In der Nacht zu Mittwoch war durch die Enthüllungsplattform Wikileaks bekannt geworden, dass der amerikanische Geheimdienst NSA über Jahre hinweg die französischen Präsidenten abgehört hatte. Das sei "nicht überraschend", sagte Brantner. "Das einzige, was daran überrascht, ist die Tatsache, dass das in Frankreich mit Verwunderung aufgenommen wurde", sagte Brantner.
Brantner ist Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. "Wenn der BND eine Rolle gespielt hat, könnte das Thema interessant werden. Das könnte noch mal zu einer anderen Debatte in Deutschland führen", sagte sie. "Der Druck aus Frankreich wird größer als der aus Deutschland sein, wenn jemand mit deutscher Hilfe abgehört wurde."
Dass die Spionage der NSA in Europa überhaupt Folgen hat, glaubt sie kaum. "Ich bin gespannt, ob es überhaupt zu Schlussfolgerungen führt oder zu keinen - wie bei uns." Wieder sei die Spionage "inakzeptabel" genannt worden, an der Kooperation ändere sich jedoch nichts.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Abhören unter Freunden, das geht gar nicht. Dieser viel zitierte Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel war ihre Reaktion auf die Informationen, dass der US-Geheimdienst NSA ihr Handy abgehört hat. Inakzeptabel, das ist die eindeutige Reaktion heute aus dem Pariser Elysee-Palast auf die Information der Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks, dass die NSA schon seit Jahren hohe französische Politiker abgehört haben soll.
Mitgehört hat Franziska Brantner von den Grünen. Sie ist Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Guten Tag, Frau Brantner.
Franziska Brantner: Guten Tag, Frau Kaess.
Kaess: Nach diesen Informationen zu Abhörungen über Angela Merkels Handy, waren Sie noch überrascht, dass die NSA auch französische hohe Politiker abgehört haben soll?
Brantner: Ehrlich gesagt nicht. Es wurde ja gerade schon erwähnt, es wurde ja auch schon laut, dass aus Deutschland noch andere Mitgliedsländer der EU mit überwacht wurden. Von daher hat mich das nicht sehr überrascht. Eher hat mich überrascht, dass in Frankreich das doch mit großer Verwunderung aufgenommen wurde und, wie gerade schon erwähnt wurde, die Erfahrungen aus Deutschland bis jetzt in Frankreich in der ganzen Debatte um die Geheimdienste bewusst eher eine kleinere Rolle gespielt haben.
Kaess: Jetzt heißt es aus Washington, es gebe grundsätzlich keine Überwachungen im Ausland, wenn es nicht entsprechende Interessen der nationalen Sicherheit gebe. Welche Interessen könnte die NSA denn bei Frankreich haben, gerade vor dem Hintergrund, dass die USA und Frankreich ja gerade im Kampf gegen Terrorismus enge Partner sind?
Brantner: Diese Frage stellen sich ja alle gerade in Frankreich und viele vermuten durchaus auch teilweise Wirtschaftsinteressen. Das ist noch ein Bereich, über den in den nächsten Tagen auch noch mehr Enthüllungen kommen werden, Wirtschaftsspionage, die anscheinend durchaus sehr wichtig ist in dem Bereich. Andere vermuten, dass es durchaus auch manchmal Differenzen zwischen Frankreich und den USA gibt in einigen Sicherheitsfragen und da die Amerikaner dann vielleicht doch Interesse an sicherheitspolitischen Fragen und Abwägungen hatten von höchsten Politikern. Aber es ist klar, das sagt Frankreich ja auch selbst, dass man unter Partnern, die gut in Terrorismusbekämpfung an sich kooperieren, vielleicht auch zu gut, man dann doch Grenzen haben sollte.
Kaess: Die Reaktion von Francois Hollande ist jetzt, wir müssen diese Informationen prüfen und dann zweckdienliche Schlussfolgerungen daraus ziehen. Mit welchen Schlussfolgerungen rechnen Sie?
Brantner: Ich bin mal gespannt, ob das wirklich zu Schlussfolgerungen führt, oder ähnlich wie bei uns auch nicht zu großen Schlussfolgerungen führt. In Frankreich bringen jetzt einige Politiker in den Raum, dass man eigentlich ein Abkommen bräuchte zwischen allen Alliierten, also auch Deutschland, Frankreich, den anderen und den USA über den Umgang mit Spionage unter den Gleichgesinnten, dass man da gemeinsam herangehen müsste und verhandelt. Das könnte vielleicht auch in Deutschlands Interesse sein. Ansonsten aber hört man auch schon von französischer offizieller Seite, dass es zwar inakzeptabel ist, aber dass man natürlich trotzdem an der Kooperation beibehalten möchte. Von daher bin ich mal gespannt. Es wird ja heute auch dieses große Geheimdienstgesetz verabschiedet, wo Frankreich ja selber vorhat, definitiv mehr abzuhören. Ich bin da noch nicht so zuversichtlich, ob aus der Empörung in Frankreich auch wirklich dann was folgt.
"Image der Sozialisten könnte sich weiter verschlechtern"
Kaess: Auf dieses neue Gesetz können wir gleich noch eingehen. Aber ich habe noch eine Rückfrage zu diesem sogenannten No-Spy-Abkommen, das Deutschland ja auch versucht hat, und jetzt diese Informationen, die rausgekommen sind. Demnach soll wohl auch der damalige Präsident Sarkozy sich schon 2012 darum bemüht haben, auch erfolglos. Diese "Machtlosigkeit" gegenüber den USA und eventuell Versuche, die jetzt auch wieder ins Leere laufen könnten, da eine andere Zusammenarbeit zu bekommen, glauben Sie, das könnte das Image der regierenden Sozialisten weiter verschlechtern, oder mit welchen Reaktionen aus der Bevölkerung rechnen Sie denn?
Brantner: Ja, das glaube ich absolut. Man hat ja auch schon gehört von Marine Le Pen, die gesagt hat, Abhören unter Freunden ist der falsche Satz, weil die USA sind auch keine Freunde mehr. Da wird eine ganz andere Tonlage angeschlagen. Ich glaube, die werden das versuchen, auch in diese Richtung zu nutzen. Auch Mélanchon, der sagt, jetzt kein TTIP. Ich glaube, das wird politisch sehr stark aufgeladen, und wenn da noch mehr in Richtung Wirtschaftsspionage kommt, dann wird es, glaube ich, auch noch mal einen anderen Druck geben auf die sozialistische Regierung. Davon bin ich überzeugt. Eher von den Rändern; ich weiß nicht, ob Sarkozy das persönlich jetzt nutzen wird. Er wird bestimmt reagieren. Aber die machen ja auch mit bei dieser Frage der Geheimdienste und der Ausweitung der Macht. Aber ich glaube, das wird auf jeden Fall in Frankreich einen immer existierenden latenten Antiamerikanismus wesentlich stärken. Davon gehe ich erst mal aus.
Kaess: Es gibt einen kleinen Dreh, der die deutsch-französischen Beziehungen betrifft. Es heißt in Abhörinfos aus dem Jahr 2012 hätte sich Hollande enttäuscht über Bundeskanzlerin Merkel geäußert. Es ging damals um den Fiskalpakt und Griechenland. Ist das Schnee von gestern, weil die deutsch-französischen Beziehungen mittlerweile viel besser geworden sind?
Brantner: Ich glaube, dass das auch keinen wirklich überrascht hat. Ich glaube, es wussten und wissen alle, dass Hollande da auch eine andere Position hatte als Merkel.
Kaess: Aber was im Moment keine Rolle mehr spielt?
Brantner: Was momentan keine Rolle mehr spielt, weil man ja an Griechenland gerade sich versucht und es gemeinsame deutsch-französische Gespräche gibt, wie man in Zukunft mit dem Fiskalvertrag umgeht. Ich glaube, da ist die politische Diskussion zum Beispiel um den Fiskalvertrag weiter, und ich glaube nicht, dass es Frau Merkel überrascht hat, dass Hollande da vielleicht auch enttäuscht war.
Kaess: Aber was denn, wenn sich herausstellen sollte, dass der BND hier geholfen haben könnte bei diesen Abhöraktionen?
Brantner: Das ist, glaube ich, noch eine relevante Frage, welche Rolle der BND gespielt hat. Deswegen ist ja auch die Selektorenliste in Deutschland so wichtig, weil man da ja auch viel darüber herausbekommen könnte. Die war übrigens auch Thema heute in Frankreich, diese Selektorenliste, wie Deutsche da wirklich noch mal eine andere Debatte für uns in Deutschland führen, was andere auch einfordern, dass sie darüber einfach besser Bescheid wissen. Ich glaube, dann wäre in den deutsch-französischen Beziehungen schon auch ein Knacks drin. Dann müsste man auf jeden Fall, glaube ich, auch aus Deutschland dann Antworten darauf geben. Das könnte man nicht einfach wegtun und sagen, na ja, das sind halt die Franzosen. Ich glaube, das ginge nicht. Und der Druck wird höher, glaube ich, auch aus Frankreich auf Deutschland, darüber Klarheit zu schaffen, wer genau mit deutscher Hilfe abgehört wurde.
Kaess: Noch kurz zum Schluss. Sie haben es gerade schon angesprochen, dass in der französischen Nationalversammlung heute die Verabschiedung dieses neuen Geheimdienstgesetzes geplant ist. Das räumt den Geheimdiensten viel mehr Befugnisse ein bei der Überwachung der Bürger. Ist diese Meldung von heute Morgen, diese Enthüllungen, ist das noch mal Wasser auf die Mühlen der Kritiker dieses neuen Gesetzes?
Brantner: Ich glaube schon und ich glaube auch, dass es vom Timing her auch nicht komplett unbewusst ist. Mediapart ist ja auch ein politischer Akteur, der häufig so was dann platziert, und es gab ja eine heftige Debatte darüber in Frankreich, wie weit man die Ausweitung der Abhörmöglichkeiten schafft und nicht eine unbedingt stärkere demokratische Kontrolle der Geheimdienste. Und wenn man das sieht vor der Folie auch Deutschlands, brauchen wir eigentlich jetzt eine gemeinsame Debatte in Europa über diese Fragen Geheimdienste, demokratische Kontrolle, was ist überhaupt möglich. Ich glaube, in Frankreich ist die Angst nicht ganz so groß wie in Deutschland, aber der Unwille, irgendwie alles dem Staat preiszugeben, existiert auch, und diese Enthüllungen zeigen jetzt natürlich schon noch mal, dass man hier nicht nur bei den anderen kritisieren kann, was man vielleicht selber auch macht. Diese Fragen stellt man sich in Frankreich jetzt schon, wenn man in die Zeitungen guckt. In den Online-Foren wird diese Verknüpfung natürlich hergestellt und das macht es Hollande nicht einfacher, dieses Gesetz, was ja auch relativ schnell nach dem Charlie-Hebdo-Attentaten gestrickt wurde, heute jetzt durchzubekommen und sein Ansehen wird dadurch, glaube ich, nicht unbedingt besser.
Kaess: Franziska Brantner war das von den Grünen. Sie ist Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Danke für das Gespräch, Frau Brantner.
Brantner: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.