondere Situation, wenn man mal sagt, das Publikum ist die internationale Gemeinschaft, dass dieses Publikum sagt, wir akzeptieren nicht, dass ihr Hauptdarsteller euch eurer Aufgabe entzieht und darum fangen wir jetzt schon mal an und wollen euch auf diese Weise veranlassen, dass ihr wieder auf die Bühne zurückkommt.
    "Auch diese Hoffnung darf man nicht aufgeben"
    Heinemann: Schauen wir auf die Hauptdarsteller. Kein Palästinenserstaat, keine Räumung von Siedlungen, so schallt es aus der israelischen Regierung. Steht Paris für vergebene Liebesmüh?
    Röttgen: Es ist ja auch in der Anmoderation gesagt worden: John Kerry hat alles gegeben über einen langen Zeitraum und ist mit dieser Initiative sozusagen im Sand geendet. Und auch jetzt haben wir noch nicht einmal den Status quo, sondern immer wieder auch Verschlechterungen. Man könnte sagen, Hoffnung wider aller Hoffnung, aber auch diese Hoffnung darf man nicht aufgeben.
    Ich würde etwas vielleicht rationaler sagen: Das Schlimmste was passieren kann ist die Gewöhnung an den Status quo, der eine große Gefahrenquelle ist, und in diesem Aufbäumen dagegen, dass man sich an das gewöhnt, an das man sich nicht gewöhnen darf, nämlich dass nichts passiert, dass es nicht weitergeht, außer die Gewalt, das ist vielleicht der Kern der französischen Initiative.
    "Gewalt ist das, was einen antreibt, dass etwas getan werden muss"
    Heinemann: Stichwort Gewalt. Schauen wir auf die andere Seite. Israelis werden auf offener Straße mit Messern verletzt oder ermordet. Kann man es Jerusalem verdenken, dass die israelische Regierung unter diesen Bedingungen nicht besonders freigiebig ist?
    Röttgen: Es geht ja aus meiner Sicht nicht, dass ich jetzt sage, wer irgendwas verdenkt. Aber es ist eben wieder ein Produkt, nämlich Gewalt, die sich von der organisierten Gewalt im Grunde überträgt auf die Gewalt einzelner, die sich privatisiert und vereinzelt, auch übrigens auf Kinder, die ja oft dann auch Täter sind.
    Es ist auch Ausdruck, ohne dass ich natürlich irgendwas entschuldigen will, was Gewaltanwendung anbelangt, der völligen Perspektivlosigkeit, und diese Perspektivlosigkeit, die wird sich immer weiter und immer wieder in Gewalt äußern. Also ist die Gewalt aus meiner Sicht nicht der Grund, warum man nichts tun sollte, sondern die Gewalt ist das, was einen antreibt, dass etwas getan werden muss.
    Heinemann: Beeinflusst der Krieg in Syrien die real existierende Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern?
    Röttgen: Nach meiner Einschätzung - ich war vor einigen Monaten dort in Israel - ist es eher so, dass die Folge ist, dass zum ersten Mal auch die Israelis verspüren, wir sind nicht mehr im Mittelpunkt, sondern jetzt hat die Weltöffentlichkeit ein anderes Thema, auf das man sich konzentriert, das politische Ressourcen und Energien absorbiert, und wir sind jetzt erstmalig etwas im Windschatten, was dort vielleicht für ein bisschen Erleichterung sorgt, weil man nicht mehr so im Fokus und unter Druck steht, was aber wiederum ein Begleitumstand ist, der den Status quo und die Gewöhnung daran eher erleichtert und auch das ein Grund für eine Initiative.
    Heinemann: Herr Röttgen, im Nahen Osten mischt auch die Türkei mit. Damit zu unserem anderen Thema heute früh. Gestern musste der türkische Botschafter in Berlin den Koffer packen, er wurde zurückgerufen, nachdem der Deutsche Bundestag die Resolution zum Völkermord an den Armeniern verabschiedet hatte.
    Herbert Wehner hat ja immer gesagt, wer rausgeht muss wissen, wie er wieder reinkommt. Glauben Sie, bleibt es in Ankara bei diplomatischen Gesten?
    Röttgen: Ich möchte darüber nicht spekulieren. Es macht auch keinen Sinn und es wäre auch nicht hilfreich. Ich möchte nur noch einmal betonen, ich habe selber ja gestern nicht gesprochen in der Debatte, ich hatte in der ersten vor einem Jahr gesprochen: Das war eine sehr gehaltvolle, niveauvolle Debatte, die in einem Geist von Verantwortung, aber auch in einem freundschaftlichen Geist gehalten wurde. Und darum hat die Debatte und das, was der Bundestag damit wollte, glaube ich, wirklich für sich gesprochen und hat das Beste dazu getan, dass wir verbunden haben einerseits das Pflichtbewusstsein, die Dimension eines solchen Verbrechens auszusprechen, und andererseits aber mit Verantwortung und Perspektive in die Zukunft zu schauen.
    Und jetzt muss man sehen, welche Reaktionen sind das. Dass die Beschäftigung mit einem solchen Verbrechen immer auch Schmerz auslöst der Auseinandersetzung, was vor 100 Jahren stattfand, keine Schuldfrage heute, aber eine Verantwortungsfrage. Wir müssen abwarten.
    Heinemann: Mit welchen politischen Folgen rechnen Sie?
    Röttgen: Es tut mir leid, aber jeder hat so seine Kalkulation, das ist richtig, und Einschätzung. Aber ich möchte darüber mich nicht öffentlich äußern. Wir haben ja die ersten Schritte gesehen diplomatischer Art. Auch die kann man schon interpretieren. Aber ich möchte keine Spekulationen machen.
    Heinemann: Aber ich bleibe noch mal dabei. Entschuldigung! Rechnen Sie damit, dass Erdogan jetzt Äpfel mit Birnen bestraft, dass er mehr Flüchtlinge ausreisen lässt, um sich für den Völkermord zu rächen?
    Röttgen: Ich glaube nicht, dass man mit einem solchen Verhalten rechnen muss.
    "Das ist eine nationale Tabuisierung"
    Heinemann: Was sagt dieser pubertäre Umgang mit Geschichte aus über den Zustand der türkischen Gesellschaft?
    Röttgen: Ich mache mir natürlich das nicht zu eigen. Ich würde es auch wirklich so nicht bezeichnen. Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt darüber ein Urteil haben sollten, wie man die Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung von Geschichte, die lange zurückliegt, bewertet.
    Ich glaube, insgesamt und nicht nur an dieser Stelle gibt es auch ein oftmals auch aus einem Nationalismus geborene Tabuisierung von dunklen Kapiteln in der Geschichte, und in der Regel kommt es dann von innen, dass dieses Tabu aufgebrochen wird. Das erzeugt Konflikte, Schmerzen, und das hat in der Türkei noch nicht stattgefunden. Das ist eine nationale Tabuisierung und man ist sehr stark auch mit der Ehre, dem Ehrgefühl, das aus der Nation folgt, beschäftigt und das müssen wir auch respektieren. Aber wir dürfen gleichzeitig, glaube ich, auch das, was wir an historischer Wahrheit wissen, aussprechen, um unsere Annäherung an die heutige Verantwortung damit zu vollziehen.
    "Bedrohungen sind inakzeptabel"
    Heinemann: Politikerinnen und Politiker - Cem Özdemir hat das gestern Früh hier bei uns geschildert - sind von einem türkischen Mob beschimpft und bedroht worden. Jetzt fragt sich vielleicht doch der eine oder andere Bürger, wieso dürfen solche Leute in Deutschland leben.
    Röttgen: Erstens kann ich davon nicht berichten, auch nicht von einem Kollegen. Aber es hat sicher stattgefunden, weil manche ja auch öffentlich davon gesprochen haben. Aber auch das hat Cem Özdemir, glaube ich, wirklich richtig gesagt: Das sind inakzeptable Bedrohungen.
    Kritik ist immer legitim, Polemik muss man immer hinnehmen und auch anderes. Aber Bedrohungen sind inakzeptabel. Und trotzdem: Wir sind ein freies Parlament. Keiner ist eingeschüchtert. Wir haben in Freiheit dort debattiert und entschieden und in Verantwortung. Wenn es zu Straftatbeständen gekommen ist, dann kann man sie auch verfolgen. Aber wir sind eben ein freies Land. Ich glaube, jeder hat auch gesehen, dass das an den Grundnerv auch von Türken und Türkischstämmigen geht, die in Deutschland leben. Dass es dann inakzeptable vereinzelte Reaktionen gegeben hat, ist vielleicht auch ein Teil der Realität.
    Heinemann: Die Frage war, was haben solche Leute in Deutschland zu suchen?
    Röttgen: Es leben immer in einem Land, in einer Gesellschaft Leute, deren Verhalten sich nicht im Rahmen des Rechts und nicht im Rahmen des Anstandes verhält, und trotzdem werfen wir nicht immer alle gleich raus, sondern wir haben andere Instrumente.
    Heinemann: Aber wie soll das weitergehen? Einige Russlanddeutsche arbeiten hier als Lautsprecher von Putin. Türken übernehmen die Erdogan-Propaganda. Verstehen Sie, dass sich einige Deutsche und auch gut integrierte Einwanderer in diesem Land langsam nicht mehr zuhause fühlen?
    Röttgen: Nein. Das halte ich wiederum auch für eine Übertreibung. Es hat irgendwelche, es hat einige, man kann sie auch nicht quantifizieren, nicht zuordnen, es hat offensichtlich Drohungen gegeben, wie es übrigens ab und zu mal bei Abstimmungen auch Drohungen gibt. Das ist inakzeptabel, vielleicht sogar rechtswidrig, vielleicht sogar strafbar. Das sind die Instrumente einer aufgeklärten Gesellschaft.
    Das was wir im Kern dagegen setzen ist das gelebte Beispiel von Freiheit und Verantwortung, von funktionierendem Parlamentarismus. Das macht doch unser Zuhause aus und das wird nicht infrage gestellt durch inakzeptables, immer ja vereinzeltes Verhalten, sondern wir müssen diesem Verhalten unsere Stärken und unsere Freiheit und unsere Toleranz entgegensetzen.
    "Ausdruck von parlamentarischer Souveränität und Qualität"
    Heinemann: Und dieses gelebte Beispiel für Freiheit sah gestern so aus, dass die Kanzlerin, der Vizekanzler und der Bundesaußenminister nicht im Bundesrat waren. Warum so ängstlich?
    Röttgen: Jeder hat seinen Terminplan.
    Heinemann: Das sagen Sie jetzt nicht im Ernst!
    Röttgen: Bitte? - Ich habe es ja eben gesagt: Die Debatte selber war eine wirklich eindrucksvolle, gehaltvolle Debatte. Und wer auf Auslandsreise ist oder sonst verhindert ist, muss darüber für sich entscheiden. Das ist auch kein Punkt, über den ich mir ein Urteil mache. Aber die Debatte selber war Ausdruck von parlamentarischer Souveränität und von parlamentarischer Qualität, und das, finde ich, ist das Entscheidende.
    Heinemann: Was sagt das aus über die Terminplanung im Kanzleramt, im Bundeswirtschaftsministerium und im Auswärtigen Amt?
    Röttgen: Noch mal: Terminplanungen und Terminkollisionen und übrigens auch unterschiedliche Nuancen in der Bewertung, soll man das machen, soll man das nicht machen, die gehören auch zur Realität einer parlamentarischen Demokratie.
    Heinemann: Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Röttgen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.