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Normenkontrollrat
"Nicht nur die Kosten betrachten, sondern auch den Nutzen"

Bei der Beurteilung neuer Gesetze sollten nicht nur die Folgenkosten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung betrachtet werden, sagte der Vorsitzende des nationalen Normenkrontrollrats Johannes Ludewig im DLF. Auch Aspekte wie soziale Gerechtigkeit sollten eine Rolle spielen. Man habe dies mit den Ministerien zwar mehrfach diskutiert, sei dabei aber auf wenig Gegenliebe gestoßen.

Johannes Ludewig im Gespräch mit Silvia Engels | 06.10.2014
    Johannes Ludewig, Vorsitzender Normenkontrollrat.
    Alleine durch die elektronische Rechnungsstellung konnten Milliarden eingespart werden, berichtet Johannes Ludewig vom Normenkontrollrat. Der Rat berät die Bundesregierung dabei, überflüssige Gesetze und schädliche Bürokratiestrukturen abzubauen. (dpa / picture-alliance / Henning Kaiser)
    Silvia Engels: Im Jahr 2006 war es, da berief die damalige Bundesregierung den Normenkontrollrat ein. Das Gremium mit dem sperrigen Titel setzt sich aus unabhängigen Fachleuten zusammen. Es hat die Aufgabe, die Bundesregierung dabei zu beraten und zu kontrollieren, überflüssige Gesetze und schädliche Bürokratiestrukturen abzubauen. Einmal im Jahr legt die zehnköpfige Runde der Bundesregierung einen Bericht vor. Heute ist es wieder so weit.
    Am Telefon ist der frühere Bahnchef und heutige Vorsitzende des Normenkontrollrates, Johannes Ludewig. Guten Morgen!
    Johannes Ludewig: Schönen guten Morgen!
    Engels: Was schreiben Sie denn der Regierung dieses Mal als dringendste Hausaufgabe in den Bericht?
    Ludewig: Wir schreiben in den Bericht, damit beginnen wir auch, dass der sogenannte Erfüllungsaufwand, also der Aufwand, der aus Gesetzgebung entsteht, dass der zuletzt deutlich gestiegen ist und dass das natürlich ein Problem ist aus unserer Sicht, weil an sich das Ziel ja darin besteht, die Gesetzgebung, die wir machen, mit möglichst wenig Aufwand und Folgekosten für Bürger und Unternehmen einhergehen zu lassen.
    "Gesetzte Ziele mit möglichst wenig Aufwand erreichen"
    Und deswegen die Bitte und auch die Ermahnung an die Politik auf diesen Punkt, dass man gesetzte Ziele mit möglichst wenig Aufwand erreicht, dem doch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als das in den letzten zwölf Monaten der Fall war.
    Engels: Haben Sie denn ein Beispiel, wo es besonders schwer ist, so ein Gesetz möglichst unaufwendig umzusetzen?
    Ludewig: Der krasseste Fall, den wir überhaupt in all den Jahren gehabt haben, war gerade in den letzten Monaten. Das war das Gesetz, mit dem der Mindestlohn eingeführt worden ist. Der Mindestlohn hat Folgekosten von über neun Milliarden, eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft in Deutschland von über neun Milliarden Euro, und das ist etwas, was es in dieser Größenordnung bisher, seitdem wir das machen, noch nicht gegeben hat.
    Gut, das ist eine politische Entscheidung, ob man einen Mindestlohn einführen will oder nicht. Aber man muss auch sehen, wenn man bestimmte Entscheidungen trifft, mit welchen Folgekosten dieses verbunden ist. In diesem Fall ist das das krasseste Beispiel, was wir, seitdem wir diese Arbeit machen, immerhin acht Jahre, überhaupt gehabt haben.
    Welche Folgekosten ergeben sich aus neuen Gesetzen?
    Engels: Wenn Sie sagen, neun Milliarden Mehraufwand bei Einführung des Mindestlohns, beziehen Sie sich dann darauf, was nun die Wirtschaft zu zahlen hat, oder ist das einfach der Bürokratieaufwand, der nun für die Betriebe dazukommt?
    Ludewig: Nein, nein. Unser Mandat bezieht sich ja nicht nur auf Bürokratie. Wenn Sie mal die Folgekosten, die sich aus Gesetzgebung ergeben, ist der Bürokratieaufwand - - Bürokratie heißt ja, wenn wir es mal streng nehmen, durch Gesetz auferlegte Informationspflichten. Das ist der kleinere Teil, sondern das Mandat, das wir haben, ist 2010 erweitert worden, weil man gesehen hat, dass die Unternehmen nicht fragen, ist es jetzt Bürokratie oder andere Kosten, sondern die sagen, aha, da kommt ein Gesetz, und welche Kosten ergeben sich jetzt zusätzlich aus diesem Gesetz.
    Seitdem sprechen wir von Bürokratie, aber vor allen Dingen von Erfüllungsaufwand. Das heißt, die gesamten zusätzlichen Kosten für Bürger, Unternehmen und Verwaltung, die sich aus einer Gesetzgebung ergeben. Hier bei dem Mindestlohn sind das klassische Folgekosten, weil alle Unternehmen in Deutschland, die solche Löhne gezahlt haben, höhere Löhne zahlen müssen. Das ist ein Zusatzaufwand, wie gesagt, in einer Größenordnung von über neun Milliarden Euro.
    "Neben Kosten auch die Nutzen betrachten"
    Engels: Aber müssten Sie dann auch nicht die Gegenrechnung aufmachen? Einerseits werden Unternehmen belastet, auf der anderen Seite führt ja die Bundesregierung soziale Gerechtigkeit und mehr Geld für untere Einkommensgruppen ins Feld.
    Ludewig: Das ist eine gute Frage. Das haben wir auch schon mehrfach aufgeworfen, dass man vielleicht nicht nur die Kosten betrachtet, sondern auch den Nutzen. Wir haben das auch mit den Ministerien mehrfach diskutiert, sind dabei aber bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen, wobei man zugeben muss, Kosten zu quantifizieren ist leichter, als Nutzen zu quantifizieren.
    Zum Beispiel wenn Sie in der Gesundheitspolitik Maßnahmen einführen, die für bestimmte Patientengruppen vielleicht zu einer Verlängerung des Lebens führen können, wie bewerten Sie ein zusätzliches Jahr, was man dafür vielleicht an Lebenserwartung gewinnen kann. Das ist sehr schwer zu quantifizieren. Es gibt aber andere Bereiche, wo man das machen kann, und ich bin völlig bei Ihnen, auch eine Überlegung des Normenkontrollrates, die wir auch der Regierung vorgeschlagen haben, dass man neben die Kostenbetrachtung auch eine intensivere Nutzenbetrachtung stellt, damit man dann wirklich zu einer vernünftigen Abwägung kommen kann.
    "Bürokratie durch Pauschalisierung verringern"
    Engels: Das war jetzt der Blick auf die generellen Folgewirkungen von Gesetzen. Die ist ja auch durchaus gewünscht. Daneben gibt es ja auch immer den Vorwurf an das deutsche Gesetzeswesen, es sei zu kompliziert, es sei zu bemüht, zu viele Details zu regeln, und deshalb zu kompliziert und es führe nachher zu überhaupt keinen Ergebnissen oder solchen, die keiner gewünscht hat. Stimmt das?
    Ludewig: Ja, natürlich. Da ist was dran. Je mehr Sie allgemeine Pauschalregelungen treffen, desto einfacher oder geringer sind natürlich die Kosten, die damit einhergehen. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Wir haben uns sehr intensiv zum Beispiel mit dem BAFÖG auseinandergesetzt und bei BAFÖG-Berechnungen werden auch pauschal Kosten berechnet, was kostet die Wohnung für den Studenten in bestimmten Regionen und Bereichen, und ähnliche Dinge mehr.
    Wir haben gesagt, lasst das doch pauschalisieren, generell entweder nach wenigen Gruppen in Deutschland, wenigen Regionen, oder generell überhaupt, damit das mit der ganzen Berechnung einfacher wird und man nicht für jeden Ort und jede Universitätsstadt das neu berechnet. Das ist so ein Fall, der zeigt, wie man dann durch Vereinfachung, Pauschalisierung den ganzen Aufwand, der damit einhergeht, also die Bürokratie im engeren Sinne, verringern kann, und das fällt doch oft schwer, weil da kommt sofort die Frage der Gerechtigkeit, ist das alles gerecht. Überhaupt, wie ich finde, eines der am meisten strapazierten Worte, die wir haben. Und dann wird es kompliziert, wenn man sagt, es muss aber in jedem Einzelfall gerecht zugehen und der eine darf da nicht irgendwie zu einem Vorteil kommen gegenüber einem anderen, und das ist schon ein Problem bei uns.
    "Kosten bei Gesetzgebung bewusst klarmachen"
    Engels: Sie sind ja von Anfang an dabei im Normenkontrollrat, seit 2006 also. Sehen Sie denn mittlerweile auch Erfolge bei der Lichtung dieses Gesetzes- und Bürokratie-Dschungels, den es ja zuweilen gibt, oder erleben Sie immer wieder Beispiele, wie gerade geschildert rund ums BAFÖG?
    Ludewig: Nein, nein. Beim BAFÖG übrigens haben wir uns dann durchgesetzt. Das ist dann auch gemacht worden. Wir haben da Vorschläge gemacht. Gerade in der jetzt laufenden Novelle werden die letzten Vorschläge, die wir damals gemacht haben - das ist jetzt zweieinhalb Jahre her -, umgesetzt. Das geht dann schon in die richtige Richtung.
    Der große Vorteil ist heute, dass in Deutschland bei jedem Gesetz, was heute vorgeschlagen wird, was in den Bundestag kommt oder ins Bundeskabinett, darunter Zahlen stehen. Das heißt, dass jeder, der Verantwortung hat, Bundesregierung und dann auch die Parlamentarier, wissen - und das war der Sinn der ganzen Übung -, was sie eigentlich beschließen. Ich bin selbst, war ja früher lange in der Regierung, etwas erschrocken, jahrzehntelang ist das in Deutschland immer gemacht worden: Keiner wusste eigentlich, was die Folgekosten sind. Das ist heute anders.
    Bei uns werden heute zu 95 Prozent die Kosten quantifiziert, die stehen drunter, dann weiß jeder, was passiert. Das war übrigens auch beim Mindestlohn interessant. Viele Leute fanden das eine prima Idee, aber wenige hatten sich darüber Gedanken gemacht, was bedeutet das eigentlich. Und als dann einige Leute die Zahlen sahen von neun und etwas Milliarden, war doch ein gewisser Aha-Effekt damit verbunden. Das ist eigentlich der große Vorteil, das Kostenbewusstsein. Wenn man Gesetze macht, immer mitdenkt, was bedeutet das eigentlich für den Bürger, für das Unternehmen, für die Verwaltung, da sind wir doch deutlich vorangekommen.
    "Bürokratieaufwand um zwölfeinhalb Milliarden gesunken"
    Und wenn wir dem jetzt noch - das haben sie angesprochen - auch den Nutzen stärker als bisher gegenüberstellen würden, dann kommen wir doch in der Qualität dessen, was hier diskutiert und dann auch verabschiedet wird, deutlich voran. Wir sind auch im Vergleich zu anderen Ländern in Europa da sicher deutlich mit vorne dabei, und insofern, denke ich mir, in der gesamten Gesetzgebungskultur, das bewusst sich klar machen, was man eigentlich tut und welche Kosten man mit seinem Handeln verursacht, da sind wir doch einen deutlichen Schritt weitergekommen. Und die Bundesregierung - das will ich noch erwähnen - hat ja 2006, als es losging, ein 25 Prozent Bürokratieabbau-Ziel für die Wirtschaft festgelegt. Dieses ist umgesetzt worden. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel.
    Es sind immerhin zwölfeinhalb Milliarden, um die der Bürokratieaufwand gesunken ist. Ein Beispiel war die elektronische Rechnungstellung. Heute können Unternehmen ihren Kunden Rechnungen elektronisch zustellen und können damit, weil das ja unendlich viel einfacher ist, Milliarden einsparen und können trotzdem den entsprechenden Mehrwertsteuerabzug beim Finanzamt mit dieser elektronischen Rechnungszustellung geltend machen. Das ist ein ganz großer Fortschritt gewesen.
    Insofern gibt es durchaus nicht nur Licht am Ende des Tunnels, sondern eine ganze Menge, was sich in die positive Richtung bewegt, und daran wollen wir weiterarbeiten, so wie Sie es gesagt haben. Wir haben noch einen Vorschlag, wenn ich das erwähnen darf, der wichtig ist, der auch im Prinzip akzeptiert ist, dass man nicht nur guckt heute, wenn ein Gesetz kommt, wie viel Kosten gehen damit einher, wenn wir es verabschieden. Interessant ist: In der ganzen deutschen Rechtsgeschichte hat noch nie jemand früher systematisch nachgeguckt nach zwei, drei Jahren, was ist denn aus dem Gesetz eigentlich geworden. Hat es sich bewährt, welche Kosten sind denn damit eigentlich entstanden.
    Engels: Herr Ludewig, das ist ein gutes Schlusswort, denn damit müssen wir jetzt Schluss machen. Ich denke, dass Sie jetzt auch bei dieser Kontrolle weitere Fortschritte machen. Sie sind Vorsitzender des Normenkontrollrates. Wir sprachen über Ihren aktuellen Bericht. Jetzt folgen die Nachrichten, deswegen müssen wir hier einen Punkt setzen. Vielen Dank für das Gespräch.
    Ludewig: Aber gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.