Dienstag, 23. April 2024

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Ökonom Sebastian Dullien
"Die deutsche Konjunktur steht auf der Kippe"

Der Handelskrieg zwischen USA und China treffe die deutsche Wirtschaft bereits, sagte Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Dlf. Deswegen müsse die Regierung rasch ein Investitionsprogramm starten. An der schwarzen Null festzuhalten, sei ökonomisch unsinnig.

Sebastian Dullien im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.08.2019
Der Wirtschaftswissenschaftler und Journalist Prof. Dr. Sebastian Dullien posiert für ein Foto vor dem Postbank-Hochhaus in Berlin-Kreuzberg.
Der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien hofft auf einen Wechsel in der Wirtschaftspolitik (imago images / Hendrik Rauch)
Jürgen Zurheide: Die Risiken der Weltwirtschaft nehmen zu – und zwar dramatisch. Exporte werden schwieriger, und das trifft natürlich ein Land wie Deutschland, das ganz erheblich an den Exporten verdient, ganz besonders. Erste Wolken am Konjunkturhimmel und welche Konsequenzen muss man daraus ziehen? Darüber wollen wir reden mit Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunktur, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Dullien!
Sebastian Dullien: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Dullien, beginnen wir mit der konjunkturellen Lage, leichte Wolken oder schon mehr, wie würden Sie das im Moment beschreiben?
Dullien: Na ja, ich würde sagen, dass die deutsche Konjunktur derzeit auf der Kippe steht. Wir haben eine Entwicklung, die wir in den früheren Aufschwungphasen nie gehabt haben, nämlich dass eigentlich die Industriekonjunktur schon abgeknickt ist – das kommt vor allem von der schwachen Exportnachfrage –, dass aber die Binnenkonjunktur noch läuft.
Also, im Moment hält der Inlandskonsum und der Bau die Wirtschaft noch am Laufen. Das wird aber nicht ewig so weitergehen, denn wenn die Industriebetriebe anfangen, Leute zu entlassen, dann wird auch die Konsumstimmung rückgängig sein, und dann kann Deutschland schnell in die Rezession kippen.
"Bestellungen auf Eis"
Zurheide: Jetzt beginnen wir mal mit den Risiken, ich habe den Handelskrieg schon angesprochen oder die Handelsauseinandersetzungen. Wie sehen Sie das, wann und ab wo trifft es Deutschland ganz besonders?
Dullien: Die globalen Handelsauseinandersetzungen treffen Deutschland schon heute. Wir haben zwar jetzt noch keine signifikanten Strafzölle auf deutsche Produkte, aber der Handelskrieg zwischen den USA und China trifft eben auch die deutsche Industrie. Und der Grund hier ist, dass sehr viele der Industriebetriebe in China und bei den asiatischen Zulieferern eben deutsche Maschinen und Anlagen benutzen.
Und da für die eben der Handelskrieg eine massive Belastung schon darstellt und zweitens die nicht genau wissen, ob sie so weiterproduzieren können, haben sie die Bestellungen auf Eis gelegt und storniert. Und das ist einer der Gründe, warum es zum Beispiel im deutschen Maschinen- und Anlagenbau schon überhaupt nicht mehr so gut geht in Deutschland.
Zurheide: Machen wir mal ganz kurz die Klammer auf und fragen, was kann da eigentlich bei rauskommen bei dieser Art von Handelskrieg, außer dass am Ende alle beschädigt sind? Sehen Sie, dass der amerikanische Präsident so sein Ziel erreichen kann, er will ja ausgeglichenere Handelsbilanzen, schafft man das so?
Dullien: Ob man damit ausgeglichenere Handelsbilanzen hinbekommt, das ist eine sehr spannende Frage, da wissen wir ehrlich gesagt auch recht wenig zu. Es gibt so ein paar Forschungen dazu, zu den Auswirkungen von Zöllen auf Handelsbilanzen, aber die sind aus meiner Sicht nicht richtig anwendbar für diesen speziellen Fall, den wir da haben.
Was natürlich Donald Trump schon hinbekommt, ist, dass er China beschädigt. Und ich glaube, eines seiner Ziele ist tatsächlich auch, China zu beschädigen, denn wir dürfen nicht vergessen, hier geht es nicht nur um Wirtschaft, hier geht es um Geopolitik.
China hat eine Aufholjagd gestartet, China möchte gerne zu den wichtigsten und stärksten Staaten der Welt gehören und auch technologisch die Führerschaft in einigen Branchen erreichen – und das möchten die USA verhindern. Und da ist möglicherweise Donald Trumps Zollpolitik erfolgreich.
"Deutsche Wirtschaft zu einseitig auf Export ausgerichtet"
Zurheide: Auf der anderen Seite: Das, was er da im Moment macht, die Zölle werden die amerikanischen Konsumenten zahlen, wenn er das denn verwirklicht, was er da jetzt gerade anspricht – und das kurz vor Weihnachten. Das wird zu Hause nicht besonders gut ankommen oder?
Dullien: Ja, ganz so eindeutig, wer die Zölle bezahlt, ist die Geschichte ja leider nicht. Das wäre ja für uns alle sehr schön, wenn das nur die amerikanischen Konsumenten wären.
Aber wenn die amerikanischen Konsumenten weniger kaufen, dann fühlen sich die Chinesen genötigt, die Preise zu senken und können weniger Preis durchsetzen, das heißt, ein Teil der Zölle wird auf jeden Fall auch von chinesischen Produzenten getragen. Und das bedeutet, die haben weniger Geld, um auch Maschinen in Deutschland zu kaufen.
Zurheide: Damit sind wir wieder im Inland. Wie kann und muss Deutschland reagieren? Oder ich würde allgemein mal vorweg sagen, dass diese exportbasierte deutsche Wirtschaft, dieses deutsche Wirtschaftsmodell der letzten 15, 20 Jahre, dass das nicht auf ewig so weitergeht, muss eigentlich jedem klar gewesen sein oder?
Dullien: Ja, also gerade das IMK, also unser Institut, hat ja lange davor gewarnt, dass die deutsche Wirtschaft zu einseitig auf den Export ausgerichtet ist. Jetzt haben wir einen Aufschwung gehabt die letzten Jahre, wo sich das schon ein bisschen verändert hat.
Wir haben zwar die Außenhandelsungleichgewichte noch nicht abgebaut, aber der Aufschwung war wenigstens schon durch Konsum und Bauinvestitionen getragen. Ein Pfeiler fehlt hier aber, das sind die öffentlichen Investitionen.
Eigentlich, was wir jetzt bräuchten, ist eine konzentrierte Aktion der Regierung, die die Erwartungen der deutschen Industrie stabilisieren kann. Denkbar wäre hier, zu sagen, wir legen ein mittelfristiges, großes, öffentliches Investitionsprogramm auf, was über mehrere Jahre läuft, was nicht nur die typischen Betonbauten umfasst, also nicht nur Straßen und vielleicht ein paar Schienen, sondern auch in die Dekarbonisierung der Wirtschaft geht.
Denn die Dekarbonisierung ist ja etwas, was auch in der Industrie bei uns Arbeitsplätze schafft, denn Windräder und Anlagen, die werden im Inland gebaut. Und wenn man eben den Unternehmen die Perspektive geben kann, da kommt eine Nachfrage, eine verlässliche Nachfrage über mehrere Jahre, dann könnte das jetzt die Stimmung stabilisieren.
"Die schwarze Null ist völliger ökonomischer Unsinn"
Zurheide: Da kommt natürlich sofort die Frage, wie wollen Sie das dann finanzieren? Wir tragen die schwarze Null wie eine Monstranz vor uns her, wollen Sie die opfern?
Dullien: Die schwarze Null ist völliger ökonomischer Unsinn. Das hat überhaupt keinen Sinn und keinen Zweck. Zurzeit zahlt Deutschland für seine Staatsschulden keine Zinsen, wenn es neue Schulden aufnimmt.
Gestern waren zum ersten Mal auch die Zinsen auf dreißigjährige Staatsanleihen negativ. Das heißt, selbst wenn sich der Staat jetzt für 30 Jahre etwas leiht, muss er nur diese Summe zurückzahlen und keinen Cent Zinsen bezahlen. In einer solchen Situation nicht zu investieren, ist eigentlich fahrlässig.
Wir haben den Investitionsbedarf, viele der Dinge, die wir da machen würden, würden auch den späteren Generationen zugutekommen. Wenn man jetzt dekarbonisiert, müssen unsere Kinder und Enkel kein Öl mehr importieren und sparen damit Geld. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum man all das aus dem heutigen Haushalt bezahlen müsste.
Von daher würde ich sagen, ja, wir brauchen eine Diskussion, die die schwarze Null endlich infrage stellt und die im Grunde auch die Schuldenbremse infrage stellt. Denn auch die wäre, wenn man jetzt die schwarze Null beiseite lassen würde, die Schuldenbremse wäre dann das nächste Hindernis, um ein vernünftiges Investitionsprogramm zu starten.
"Wir haben genug Investitionspotenzial"
Zurheide: Der entscheidende Punkt wird aber sein, wo man investiert und dass man so investiert, dass es am Ende auch einen gesellschaftlichen Fortschritt gibt. Oder sagen Sie, dass kommt nicht unbedingt darauf an? Sie haben jetzt die ökologische Komponente angesprochen, was sehen Sie noch, und wo haben wir Investitionsbedarf?
Dullien: Natürlich soll man Investitionen nur da machen, wo sie etwas bringen. Eine Investition in irgendeine Pyramide oder so etwas wäre Unsinn, aber wir haben genug Investitionspotenzial für Dinge, die die Gesellschaft voranbringen würden und die dringend notwendig sind. Gucken Sie sich auch unsere Straßen an, die sind voller Schlaglöcher, wir haben nicht genug Schienen, um einen vernünftigen Deutschlandtakt zu machen, wir haben nicht genug Schienen und Waggons, um mehr Güter auf die Schiene zu bringen.
Und wenn Sie in die Schulen gucken, in die frühkindlichen Bildungseinrichtungen, da gibt es sehr verkommene, verfallene Schulgebäude, und wir brauchen auch mehr frühkindliche Bildung in den Kindertagesstätten. Und all das, da kann man überall investieren.
Zurheide: Wir brauchen dann aber auch wieder so etwas wie eine neue wirtschaftspolitische Diskussion. Sehen Sie, dass die Regierung dazu in der Lage ist? Ich zögere und lächele dabei.
Dullien: Meine Hoffnung wäre ja, dass die Regierung jetzt vielleicht, wenn die Situation ernster wird und wenn sich die Stimmen mehren, die auch nach mehr Investitionen rufen, man sieht das ja auch schon dem Arbeitgeberlager und von den Gewerkschaften, meine Hoffnung wäre, dass dann die Regierung sich mal von dem Klein-Klein, in das sie manchmal verfangen ist, abwendet und sich den großen Aufgaben des Landes zuwendet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.