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Ökonom: Euro-Krise hat nur ihren Charakter verändert

Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sieht die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern als drängendes Problem. Bevor diese nicht auf ein Normalmaß geschrumpft sei, sei die Euro-Krise auch nicht beendet. Er rechnet damit, dass dies noch Jahre dauern werde.

Clemens Fuest im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Eine Hiobsbotschaft folgte der nächsten in der Eurokrise. Ein Land nach dem anderen schlüpfte unter den Euro-Rettungsschirm, allen voran Griechenland, Irland, Spanien und Portugal genießen ebenfalls den Schutz der Gemeinschaft, auch Zypern musste sich in Sicherheit bringen, und Slowenien wiederum gilt als das neue Zypern, weil die Banken in Ljubljana gefährlich wanken. Nun verlassen die ersten Länder den Rettungsschirm wieder oder wollen es zumindest, Irland und Spanien nämlich. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem freut sich darüber:

    Jeroen Dijsselbloem: "Ich denke, das ist ein gutes Zeichen. Denn als wir das Krisenmanagement in der Eurozone in Gang setzen mussten, da betraten wir ein völlig unbekanntes Gelände. Alles musste erarbeitet werden, und jetzt haben wir zwei gute, erfolgreiche Erfahrungen gemacht. Und das ist wichtig."

    Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Clemens Fuest, er ist Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW. Hallo, Herr Fuest!

    Clemens Fuest: Schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Irland will also im Dezember den Euro-Rettungsschirm verlassen. Auch Spanien kündigt an, für seine Banken keine weiteren Hilfen mehr in Anspruch nehmen zu wollen. Ist der Zenit der Eurokrise überstanden?

    Fuest: Ich glaube, dass wir das noch nicht wissen. Die Krise hat ihren Charakter verändert, aber bei diesem Verlassen der Rettungsschirme bei diesen beiden Ländern müssen wir ja sehen, dass die Europäische Zentralbank gewissermaßen einen Rettungsschirm über die gesamte Eurozone gehängt hat, indem sie gesagt hat, dass sie zur Not unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen will, wenn es Probleme gibt. Das ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, also die Länder müssten dann wieder wirtschaftspolitische Auflagen erfüllen. Aber wir müssen sehen, dass das nicht eine Situation ist, in der diese Länder wirklich wieder an den Kapitalmarkt gehen und nur von ihrer eigenen Bonität leben, sondern sie im Hintergrund sozusagen die Garantie der EZB – deshalb darf man das jetzt nicht überbewerten.

    Dobovisek: Welchen Charakter hat denn die Eurokrise heute, wenn, wie Sie sagen, der Charakter sich verändert hat?

    Fuest: Bis zum letzten Jahr war das eine Krise, in der man befürchtet hat, dass vielleicht die Eurozone auseinanderbricht, dass vielleicht ein Land den Zugang zum Kapitalmarkt verliert und deshalb geht. Diese Sorge ist jetzt mal kurzfristig weg und auch mittelfristig durch die Garantie der EZB, die ja gesagt hat, die Investoren müssen sich keine Sorgen um ihr Geld machen, schlimmstenfalls springen die Steuerzahler ein. Jetzt tritt in den Vordergrund eher, ich sag mal die soziale Seite der Krise, die Arbeitsmarktseite der Krise, nicht mehr so sehr die Finanzmarktkrise. Mit anderen Worten, wir haben eine sehr, sehr hohe Arbeitslosigkeit, in Südeuropa vor allem. Wir haben große Schwierigkeiten, wieder zu Wachstum zu kommen. Diese längerfristigen Fragen treten jetzt in den Vordergrund.

    Dobovisek: Ist also die Eurokrise nach den Banken nun bei den Bürgern angekommen?

    Fuest: Sie ist mit Sicherheit bei den Bürgern in Südeuropa angekommen, sie ist bei den Jugendlichen angekommen, die dort massenhaft arbeitslos sind. Und das ist eben eine wirkliche Tragödie, weil durch diese Arbeitslosigkeit ja auch langfristige Lebenschancen zerstört werden. Also, diese Länder müssen wirklich sagen, die Krise ist überhaupt noch nicht vorbei, sondern wir beginnen im Grunde mit Strategien, mit Versuchen, diese Krise zu überwinden. Diese Länder haben ja durchaus Reformen durchgeführt zu Hause, aber bevor die wirken, wird es eben sehr lange dauern. Es gibt darüber hinaus durchaus noch Riesenprobleme in den spanischen Banken. Die Frage ist, wie gehen wir damit um. Also es gibt noch eine ganz Menge ungelöster Fragen.

    Dobovisek: Wo sehen Sie da die drängendsten Fragen, die drängendsten Probleme?

    Fuest: Aus meiner Sicht wäre es am Drängendsten, zunächst mal das Projekt der europäischen Bankenunion voranzutreiben. Da geht es im Wesentlichen darum, erst mal hinzukriegen, dass die Banken wirklich saniert werden. Leider hat man da bislang zu wenig getan. Man hat nicht nichts getan, in Spanien sind ja teilweise Banken saniert worden, aber wir wissen, dass die Banken in Südeuropa in größerem Umfang faule Kredite in ihren Büchern haben. Das ist auch gar kein Wunder, in einer Rezession geht es eben den Unternehmen schlecht und den Haushalten. Wir müssen aber diese Banken sanieren, die müssen wieder in der Lage sein, künftiges Wachstum zu finanzieren, mittelständischen Unternehmen Kredite zu geben. Und die europäische Bankenunion ist der Weg dahin. Da wird ja im nächsten Jahr werden die Banken unter die Lupe genommen, und es wird geschaut, welche Banken haben Probleme. Und da wird es darauf ankommen, wie ehrlich man da ist. Und es wird natürlich auch darauf ankommen, woher das Geld kommt, um diese Banken zu rekapitalisieren, damit sie die Wirtschaft wieder finanzieren können.

    Dobovisek: Und genau darüber streiten ja momentan auch die Finanzminister der Europäischen Union, oder vielmehr über die Frage, woher das Geld kommen soll, wenn eine Bank abgewickelt werden muss. Soll dieses Geld von den Investoren oder vom Staat kommen?

    Fuest: Also man muss unterscheiden zwischen Problemen, die die Banken heute haben wegen der asymmetrischen wirtschaftlichen Lage in Europa, vor allem in den Krisenstaaten. Da wissen wir schon, da geht es den Banken schlecht. Und man muss unterscheiden zwischen diesen Problemen und Problemen, die künftig vielleicht einmal entstehen können und die heute noch nicht absehbar sind. Diese künftigen Probleme, die sollten wir gemeinsam finanzieren in Europa, da soll man einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds auflegen. Die große Schwierigkeit ist aber, dass wir erst mal die bereits bekannten Probleme lösen müssen. Und da kann es natürlich nicht sein, dass diese Probleme jetzt auf die Gesamtheit der europäischen Steuerzahler abgewälzt werden, sondern da müssen wir noch mal auf nationale Lösungen zurückgreifen. Und das einzugestehen und national dann eben das Geld zu organisieren, das da notwendig ist – aus meiner Sicht sollte das von den Gläubigern der Banken und von den Aktionären kommen. Aber das umzusetzen, wird sehr schwierig sein. Nur, wenn man das auf die lange Bank schiebt, werden wir die Krise in Europa nicht überwinden können.

    Dobovisek: Die Zinsen sind in der Krise unglaublich niedrig. Die Europäische Zentralbank senkte sie sogar noch weiter auf 0,25 Prozent herab. Wie ernst zu nehmen ist in diesem Sinne die Gefahr einer Deflation?

    Fuest: Die Gefahr einer Deflation für den gesamten Euroraum sehe ich nicht so groß. Es wird allerdings Deflation geben, gibt sie vielleicht schon in den Krisenstaaten. Das hat negative Folgen, zum Beispiel steigt ja dann der reale Wert von Schulden, die Unternehmen und Haushalte haben. Das Problem ist nur, wir kommen ohne diese Deflation gar nicht aus, weil ja diese Länder wettbewerbsfähiger werden müssen. Die müssen ihre Preise senken. Und das bedeutet eben Deflation, lokal. Für die Eurozone insgesamt sehe ich das Problem weniger. Wir haben im Kern der Eurozone, jedenfalls in Deutschland, noch eine sehr stabile Wirtschaftsentwicklung und auch leicht steigende Preise. Aber da wird auch genau das Problem deutlich. Also in unterschiedlichen Teilen der Eurozone haben wir eben ganz unterschiedliche Situationen.

    Dobovisek: Wie würde sich die Deflation konkret auch auf die Kleinsparer auswirken? Weil das, was wir im momentan erleben, ist ja durchaus gut, zumindest für diejenigen, die Schulden haben.

    Fuest: Na ja – die Deflation würde ja bedeuten, dass das Geld der Kleinsparer sich weniger schnell entwertet. Heute entwertet sich ja das durch Inflation. Bei Deflation wäre es eben so, dass die Kleinsparer zwar niedrige Zinsen hätten, aber der Wertverlust ihrer Sparguthaben, der wäre auch geringer. Deflation bedeutet ja sogar, die Preise fallen, das heißt, Geld, selbst wenn es nicht verzinst wird, wird zunächst mal mehr wert. Das heißt, die Kleinsparer müssen sich nicht vor Deflation fürchten. Natürlich bedeutet Deflation auch eine schwache Wirtschaftsentwicklung, wenig Wirtschaftswachstum. Und das hält die Zinsen wiederum niedrig. Am Ende kommt es aber für die Sparer eben darauf an, wie hoch ist die Inflation und welche Zinsen kriege ich.

    Dobovisek: Wann, meinen Sie, können wir das nächste Interview führen und sagen, die Krise ist überstanden. Müssen wir da Jahre warten, vielleicht sogar Jahrzehnte?

    Fuest: Ich fürchte, wir müssen Jahre warten. Ich glaube, diese Krise ist eine Sache, die in Schüben kommt und geht, aber es ist keine Krise, die sich innerhalb weniger Jahre überwinden lassen wird. Ich fürchte, wir müssen gerade mit der Arbeitslosigkeit in Südeuropa noch lange leben. Und ich glaube, man kann nicht davon sprechen, dass die Krise überwunden ist, bevor die nicht auf ein vernünftiges Niveau zurückgegangen ist.

    Dobovisek: Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW, zum Stand der Eurokrise, nachdem Irland den Euro-Rettungsschirm verlassen will und die EU-Kommission die Haushaltsentwürfe mehrerer Euro-Staaten rügt. Vielen Dank für das Interview, Herr Fuest.

    Fuest: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.