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Nordkorea
"Gegenreaktion war noch softere Variante"

Ein Schusswechsel zwischen Nord- und Südkorea an der umstrittenen Seegrenze hat gestern Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation hervorgerufen. Nach Ansicht des Ostasienexperten Rüdiger Frank war die nordkoreanische Reaktion auf das Manöver des verfeindeten Nachbarlandes noch vergleisweise harmlos. Beunruhigender sei die Ankündigung eines weiteren Atomtests, sagte Frank im DLF.

Rüdiger Frank im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.04.2014
    Die gigantisch großen Bronzestatuen von Staatsgründer Kim Il Sung (l) und seinem Sohn und Nachfolger Kim Jong Il in Pjöngjang.
    Eifert seinen Vorgängern Kim Il Sung (l) und Kim Jong Il nach: Kim Jong Un (MAXPPP, dpa)
    Friedbert Meurer: Rüdiger Frank ist Koreanist, Professor für Ostasien an der Universität Wien in Österreich. Guten Morgen, Herr Frank.
    Rüdiger Frank: Schönen guten Morgen!
    Meurer: Sind das gestern eingespielte Rituale gewesen, oder mehr?
    Frank: Bedauerlicherweise muss man das so sagen. Es finden ja jedes Jahr im Frühjahr diese amerikanisch-südkoreanischen Manöver statt, vom Februar bis in den April hinein, wo hunderttausende Soldaten teilnehmen auf südkoreanischer Seite. Die Nordkoreaner protestieren regelmäßig dagegen, fordern, die Manöver abzusetzen. Das wird genauso oft ignoriert. Und wenn man dagegen protestiert, muss man aus der Logik von Pjöngjang heraus dann auch irgendwo zeigen, dass man unzufrieden ist, dass die Manöver doch stattfinden. Und da finde ich so ein paar Geschosse, die da ins Meer plumpsen, ist noch die softere Variante von einer Gegenreaktion.
    Meurer: Was ist die härtere Variante?
    Frank: Die härtere Variante hatten wir 2010. Als eine südkoreanische Insel oder eine Insel, wo südkoreanische Menschen drauf leben, die von Nordkorea auch zum Teil beansprucht wird, direkt beschossen wurde, sind vier Menschen ums Leben gekommen. Und natürlich die Ankündigung dieses Atomtests ist durchaus beunruhigend, weil man in der offiziellen Verlautbarung auch von einer neuartigen Art von Atomwaffe oder Atomtest gesprochen hat. Da kann man jetzt spekulieren, was das Ganze zu bedeuten hat, aber es zeigt doch, dass Nordkorea kontinuierlich daran arbeitet, seine atomaren Kapazitäten auszubauen. Und das finde ich beunruhigender als diese Granaten da im Westmeer.
    Meurer: Wo steht Nordkorea im Moment beim Ausbau oder bei der Entwicklung der Atomwaffe?
    Frank: Ja, das ist natürlich eine sehr interessante Frage. Ich habe darüber keine detaillierten Informationen. Ich verlasse mich da auf das, was die Nordkoreaner uns mitteilen, beziehungsweise Nuklearexperten wie Siegfried Hecker von der Stanford University, der mehrfach die Atomanlagen dort besucht hat. Und es sieht so aus, als ob die Nordkoreaner Plutonium genügender Menge angereichert haben für einige Sprengköpfe. Was allerdings das größere Problem ist, ist die Uran-Anreicherung, wo entsprechende Anlagen auch besichtigt worden sind. Und ich gehe davon aus, dass dann möglicherweise der nächste Atomtest irgendwas mit angereichertem Uran 235 zu tun hat.
    Meurer: Nordkorea ist ja vom Rest der Welt abgeschnitten, schneidet sich selbst ab vom Rest der Welt. Das Verhältnis zu China ist nicht mehr so gut. Ist Nordkorea denn in der Lage, diese atomaren militärischen Kapazitäten aufzubauen, ohne irgendwelche Lieferungen, Hilfe von außen?
    Frank: Das Verhältnis zu China war nie besonders gut. Darüber sollte man sich nicht hinweg täuschen. Das war immer eine Art Zweckgemeinschaft, wirklich enge Liebe hat da nie bestanden. Alles was sich geändert hat in den letzten ein, zwei Jahren ist, dass die chinesische Öffentlichkeitsarbeit eine andere geworden ist. Am Verhältnis hat sich, glaube ich, nicht allzu viel getan.
    Was die nordkoreanische Kapazität angeht, so was selbst auf die Reihe zu bringen: Als ich als Kind in den 70er-Jahren in der Sowjetunion gelebt habe, in Dubna, im dortigen Atomforschungszentrum, weil mein Vater dort zufällig gearbeitet hat, waren dort bereits nordkoreanische Wissenschaftler zugange. Das heißt, man arbeitet seit Jahrzehnten daran, die entsprechenden Fähigkeiten sich zu erwerben. Nordkorea hat eine Wirtschaft, die sehr autark ist, sehr auf Autarkie ausgerichtet. Man kann also davon ausgehen, dass sie auch das meiste an der Hardware selber herstellen können. Ich habe keine wirklichen Zweifel daran, auch angesichts der Ereignisse der letzten Jahre, seit dem ersten Test 2006, dass Nordkorea tatsächlich eigene Kapazitäten hat, um derartige Waffen zu produzieren.
    Porträt-Bild von Rüdiger Frank, Ostasien-Experte an der Universität in Wien.
    Rüdiger Frank, Ostasien-Experte an der Universität in Wien. (picture alliance / dpa / Uni Wien)
    Meurer: Nordkorea braucht da gar nicht die Hilfe Chinas?
    Frank: Nicht notwendigerweise. Sie brauchen die Hilfe Chinas natürlich für andere Dinge. Nordkorea hat kein Erdöl, China ist der wichtigste Erdöllieferant. China ist so gut wie der einzige große Außenhandelspartner Nordkoreas. Es gibt einen Außenhandelsumsatz von ungefähr sechs bis sieben Milliarden Dollar pro Jahr, wo speziell Rohstoffe aus Nordkorea nach China verkauft werden. Und die Devisen, die da auf dem Wege zurückfließen, braucht das Land schon recht dringend. Aber für diese speziellen technischen Fragen nicht. Und es würde mich auch sehr wundern, wenn die Chinesen freiwillig solche Informationen an Nordkorea weitergeben würden.
    Meurer: Sie haben gerade ein bisschen über Ihren persönlichen Hintergrund erzählt. Sie haben mit Ihren Eltern in der Sowjetunion gelebt. Sie sind in der DDR aufgewachsen und Sie waren auch, ich sage mal, in einer dritten Diktatur, nämlich ein Jahr lang in den 90er-Jahren in Pjöngjang. Wenn Sie jetzt die Meldungen der vergangenen Tage lesen, die die ganze Welt aufgegriffen hat, dass Kim Jong-un den Männern seines Landes, den jungen Männern vorschreibt, genau die gleiche Haarfrisur zu tragen wie er, also absolute Normierung, jeder soll gleich auf dem Kopf sein, was haben Sie da gedacht?
    Frank: Vielleicht nur der Vollständigkeit halber: Es war ein halbes Jahr an der Kim Il-sung Universität 1991, kein ganzes. – Diese Haargeschichte, ich glaube ganz ehrlich, das sagt mehr über uns und unsere Medien aus als über Nordkorea.
    Meurer: Es ist nur ein Gerücht, es stimmt überhaupt nicht?
    Frank: Na ja, jein. Überall ist immer ein Körnchen Wahrheit drin. Es ist in Nordkorea schon so, dass der Staat eine bestimmte Vorstellung davon hat, wie Männlein und Weiblein auf dem Kopf auszusehen haben. Und da hängen auch in den Friseursalons oder an den Universitäten direkt Fotos aus mit einer Reihe von zehn oder so was politisch korrekten Haarschnitten. Und da darf man sich dann einen aussuchen. Bestimmte Dinge sind tatsächlich verboten: Man mag keine langen Haare bei Männern, man möchte keine gefärbten Haare, man will nicht, dass die Nordkoreaner aussehen wie südkoreanische Girl Bands oder so ähnlich. Das möchte man also nicht, das betrachtet man als westlich dekadent. Aber dass nun alle jetzt da sich den Kopf ausrasieren müssen wie Kim Jong-un, ist völliger Blödsinn.
    Meurer: Was Sie eben angedeutet haben, projizieren wir da irgendetwas, was so nicht stimmt Ihrer Ansicht nach?
    Frank: Aber ja, natürlich! Ich glaube, der Mensch ist einfach so. Ich meine, das geht bei Märchen los, da gibt es Gut und Böse. Ich weiß nicht, wie diese Prägung kommt. Ich bin kein Psychologe. Aber die Menschen scheinen, irgendwo ein Bedürfnis danach zu haben, relativ klar in Schwarz und Weiß zu differenzieren, Gut und Böse. Wir haben uns darauf geeinigt, die Nordkoreaner gehören zu den Bösen. Wir lachen über George Bush, der das als Achse des Bösen bezeichnet hat, aber im Prinzip machen wir unwillkürlich ziemlich genau das gleiche. Und wenn dieses Bild einmal da ist, dann sind wir auch geneigt, bestimmte abstruse Nachrichten zu glauben, einfach weil sie in dieses Schema passen. In gewissem Sinne werden wir da, wir als die Öffentlichkeit im Westen, Opfer unserer eigenen Propaganda. Nordkorea ist sicher ein Land, das man zurecht und ausgiebig kritisieren muss, aber wir schießen dabei wirklich sehr oft übers Ziel hinaus. Und ich finde das auch nicht wirklich zielführend, muss ich ehrlich sagen, weil so ein System ...
    Meurer: Nur das ist jetzt ein interessanter Punkt, Herr Frank. Dass wir das Bild haben, Nordkorea kontrolliert auch die Köpfe der Menschen, das kommt ja auch daher, wenn wir Videoaufnahmen sehen, Bilder, wie Tausende Nordkoreaner bis auf den Millimeter exakt links, rechts, vorne, hintereinander stehen, Choreographien anfertigen, die weit entfernt von jedem Individualismus sind. Gibt es da noch Individualität?
    Frank: Aber ja. Ich meine, man muss schon sagen, solche Massenaufmärsche ebenso wie Uniformen und gemeinsames Singen und gemeinsames Rufen, das sind Instrumente, wie Sie sie in jedem Militär finden, ganz klar darauf abzielend, die Individualität des Menschen zu unterdrücken, ihn zum Teil eines Kollektivs zu machen. Das ist klar. Die Logik kennen wir seit Hannah Arendt, wie so was funktioniert. Aber natürlich gibt es auch die andere Seite Nordkoreas. Und das sieht man bei uns in den Medien eher selten. Da sind Menschen, die streiten sich, die heiraten, die verlieben sich, die sind unglücklich, die haben Kinder, die haben Ambitionen. Ich will nicht sagen, so wie wir, weil die Unterschiede einfach doch zu groß sind. Aber vom Grundprinzip her sollte man sich an den Gedanken gewöhnen, dass auch die Menschen in Nordkorea ihr Leben leben. Sonst gäbe es das System nicht mehr. 25 Millionen Menschen lassen sich das nicht einfach so gefallen, sondern da muss es auch noch etwas anderes geben, was das System zusammenhält. Und das übersehen wir sehr oft.
    Meurer: Rüdiger Frank, Ostasien-Experte, zu den militärischen Scharmützeln gestern zwischen Nord- und Südkorea und zu den kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten von Nordkorea, oder eben auch nicht Besonderheiten. Herr Frank, danke schön nach Wien, auf Wiederhören!
    Frank: Alles Gute, auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.