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Obergrenze für Flüchtlinge
"Die Kanzlerin sagt, wir schaffen es, aber sie sagt nicht wie"

Der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch unterstützt die Kritik von Parteichef Sigmar Gabriel an Angela Merkel. Die Koalition sage zwar, sie schaffe das, sei sich über das Wie aber völlig uneinig, so Miersch im DLF. Gabriel habe deutlich gemacht, dass weitaus höhere Investitionen notwendig seien, wenn Integration funktionieren soll.

Matthias Miersch im Gespräch mit Christine Heuer | 07.09.2016
    Matthias Miersch (SPD) bei einer Rede im Deutschen Bundestag
    Die Kritik von Parteichef Sigmar Gabriel gehe in die richtige Richtung, gerade jetzt vor der Verabschiedung des Haushalts 2017, sagte Matthias Miersch (SPD) im DLF. (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Christine Heuer: Am Telefon ist der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion und das Mitglied im SPD-Parteivorstand, Matthias Miersch. Guten Tag, Herr Miersch.
    Matthias Miersch: Ich grüße Sie, Frau Heuer.
    Heuer: Wir wollen über die Flüchtlingspolitik der Regierung sprechen, das heißt über die der CDU, der Kanzlerin, aber auch die der SPD. Erste Frage an Sie, Herr Miersch: Hat die Kanzlerin Sie heute überzeugt, dass wir es schaffen?
    "Verunsicherung innerhalb der CDU/CSU war in Merkels Rede zu spüren"
    Miersch: Na ja. Sie hat von Steuern geredet, davon, Dinge in den Griff zu bekommen. Sie hat die Situation als besser eingestuft als vor einem Jahr. Aber ich fand, insgesamt konnte man die große Verunsicherung innerhalb der CDU/CSU auch in ihrer Rede wieder spüren. Sie hat gerade die, denke ich, auch angegriffen, wenn sie sagt, populistische Äußerungen helfen nicht weiter, die nicht im Bundestag sitzen, sondern zum Beispiel in Bayern, nämlich Herrn Seehofer.
    Heuer: Oder auch in der SPD, um genau zu sein, sogar in der Spitze der SPD. Denn Ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel hat ja gesagt, Merkel sage, wir schaffen das, dann tue sie aber nichts.
    Miersch: Na ja. Das Entscheidende ist - und da gebe ich Sigmar Gabriel zu 100 Prozent Recht -, die CDU/CSU hat ein großes Problem. Sie sagen zwar, sie schaffen es, aber sie sind sich völlig uneinig, wie wirkliche Integration wirklich gelingen kann. Und hier geht es natürlich um Gelder, die freigemacht werden müssen, zum Beispiel im Bereich der Bildung, der Sprachbildung, der Bereich innere Sicherheit, aber auch der Bereich natürlich Wohnungsbau.
    Hier haben wir jetzt in diesem Haushaltsentwurf erste Ansätze eines Solidarprojektes. So, finde ich, kann man es nennen. Aber wir müssen noch viel, viel höhere Investitionen in diesen Bereichen setzen. Dazu ist die CDU/CSU zu zerstritten im Moment und deswegen, denke ich, geht die Kritik in die genau richtige Richtung. Hier müssen wir nachlegen, aber CDU/CSU sind da nicht einig.
    Heuer: Ich versuche jetzt mal zu widersprechen, Herr Miersch. Wenn es stimmen würde, dass Merkel nichts getan hat, wieso haben wir dann heute viel weniger Flüchtlinge, mehr Beamte in den zuständigen Behörden, mehr Geld für Länder und Kommunen und mehr Gesetze zu Integration und Sicherheit?
    "Die SPD hat dafür gesorgt, dass diese Regierung erste Schritte getan hat"
    Miersch: Ich habe nicht gesagt, dass Frau Merkel nichts getan hat. Wir sind in einer Regierung und ich weiß sehr genau aus den Beratungen, dass vor allen Dingen die SPD dafür gesorgt hat, dass diese Regierung in diesen wichtigen Bereichen jetzt erste Schritte getan hat. Aber was ich sage, ist, es wird nicht ausreichen zu sagen, wir müssen Sprachbildung beispielsweise sicherstellen, aber wir stellen vor Ort fest, wenn man mit den vielen Ehrenamtlichen spricht, dass die Mittel ganz einfach fehlen, um allen, die Sprache und Deutsch erlernen wollen, tatsächlich einen Kurs anzubieten. Und deswegen:
    Darüber müssen wir auch reden und da fehlten mir heute auch kritische Anmerkungen der Kanzlerin. Das ist das Problem, was sie mit ihren eigenen Leuten hat. Aber noch mal: Die Große Koalition hat erste Investitionen getätigt, aber weitaus größere sind notwendig.
    Heuer: Herr Miersch! Aber gestern gerade erst hat der Bundesfinanzminister gesagt, an der Flüchtlingspolitik wird nicht gespart.
    Miersch: Ja! Das ist von Herrn Schäuble so eine Aussage, die genauso populistisch beziehungsweise einfach ist, wenn er jetzt auch sagt, es gibt Gelder für Steuersenkungen. Ich glaube, so einfach mit der Gießkanne kann man das alles nicht sehen. Er verschweigt, dass wir wirklich große Bereiche haben, gerade im Bereich der Investitionen. Alle Menschen merken in Deutschland, es fehlt an beispielsweise guter Infrastruktur, Straßen, aber vor allen Dingen auch Bildungseinrichtungen, Schulen etc., und das wird im Moment durch den Bundesfinanzminister negiert.
    Zum Beispiel Digitales, da müssten wir richtig investieren. Und insofern: Wenn Herr Schäuble sagt, daran wird nicht gespart, wenn er sich im Land umguckt, dann weiß er ganz genau, dass an allen Ecken und Kanten eigentlich investiert werden müsste, und dazu sagt er leider nichts.
    "Nicht richtig zu sagen, Sigmar Gabriel schlägt sich auf die Seite der CSU"
    Heuer: Herr Miersch, Sie und ich, wir sprechen jetzt hier sehr friedlich und konstruktiv über Inhalte. Tatsächlich ist es aber ja so, auch in der Großen Koalition, dass diese Auseinandersetzungen eine durchaus sehr parteipolitische Dimension haben. Wenn Sigmar Gabriel sich jetzt aufseiten der CSU schlägt, von Obergrenzen spricht, einen Affront gegen die Kanzlerin startet, dann schleicht sich der Vizekanzler doch schon mal so ein bisschen aus der Verantwortung. Finden Sie das legitim?
    Miersch: Nein. Ich halte es überhaupt nicht für richtig, dass jetzt gesagt wird, Sigmar Gabriel schlägt sich auf die Seite der CSU. Sigmar Gabriel hat deutlich gemacht, dass, wenn Integration funktionieren soll, weitaus höhere Investitionen in diesen Bereichen wie beispielsweise Integrationskurse, Sprache, Wohnungsbau etc. notwendig sind.
    Heuer: Einspruch! Sigmar Gabriel spricht neuerdings von Obergrenzen.
    Miersch: Ich glaube, er hat den Begriff so nicht verwendet. Dann müssten Sie das Zitat schon zeigen.
    !Heuer: Das kann ich Ihnen sagen. Das Zitat geht genau so, dass er über eine Obergrenze für Integration spricht.
    "Die Kanzlerin sagt, ja, wir schaffen es, aber sie sagt nicht wie"
    Miersch: So, und das ist genau der Punkt, dass man, glaube ich, immer wieder feststellen muss: Wenn wir hier jetzt diese Herausforderung bewältigen wollen, dann brauchen wir auch die notwendigen Gelder, um tatsächlich Integration bewältigen zu können. Deswegen, glaube ich, ist hier ein großer Dissens, weil die Kanzlerin sagt, ja, wir schaffen es, aber sie sagt nicht wie. Da ist die CDU/CSU innerlich sehr zerstritten, weil man eigentlich sagen will, na ja, das ist jetzt vielleicht humanitär okay, aber eigentlich so richtig sollen die Leute hier nicht zuhause sein. Und das ist das Problem und das müssen wir auflösen, und ich glaube, das ist auch das, was Sigmar Gabriel mit der Kanzlerin gerade auch bespricht und besprechen wird in den nächsten Wochen.
    Heuer: Dann haben Sie uns den Begriff Obergrenze für Integration so erklärt, dass Sigmar Gabriel eigentlich meint: mehr Geld! Entschuldigung, Herr Miersch, aber er benutzt das Wort Obergrenze. Das ist natürlich ein Signalwort. Wem nützt denn das?
    Miersch: Ich habe es eben noch mal erklärt, wie ich es verstehe, und ich glaube, dass das auch in all seinen Reden zum Ausdruck kommt, dass er sagt, es dürfen zum Beispiel Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deswegen haben wir im letzten Jahr massive Forderungen gerade im Bereich von Bildung, von Wohnungsbau etc. gestellt. Das war sehr, sehr schwer mit der CDU/CSU durchzusetzen.
    Jetzt im Haushaltsentwurf, den wir nun heute gerade anberaten haben, finden sich erste wichtige Punkte drin. Aber ich bin sicher, wir brauchen eben noch viel, viel mehr, und insofern wird das ein wichtiger Diskurs auch in den nächsten Wochen sein, wenn es dann vor der Verabschiedung des Haushaltes 2017 tatsächlich darum geht, wie werden die Gelder tatsächlich verteilt.
    Gabriels Obergrenze: "Er bezieht es auf die Frage von Integration"
    Heuer: Ich lasse Sie aus der Obergrenze noch nicht ganz raus, Herr Miersch. Das ist ein Signalwort. Die CSU benutzt es gegen die Kanzlerin, neuerdings benutzt es auch Ihr Parteivorsitzender, der Vizekanzler. Noch mal die Frage: Betreibt Sigmar Gabriel damit nicht eigentlich, ähnlich wie Sie das übrigens der CSU vorwerfen, das Geschäft der AfD?
    Miersch: Noch mal: Er bezieht es aus meiner Sicht auf die Frage von Integration und nicht, dass wir in irgendeiner Form Deutschland abschotten wollen. Was Seehofer betreibt und andere auch aus CDU/CSU, ist ja zu suggerieren, wir könnten irgendwann die Grenzen dicht machen, und dann war es das. Genau das hat er nie gesagt und insofern, glaube ich, muss man es sehr genau trennen.
    Natürlich steht es Journalisten immer zu, zu interpretieren, aber ich denke, wenn man den Kontext seiner Aussage sieht, dann weiß man ganz genau, er fordert mehr Investitionen und er fordert vor allen Dingen ein Solidarprojekt, sodass alle, die hier in Deutschland leben, miteinander zusammenhalten, und dazu bedarf es dieser Investitionen, über die wir heute gesprochen haben.
    Heuer: Dann war der Begriff Obergrenze vielleicht einfach schlecht gewählt von Sigmar Gabriel?
    Miersch: Das kann jeder selbst beurteilen.
    Heuer: Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion. Herr Miersch, haben Sie Dank fürs Gespräch.
    Miersch: Okay! Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.