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Öffentlicher Dienst
"Warnstreiks sollen Einigung befördern"

Für Verdi-Chef Frank Bsirske sind die Warnstreiks im öffentlichen Dienst ein klares Signal an die Arbeitgeber. Die Lohnhöhen seien weit auseinander. Die Beschäftigten "wollen teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung", sagte Bsirske im Deutschlandfunk. Nur so könne der öffentliche Dienst in der Konkurrenz um gute Arbeitskräfte attraktiv bleiben.

Frank Bsirske im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.03.2014
    Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske spricht am 25.03.2014 während einer Kundgebung vor rund 20 000 Beschäftigten in Hannover (Niedersachsen).
    Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske spricht am 25.03.2014 während einer Kundgebung vor rund 20.000 Beschäftigten in Hannover. (picture-alliance/Holger Hollemann )
    Christiane Kaess: Mehrere zehntausend Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben sich schon an ihnen beteiligt: die Warnstreiks in den letzten Tagen. Alle Bereiche des öffentlichen Dienstes sind betroffen, Kitas, Krankenhäuser, Verwaltungen, Müllabfuhr, Jobcenter, Busse oder Bahnen. Es geht um die Interessen von 2,1 Millionen Angestellten im Bund und in den Kommunen. Sie wollen mehr Geld, 100 Euro und dass ihre Einkommen um 3,5 Prozent steigen. Die andere Seite, die Arbeitgeber haben noch kein Angebot vorgelegt in beiden bisherigen Runden der Tarifverhandlungen. Am kommenden Montag will man sich zum dritten Mal treffen. Heute soll auch an den Flughäfen gestreikt werden.
    Am Telefon ist jetzt der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske. Guten Morgen, Herr Bsirske!
    Frank Bsirske: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Bsirske, warum greifen Sie so früh zu so drastischen Mitteln?
    Bsirske: Nun, wir haben ja zwei Verhandlungsrunden hinter uns gebracht, die keine Annäherung in den wesentlichen Punkten gebracht haben. Wir sind weit auseinander bei der Einschätzung, was die Lohnhöhe angeht. Wir sind nicht beieinander, was die Frage einer sozialen Komponente angeht. Das heißt, zentrale Fragen, die jetzt in den Verhandlungen im Zentrum stehen, sind offen, sind kontrovers, und da ist es richtig, dass die Beschäftigten deutlich machen, dass sie hinter den Forderungen der Gewerkschaft stehen, und zeigen, mit ihnen ist zu rechnen. Nicht einfach passiv zuschauen, sondern sich aktiv einbringen ins Geschehen, ein Signal an die Arbeitgeber.
    Arbeitgeber müssen die Stimmungslage in den Betrieben richtig einschätzen
    Kaess: Aber die Positionen hätten sich ja durchaus in der dritten Runde noch ändern können, und die ist schon am Montag. Warum konnte man die nicht noch abwarten?
    Bsirske: Ja, wir suchen in dieser dritten Runde eine Entscheidung. Wir wollen ja keine Hängepartie eröffnen. Und letztlich ist ja auch allen Beteiligten, den Bürgerinnen und Bürgern im übrigen auch damit gedient, dass Klarheit geschaffen wird, dass Signale kommen aus den Betrieben, womit zu rechnen ist, wenn es zu keiner Einigung kommt. Besser Warnstreiks als klares Signal an die Arbeitgeber, die dann auch sich ein Bild machen können von der Stimmungslage in den Betrieben, als dass der Eindruck entsteht, da ruht der See still, und am Ende wundern sich alle, dass man sich in einem breiten großen Arbeitskampf befindet, weil die Arbeitgeber die Stimmungslage in den Betrieben falsch eingeschätzt haben.
    Kaess: Herr Bsirske, hat es in der zweiten Verhandlungsrunde tatsächlich keine Annäherung gegeben? Denn das ist das, was eigentlich allgemein berichtet wurde danach.
    Bsirske: Wir haben ja eine ganze Fülle von Themen und es hat auch in einigen Punkten Annäherung gegeben. Aber in den zentralen Fragen, wie hoch ist die Lohnerhöhung, kommt es zu einer sozialen Komponente, wie wird sie ausgestaltet, was passiert bei den Auszubildenden – wir wollen ja eine unbefristete Übernahme nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung, mindestens da, wo bedarfsgerecht ausgebildet worden ist -, all diese Punkte sind kontrovers und damit auch offen für jetzt die bevorstehende dritte Verhandlungsrunde, und hier Zeichen zu setzen, die letztlich die Einigungsbereitschaft beider Parteien befördern sollen, das ist das richtige Zeichen jetzt.
    Ein Schriftzug "Ich bin es wert" ist auf dem Rücken eines verdi-Mitglieds zu sehen.
    Die Gewerkschaften fordern eine Anhebung der Gehälter um 100 Euro sowie einen zusätzlichen Lohnzuwachs von 3,5 Prozent. (dpa / Christian Charisius)
    Einigung soll Frieden stiftet für die Laufzeit des Tarifvertrages
    Kaess: Kommen wir noch mal zu der Dimension der Streiks. Sie legen heute sieben Flughäfen lahm. Da kann man ja eigentlich nicht mehr von Nadelstichen sprechen, was Warnstreiks ja eigentlich sein sollten.
    Bsirske: Nun, die Warnstreiks sollen ja eine Einigung befördern. Sie sollen deutlich machen, wie die Stimmungslage in den Betrieben ist. Und für die Verhandlungen im öffentlichen Dienst ist natürlich die Frage, wie ist eigentlich die Stimmungslage an den Flughäfen bei den Beschäftigten, schon auch ein wichtiges Signal. Ich hoffe sehr, dass die Arbeitgeber das aufnehmen und dass wir uns dann auch auf eine Einigung zubewegen können nächste Woche. Wir wollen dazu beitragen, am Ende ein gutes Ergebnis für die Beschäftigten und dann auch wieder einen Konsens herbeizuführen, der Frieden stiftet für die Laufzeit des Tarifvertrages.
    Kaess: Aber gerade was die Flughäfen betrifft, danach kommt der Lufthansa-Streik. Sie wollten trotzdem keine Rücksicht auf Reisende nehmen, die aufs Flugzeug angewiesen sind?
    Bsirske: Besser jetzt ein klares Zeichen, dass auch da die Stimmungslage der Beschäftigten eindeutig ist, als dass sich in drei oder vier Wochen, wenn es einen Arbeitskampf ganz anderen Ausmaßes geben würde, …
    Kaess: Wie soll denn der aussehen, wenn schon die Warnstreiks so scharf sind?
    Bsirske: …, alle verwundert die Augen reiben und sich fragen, ja Mensch, hat es denn da keine Signale gegeben, konnte man das nicht vorher abschätzen, was sich da entwickelt. Ich will gar nicht jetzt der Fantasie freien Lauf lassen, was da alles in Bewegung gebracht werden könnte, wenn es zu keiner Einigung kommt. Wir suchen eine Einigung, es gibt die dritte Verhandlungsrunde nächste Woche, die Beschäftigten haben in den Kitas, in der Abfallwirtschaft, in vielen, vielen anderen Bereichen deutlich gemacht, dass sie auch Erwartungen an die Arbeitgeber haben für eine deutliche Reallohn-Erhöhung. Sie wollen teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung, es soll eine soziale Komponente geben und ich hoffe sehr, dass das auch von den Arbeitgebern verstanden worden ist.
    Bsirske hofft auf Einigung zu Beginn der Woche
    Kaess: Bisher haben Sie offenbar das Verständnis der Bevölkerung. Wie weit können Sie gehen, bevor das kippt?
    Bsirske: Wir suchen mit den Arbeitgebern eine Einigung und zu dem, was passiert, tragen ja zwei Seiten bei. Tarifverhandlungen werden von zweien geführt. Hier richten sich im Grunde ja die Signale an die Arbeitgeberseite, auf die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft zuzugehen. Ich hoffe sehr, dass das auch passiert, Montag, Dienstag. Dann haben wir zwei, möglicherweise sogar drei Verhandlungstage und können einen Knopf daran machen und dann ist diese Tarifrunde auch zu einem guten Ergebnis gebracht – hoffe ich.
    Kaess: Aber, Herr Bsirske, wenn Sie die Arbeitgeberseite ansprechen. Auf der anderen Seite: Das sind schon die höchsten Forderungen von Gewerkschaften seit langem.
    Bsirske: Das sind Forderungen, die sich am oberen Rand der gegenwärtigen Lohnforderungen bewegen, was aber auch kein Zufall ist, denn wir haben ja in den letzten 13 Jahren einen Rückstand bekommen auf die Tariflohn-Entwicklung in der Gesamtwirtschaft im Durchschnitt, und das ist fatal in einer Situation, wo 20, 25 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst altersbedingt ausscheiden werden in den nächsten sechs Jahren und alle wissen, die Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte, um gute Arbeitskräfte, um Berufsnachwuchs, die wird schärfer zwischen den Unternehmen der Privatwirtschaft, zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst und im öffentlichen Dienst, und hier muss für die Attraktivität, die Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes am Arbeitsmarkt auch mit gesorgt werden. Auch das gehört zu den Aufgaben, die Tarifvertragsparteien gegenwärtig lösen müssen.
    Schlechter gefahren als der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft
    Kaess: Aber das, was die Gewerkschaften verlangen, das rechnen die Arbeitgeber zu sieben Prozent zusammen. Wie realistisch ist denn eine solche Einkommenssteigerung und warum sollte der öffentliche Dienst größere Einkommenssteigerungen bekommen als andere Bereiche?
    Bsirske: Wir sind ja schlechter gefahren in den letzten 13 Jahren als der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Wenn Sie das Jahr 2000 mal mit 100 gleichsetzen, dann sind wir im öffentlichen Dienst heute bei 129,1, im Durchschnitt der Wirtschaft bei 133,9 und in der Metallindustrie bei 139 und in der Chemieindustrie bei 140. Das heißt, da hat sich ein Rückstand aufgebaut, der eigentlich durch das, was im öffentlichen Dienst geleistet wird von Erzieherinnen, von Krankenpflegekräften, von Berufsfeuerwehrleuten und so weiter, nicht gerechtfertigt ist. Wir wollen dazu beitragen, diesen Abstand auf die durchschnittliche Tariflohn-Entwicklung in der Gesamtwirtschaft zu reduzieren und in absehbarer Zeit auch auszugleichen, nicht zuletzt auch im Interesse eines öffentlichen Dienstes, der attraktiv bleiben muss in der Konkurrenz um gute Arbeitskräfte.
    Kaess: Noch kurz zum Schluss: Der mögliche Abbau von Arbeitsplätzen schreckt Sie nicht ab?
    Bsirske: Wir haben dieses Argument ja im Grunde seit 50 Jahren in jeder Tarifrunde auf dem Tisch. Wir werden da …
    Kaess: Zurecht, oder?
    Bsirske: Na ja, gucken Sie sich die Situation in den Krankenhäusern an, gucken Sie sich die Situation in den Kitas an. Da ist doch offensichtlich, dass der Personalschlüssel jetzt schon nicht ausreicht, um eine gute Qualität auch gewährleisten zu können, dauerhaft und nachhaltig. Hier muss die Finanzausstattung verbessert werden. Wir haben in diesen Bereichen für eine Aufwertung der Tätigkeiten zu sorgen, nicht zuletzt im Interesse einer guten Pflege und einer guten Qualität frühkindlicher Bildung und Förderung. Das ist das, was als Aufgabe bewältigt werden muss, und das kriegt man nicht hin, indem man die Erzieherinnen und die Krankenpflegekräfte abhängt und abkoppelt von der allgemeinen Lohnentwicklung und letztlich damit das Berufsfeld weiter unattraktiv macht. Das Gegenteil muss passieren.
    Kaess: Frank Bsirske, er ist Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Danke für dieses Interview heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.