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Oberschwaben
Vorgeschmack auf himmlische Freuden

Die Oberschwäbische Barockstraße verbindet unzählige barocke Schmuckstücke zwischen Ulm, dem Bodensee und dem Allgäu. Bei all den Schnörkeln, Goldblättchen und detailreichen Freskenbildern erscheint das Ende des irdischen Lebens gar nicht mehr so schlimm.

Von Ulrich Land |
    "Wir sind hier in der Basilika Birnau, wunderbar gelegen, circa 50 Meter oberhalb des Bodensee-Ufers, dies ist eine außerordentlich schöne Rokokokokirche, Spätbarock, eine große Saalkirche, bietet für ca. 600 Personen Platz, sie hat eine wundervolle Ausstattung, sehr reich, mit Stuck und Malerei, Fresken, aber nicht überladen. Sehr harmonisch gestaltet."

    Barbara Koch, die Kirchenführerin des Priorats Birnau

    "Ein sehr lichtes Haus, eine lichte Kirche. Ich glaube, die Lebensfreude, die Freude an Schönem, die berührt auch heute den Menschen unheimlich, wenn sie reinkommen, sehr oft hör ich dann dieses berühmte "Aaach". Man staunt nur und ist aufgenommen in diesem harmonischen Raum."

    Insgesamt 500 Kilometer lang. Drei sich ergänzende Routen quer durchs schwäbische Oberland.

    "Vor einem Alabasterrelief sehen wir eine spätgotische Sitzmadonna, eine wunderbar gestaltete Königin, die auf dem Thron sitzt mit einer Krone, "liebliche Mutter von Birmau", Mater Amabilis ist der Titel des Gnadenbildes. Sie thront über dem Tabernakel, der ganz im Zentrum liegt. Wir haben auf der rechten Seite Johannes den Evangelisten. Er schaut nach oben in das Kuppelfresko und er sieht eine Frau mit der Sonne umkleidet, mit Sternen bekränzt, ein Kind in ihrem Leib."

    "Aus dem Herzen des Kindes geht ein Strahl durch ein tränendes Herz hindurch, und dieser Strahl geht dann in den Spiegel hinein. Und wenn man jetzt unter ihm stehen würde im Altarraum, würde dieser Strahl der göttlichen Liebe einen treffen. Es heiraten hier sehr viele Paare, die Paare haben dann ihre Bank direkt unter diesem Spiegel und werden von diesem Strahl der Gnade, der Liebe von Jesus getroffen. In der Basilika ist nichts einfach so zur Verzierung, sondern alles hat eine Aussagekraft und alles ist durchdacht. Bis ins Letzte. Ganz wunderbar."

    Für mich - als Fan modern kühler Kirchenarchitektur - ist die Barockstraße mit ihren überbordenden Preziosen, mit diesem Gewusel aus kindlichen Fantasiegestalten und verrückten Traumwelten eine einzige Einladung, in weit zurückliegende Zeiten einzutauchen. Mich in den offenen Timetunnel unter freiem Himmel fallen zu lassen, der jene Tage auf den Plan ruft, als die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs verraucht und dramatischer noch: die Greuel grassierender Seuchen ausgestanden waren - jedenfalls die schlimmsten. Als man das pulsierende Leben zurückerobern wollte.

    "Auch die vielen Engel, wir haben viele Putten mit allerliebsten Gesichtern; der Honigschlecker, der dann auch, den Finger im Mund, Honig schleckt, also auch sehr, sehr sinnlich, die Liebe zum Detail, die man an jeder Ecke sehn kann."

    Ungebremstes Vergnügen, verschnörkelt opulente Schönheit
    Ungebremstes Vergnügen, verschnörkelt opulente Schönheit, florale Üppigkeit und schwülstige Fleischwülste, goldtriefendes Deko an den Schnittstellen zwischen profanen Wänden und hochheiligem Himmel.

    "Es war ein Prachtbau für alle. Im Gegensatz zu den Schlössern, in die nur die Reichen reindurften. Und so war es für die zumeist arme Bevölkerung sicher eine Riesenfreude, in diesen wunderschönen Raum hineinkommen zu dürfen, ihn genießen zu dürfen. Sich quasi auch als Schlossherr zu fühlen. Barock meint ja auch, die Illusion zu vermitteln, – wenn wir auch hier in der Basilika bei den Deckenfresken schauen – es ist immer das Gefühl: Man wird in den Himmel mit hinauf genommen."

    Die Fresken eröffnen eine Scheinarchitektur, setzen einen Raum in den Raum, lassen sich überm Kirchengewölbe das Himmelsgewölbe öffnen und vervielfachen so das Gebäude, in dem ich mich grade befinde. So zeigt die illusionistische Malerei an der Kirchendecke mehr als die Wirklichkeit selbst, öffnet den Blick ins Jenseits, lässt sehen, was uns Irdischen ansonsten verborgen bleibt.

    "Allegorische Darstellungen, lauter Frauengestalten, in der Mitte das Hauptbild: Gerechtigkeit und Frieden."

    Emil Hösch, pensionierter Gymnasiallehrer, der im barocken Ratssaal in Leutkirch den Blick zur Decke hebt.

    "Und außen herum die andern Figuren, menschliche, religiöse und mehr weltliche Tugenden symbolisierend: die Geduld, Caritas, die Liebe, Glaube, die Hoffnung, dann in den Ecken auf der Seite zum Marktplatz ist das Gesetz, die Wahrheit. Also wenn man das so sieht, ist der Eindruck schon da, dass sehr viel an dieser kleinen Decke hängt, aber ich finds nicht kitschig, ich find's schön zum Anschauen."

    Die volle Emotionsladung, auf dass das Gemüt froh gestimmt werde.

    "Zum Beispiel in den Feldern der Podeste, wo die Vögel draufstehn, da sind liebevoll kleine Landschaften rein konzipiert. Ich glaube schon, dass man sich an der Natur, an der Schönheit der Natur, an der Schönheit der Kunst freuen kann, und mit dieser kunstvollen Gestaltung der Welt sich ein Abbild vom späteren Himmel schaffen wollte. Und dann diese fröhlichen Farben und Formen, so fröhlich geht's im Himmel zu."

    "Also der Barock sagt, dass der Christ eigentlich zur Freude berufen ist."

    Günter Hütter, pensionierter Pfarrer der Tannheimer St. Martinskirche.

    "Da ist eine Atmosphäre in der Kirche, die ist einfach freudig, also ein kleiner Vorgeschmack des Himmels. Es lohnt sich, wenn man die irdischen Mühen durchsteht, um einmal in diese Herrlichkeit, von der die Kirche ein, ja, kleines Abbild ist, einmal hineinzugelangen."

    Sind die Zeiten wieder wie jene? Träumen wir uns krisengeschüttelt 300 Jahre zurück? In die drallpralle Lebensfreude: Lust und Gelüste, verworren-verwobenes Harmoniegeschlängel. Was hat uns aufgeklärten Usern der Sachlichkeit, uns Kommunikationsvirtuosen im Zeichen des binären Kalküls jenes Schnörkelfieber noch zu sagen?

    "Die Freude an Schönem berührt auch heute den Menschen unheimlich. Man kommt herein, und man staunt nur und ist aufgenommen in diesen harmonischen Raum. Und der öffnet sich in den Himmel hinein, wir wollen alle dieses Ziel, das mühsame Leben auf der Erde verlassen, den Blick nach oben heben, und dann eben in den Himmel hineinschauen. Was immer sehr nett ist bei den Führungen: Die Menschen sind heute nicht mehr gewohnt, nach oben zu schauen, die Nackenwirbel streiken dann bald, wahrscheinlich haben die Leute früher noch besser gewusst, nach oben zu schauen."

    Hält der Barock also doch jene Moral bereit, die uns Heutige lehrt, den Blick demutsvoll nach oben zu richten und uns selbst nicht für das Höchste, das Unübertroffene zu halten? Oder ist es just im Gegenteil der Versuch, die Moralinsäuernis des ewigen "Memento Mori" wenigstens für einen Moment mal zu vergessen? Und den Himmelsblick in vollen Zügen zu genießen.

    "Das können wir auch gebrauchen. Wenn die Menschen von ihrem Stress in diese Kirche kommen und dann einfach auch das Schöne erleben, dann geht einem das nicht nur in den Kopf, sondern geht es einem ins Herz."

    "Ich find' Barockkirchen grundsätzlich schön, weil sie sehr hell sind und dadurch ganz anders sind als natürlich jetzt gotische Bauten."

    Von der Realität eingeholt
    Eine rheinische, offenbar Kölner-Dom-geschädigte Touristin auf der Oberschwäbischen Barockstraße.

    "Im Barock geht es ja auch dadrum, den Tag zu genießen und das Verschnörkelte, also ein bisschen überladen, goldene Putten, die überall zu finden sind, das wirkt für mich sehr kindlich, sehr verspielt, Freude am Leben zu haben, so ein bisschen in die Richtung des Amor zu gehen."

    Was aber sagt die Tatsache über uns aus, dass wir neuerdings eben nicht mehr den coolen Nach-68er-Bogen um diese kritische Masse unkritischen Gefühlsgewusels machen?

    "Ich meine schon, dass vieles, was in der Moderne sehr nüchtern war, dass das den Menschen nicht ganz erfüllen konnte. Dass man durchaus auch auf Formen kommen kann, die verspielter sind, freudiger sind als so geradlinig stur."

    Leider, so muss ich mit Schrecken feststellen, freudig verspielt hin oder her, leider gibt es auch auf der Oberschwäbischen Barockstraße Politessen, die Parkknöllchen im Angebot haben. Und schlimmer noch: Blitzende Starenkästen haben ein wachsames Auge auf allzu eilige Pilger. Der Barockgenuss fordert seinen Tribut. Und der katapultiert mich umstandslos wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.

    "Wir haben in unserm großen Deckenfresko ein Selbstbildnis von dem Maler Gottfried Bernhard Götz. Er liegt da, hat zwei Pinsel in der Hand, eine Krücke, das Bein ist bandagiert, er brauchte Wein, um die Deckenfreskenfarbe anzurühren, aber die Menge des Weines, die er sich erbeten hatte, die war deutlich höher wie das, was er gebraucht hätte. Abt Anselm hat dann in sein Bautagebuch vermerkt, dieser Beinbruch sei wohl nicht bei der Arbeit geschehen. Er musste das Kostgeld für die fünf Wochen, die er ausgefallen ist, Abt Anselm, dem Kloster zurückzahlen."