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NSA-Spionage in Frankreich
"Wir fühlen uns auch geschmeichelt"

Dass der US-Geheimdienst NSA französische Präsidenten ausgespäht hat, könne man auch positiv sehen, sagte Henri Ménudier von der Universität Sorbonne im DLF. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers unterstreicht die Spionage die Bedeutung Frankreichs. Die Empörung im Land sei zum Teil gespielt.

Henri Ménudier im Gespräch mit Dirk Müller | 25.06.2015
    Der französische Präsident Hollande telefoniert am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel mit seinem Handy.
    Der französische Präsident Hollande telefoniert mit seinem Handy (AFP / Alain Jocard)
    Natürlich sei man enttäuscht, dass man als Partner ausspioniert wurde. "Solche Sitten sind aber seit längerer Zeit bekannt", sagte Ménudier im Deutschlandfunk.
    Er fügte hinzu, in Frankreich habe es eine Schadenfreude gegeben, als bekannt wurde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgehört worden war. Merkel sei ausspioniert worden, weil sie das wichtigste Führungsmitglied in Europa sei. Dass nun auch die französischen Präsidenten abgehört wurden, zeige, dass Frankreich auch ein wichtiges Land sei. "Wir fühlen uns eigentlich auch geschmeichelt", sagte Ménudier. Es gebe nun eine Art Gleichheit zwischen Deutschland und Frankreich.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht - ein viel zitierter Satz von Angela Merkel vom Oktober 2013. Nun, im Juni 2015, heißt der Satz in erweiterter Form: Ausspionieren unter Verbündeten ist inakzeptabel. Er stammt von Francois Hollande und auch der französische Staatspräsident meint damit die NSA und damit die amerikanische Regierung. Die Empörung, die Verärgerung ist groß in Frankreich über die neuen Wikileaks-Dokumente, Aufzeichnungen, die klar machen, dass der amerikanische Geheimdienst über viele Jahre auch Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und Francois Hollande abgehört hat. Aufzeichnungen, die besagen, dass Hollande nicht allzu viel Vertrauen hat in Angela Merkel, aller öffentlichen Beschwörungen zum Trotz. Wie reagiert Washington?
    Die Amerikaner versuchen, wie gehört, zu beruhigen mit dem Argument: Überwachung, das war einmal. Aber viel gravierender in Frankreich ist jetzt die Enttäuschung über den Bündnispartner, über die Amerikaner. Am Telefon ist nun der Pariser Politikwissenschaftler Professor Henri Ménudier von der Universität Sorbonne. Guten Morgen.
    Henri Ménudier: Guten Morgen.
    Müller: Herr Ménudier, haben Sie als Franzose jemals den Amerikanern getraut?
    Ménudier: Ich habe schon viel Vertrauen in die Amerikaner. Aber dass wir von den Amerikanern ausspioniert werden, ist schon seit längerer Zeit bekannt. Deswegen ist dieser Fall keine große Überraschung eigentlich.
    Müller: Aha. Jetzt haben wir überall gelesen, die Franzosen sind empört, sie sind überrascht, und der französische Präsident hat gesagt, inakzeptabel, der Premierminister will über neue Regelungen beziehungsweise neue Schutzregelungen nachdenken. Ist das alles gespielt?
    "Solche Sitten sind seit längerer Zeit bekannt"
    Ménudier: Zum Teil gespielt, ja. Natürlich ist man darüber sehr enttäuscht, wenn man feststellt, dass gerade als Freund und als Partner, als Alliierter der Amerikaner, dass man so ausspioniert wird. Aber solche Sitten sind seit längerer Zeit bekannt. Ich würde fast sagen, wir sind natürlich empört, aber wir fühlen uns auch eigentlich geschmeichelt und es gibt eine Art Schadenfreude, weil das Telefon von Frau Merkel wurde abgehört. Die Tatsache, dass Francois Hollande, Sarkozy und Präsident Chirac abgehört wurden, zeigt, dass Frankreich auch ein wichtiges Land ist. Früher hatte man den Eindruck, Frau Merkel wird abgehört, weil sie die wichtigste Führungsfigur in Europa ist. Jetzt ist Frankreich dran, es gibt eine Art Gleichheit zwischen Frankreich und Deutschland.
    Müller: Das ist eine interessante Argumentation, Herr Ménudier, wenn ich das so formulieren darf. Frankreich ist wichtig, weil Frankreich abgehört wird?
    Ménudier: Ja. Frankreich ist ein wichtiges Land aus diplomatischen, politischen Gründen. Wir haben eine führende Position in den Vereinten Nationen in New York und sind Atommacht mit großen Interessen in Afrika und anderswo, also werden wir abgehört. Das wussten wir schon eigentlich. Die Aufregung ist insofern begrenzt, weil was bekannt wurde jetzt in diesen Tagen, das sind keine Geheimnisse. Wenn man die Presse regelmäßig liest, könnte man auch so viel erfahren.
    Müller: Herr Ménudier, wenn wir vor fünf, sechs Jahren über das Thema geredet hätten, da war Hollande noch nicht an der Regierung beziehungsweise an der Staatsspitze. Aber reden wir über Jacques Chirac oder auch Nicolas Sarkozy. Wenn ich Sie gefragt hätte, werden die beiden von den Amerikanern abgehört, die beiden Staatschefs im Elysee, dann hätten Sie gesagt, ja klar, ist so?
    Ménudier: Ja. Ganz einfach, es ist so: Die Aufregung ist sehr groß, aber sie bleibt auch begrenzt, aus zwei Gründen eigentlich. Einmal, weil wir wissen, dass die Amerikaner uns technologisch sehr überlegen sind, und wir brauchen auch sogar diesen technologischen Vorsprung der Amerikaner für unsere Arbeit in Afrika oder im Nahen Osten.
    Müller: Also die Informationsbeschaffung? Die Informationsbeschaffung der Geheimdienste?
    Ménudier: Ja, die Informationsbeschaffung. Und es gibt noch ein Argument, und zwar: Die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der wichtigsten Mächte, USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland ist sehr eng. Es wird täglich miteinander zusammen gearbeitet, nicht nur wegen Terrorismusfragen, auch wegen anderen Fragen. Deswegen kann man sich darüber nicht so sehr aufregen. Die Frage, die heute diskutiert wird, ist nicht so sehr, dass wir uns gegenseitig alle ausspionieren, sondern es ist die Frage der Kontrolle dieser ganzen Geheimdienste und Nachrichtendienste. Inwiefern haben Regierungen und Parlamente in unseren Ländern die Möglichkeit, die Arbeit, die Aufgaben dieser Dienste zu kontrollieren.
    "Das machen alle Mächte"
    Müller: Hören Sie denn, die französische Regierung, die französische Politik, Washington ab oder in Berlin ab?
    Ménudier: Natürlich wird abgehört. Das ist ganz klar. Das machen alle Mächte und nicht nur mit technologischen Mitteln, aber auch mit menschlichen Mitteln.
    Müller: Auch die Staatsführung?
    Ménudier: Man versucht auch, schon viel zu erfahren, durch viele Kontakte und so weiter. Und wie gesagt: Wenn man die Presse genau liest, analysiert, kann man schon sehr viel finden. Dann kann man von diesen Informationen Bestätigung bekommen, wenn man Kontakte hat zu den Mitarbeitern oder beispielsweise in der Politik zu verschiedenen Politikern hat.
    Müller: Kommt denn jetzt noch heraus, dass die Informationen, die die Amerikaner beispielsweise von Angela Merkels Handy gewonnen haben, bekommen haben, auch dann nach Paris gelangt sind?
    Ménudier: Sehr wahrscheinlich. Wir wissen beispielsweise, dass die Gespräche am Anfang, als Francois Hollande Präsident wurde im Mai 2012 - da wollte er geheime Kontakte zur SPD aufbauen, weil Francois Hollande mit Frau Merkel nicht so sehr einverstanden war -, diese Informationen sind wahrscheinlich an Frau Merkel weitergegeben worden und deswegen war das Verhältnis am Anfang zwischen Merkel und Hollande doch sehr schwierig.
    Müller: Sie gehen in Paris gelassen damit um. Vielen Dank an den Pariser Politikwissenschaftler Professor Henri Ménudier von der Universität Sorbonne hier im Deutschlandfunk. Einen schönen Tag noch.
    Ménudier: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.