Sonntag, 28. April 2024

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Ökonom Peter Bofinger
"Die Diskussion hat sich in meine Richtung verschoben"

Unter den fünf Wirtschaftsweisen vertrat der Ökonom Peter Bofinger häufig eine Mindermeinung. Nach 15 Jahren in dem Gremium endet nun seine Amtszeit. Zuletzt habe er mehr im Einklang mit dem Regierungshandeln gestanden als früher, sagte er im Dlf. Etwa bei der Einführung des Mindestlohns.

Peter Bofinger im Gespräch mit Eva Bahner | 28.02.2019
Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser).
Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre, hört als Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf (imago / IPON)
Eva Bahner: Kluge Ökonomen gibt es einige in Deutschland, doch nur fünf dürfen sich Wirtschaftsweise nennen. Zu diesem erlesenen Beratergremium der Bundesregierung, der offiziell Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung heißt, gehört Peter Bofinger nun schon 15 Jahre lang. Heute endet die Amtszeit des 64-jährigen Würzburger Professors, der es erstaunlich lange aushielt in dem Gremium, auch vor dem Hintergrund, dass er als Keynesianer oft polarisierte und eine Mindermeinung vertrat. Kurz vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Peter Bofinger zu sprechen, und ich fragte ihn zunächst, wie schwer ihm der Abschied fällt.
Peter Bofinger: Ich glaube, es ist gut, wenn man aufhört, wenn’s am schönsten ist. Das war ja wirklich eine tolle Zeit, und wir haben viele spannende Dinge erlebt, aber jetzt ist wirklich ein guter Zeitpunkt, auch mal aufzuhören.
"Zur Zeit der Agenda 2010 stark in Opposition zur Regierung"
Bahner: Sie haben ja all die Jahre schon auch eine Außenseiterrolle gepflegt, waren ja oft anderer Meinung als die anderen Wirtschaftsweisen und haben das ja auch zum Ausdruck gebracht. 52 Mal haben Sie eine abweichende Meinung in das Gutachten hineingeschrieben, das ja an die Bundesregierung übergeben wird. Hat das denn etwas gebracht?
Bofinger: Ich glaube schon, dass sich die Diskussion in Deutschland etwas mehr in meine Richtung verschoben hat. Als ich angefangen habe im Sachverständigenrat, das war die Zeit der Agenda 2010, des Neoliberalismus, wo ich also doch sehr stark in einer Opposition zur Regierung gestanden habe. Und wenn ich jetzt heute mir die wirtschaftspolitische Diskussion ansehe, dann fühle ich mich doch sehr viel mehr im Einklang mit dem Regierungshandeln und mit der Ausrichtung der Regierungspolitik, als das damals der Fall war.
Bahner: Wo zum Beispiel?
Bofinger: Na ja, ein Beispiel ist der Mindestlohn, für den ich mich immer ausgesprochen habe und der jetzt ja auch umgesetzt wurde. Ein anderes Beispiel ist die Industriepolitik, also die Frage, ob der Staat nicht auch lenkend eingreifen soll, ob er nicht unterstützend aktiv werden soll, wenn es um die Einführung neuer Technologien geht. Und da hatte ich mich auch sehr dezidiert dafür ausgesprochen, und ich freue mich jetzt, dass Herr Altmaier das aufgegriffen hat und entsprechende Initiativen angekündigt hat.
"In Fragen der Finanzkrise waren wir uns eigentlich einig"
Bahner: In Ihre Zeit fiel ja auch die große Finanzkrise, der eine schwere Wirtschaftskrise folgte, die ja auch einige ordoliberal denkende Ökonomen ins Grübeln gebracht hat, auch ins Zweifeln. Hatten Sie es denn in dieser Zeit einfacher, hat sich der Sachverständigenrat in der Zeit auch verändert und damit auch vielleicht die Wirtschaftspolitik?
Bofinger: Na ja, wir haben schließlich ja mehr die Minderheitsquoten angesprochen, aber es darf jetzt nicht der Eindruck entstehen, als hätten wir jetzt in den 15 Jahren alles kontrovers diskutiert. Es ist einfach ein sehr großes Gutachten mit sehr vielen Themen, das wir dann immer gemeinsam unterschreiben, und deswegen ergibt sich die Notwendigkeit zu Minderheitsvoten immer wieder, aber gerade in Fragen der Finanzkrise waren wir uns eigentlich durchweg einig. Wir haben das Problem gehabt, dass wir auch relativ spät erkannt haben, wie man damit umgeht, welche Lösungsansätze man jetzt für ein stabileres Finanzsystem braucht. Das sind eigentlich alles Punkte, die wir von Anfang an ganz einstimmig auch gesehen haben.
Eistorte zur "Eiszeit"
Bahner: Jetzt mal von dieser Ausnahmesituation abgesehen, es war ja auch schon von einer Eiszeit im Sachverständigenrat die Rede. Gab es denn da auch richtig Zoff zuweilen?
Bofinger: Ich würde sagen, im ersten Jahr, also 2004, da war die Stimmung schon ziemlich schlecht. Das lag auch etwas an mir, ich war da vielleicht auch etwas zu nassforsch aufgetreten, sodass die Kollegen durchaus mit Recht auch verschnupft reagiert haben. Aber das liegt lange zurück, und ich würde sagen, in den vergangenen Jahren hat es durchgängig eine sehr, sehr gute Stimmung gehabt, auch wenn wir uns dann manchmal in den Medien miteinander kritisch auseinandergesetzt haben, aber das wurde dann in den Medien oft auch überpointiert dargestellt. Sie haben dieses Wort "Eiszeit" angesprochen, wo also eine Zeitung vermutete, es müsse Eiszeit im Sachverständigenrat bestehen, und das war nun wirklich nicht der Fall. Ich hab das dann damit gekontert, dass ich zu meinem Geburtstag Eistorte an die Kollegen und Mitarbeiter ausgegeben habe und wir dann getwittert haben "Eiszeit im Sachverständigenrat" mit einem Bild mit der Eistorte.
"Wir sind jetzt in einer schwierigen Phase"
Bahner: Es lief ja auch tatsächlich wirtschaftlich rund in den vergangenen zehn Jahren. Jetzt geht der deutsche Aufschwung langsam zu Ende. Wo stehen wir denn jetzt und wie gut ist Deutschland darauf vorbereitet, was jetzt kommt?
Bofinger: Ja, wir haben sicher jetzt eine Situation, die schwierig ist. Also ich glaube, selten war der Ausblick so unsicher jetzt in den vergangenen Jahren, wie er das derzeit ist. Wir haben zwei sehr schlechte Quartale gehabt im Jahr 2018, und die Frage ist, ob die deutsche Wirtschaft jetzt im ersten Quartal wieder Fahrt aufnimmt, denn das muss sie tun, wenn wir jetzt ein Wachstum von einem Prozent erreichen wollen. Wenn das nicht gelingt, dann müssen wir uns drauf einstellen, dass wir Wachstumsraten haben im Bereich 0,7, 0,8 Prozent oder vielleicht sogar noch schlechter. Also wir sind jetzt in einer schwierigen Phase, und die Herausforderungen sind ja bekannt – ob es jetzt der Brexit ist oder ob es jetzt der Handelskrieg ist, ob es die wirtschaftliche Situation in China ist. Und deswegen glaube ich, ist es sehr wichtig, dass man sich jetzt schon frühzeitig überlegt, wie man jetzt prophylaktisch eingreifen kann, und wenn diese Daten, die schon relativ ungünstig sind, wenn die sich noch weiter verschlechtern.
"Werde mich weiterhin mich zu allen Themen äußern"
Bahner: Ihre Zeit als Wirtschaftsweiser, die endet ja heute. Werden Sie sich dennoch in Zukunft einmischen, oder haben Sie jetzt alles gesagt in den letzten 15 Jahren?
Bofinger: Nein, ich finde, die Wirtschaftspolitik so spannend, und das macht mir auch wirklich große Freude, da aktiv dran mitzuwirken, dass ich auch weiterhin mich zu allen Themen äußern werde. Man muss ja nicht Mitglied im Sachverständigenrat sein, um sich am wirtschaftspolitischen Diskurs zu beteiligen, und deswegen ist das für mich zwar jetzt der letzte Tag im Sachverständigenrat, aber sicher nicht das Ende meines Engagements für eine gute Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.