Van der Bellen: "Gemäß Artikel 70, Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes ernenne ich Sie, Herrn Sebastian Kurz, zum Bundeskanzler der Republik Österreich."
Es ist mehr als ein symbolträchtiger, protokollarischer Akt, mit dem Bundespräsident Alexander van der Bellen den jungen Vorsitzenden der Volkspartei zum Bundeskanzler ernennt. Es markiert eine innenpolitische Zeitenwende, die Sebastian Kurz mit seinem Koalitionspartner, der rechtspopulistischen FPÖ unter ihrem Parteichef Heinz Christian Strache einleitet:
"Der heutige Tag ist ein starker Auftrag für uns, dieses Land zu verändern und ich danke Euch, dass Ihr das möglich gemacht habt."
Demonstration von Harmonie
Ob vor Anhängern der eigenen Parteibasis, ob bei öffentlichen Auftritten: Die schwarz-blauen Koalition legt größten Wert auf eine äußerst disziplinierte Kommunikation: Harmonie demonstrieren zwischen Kanzler und Vizekanzler, zwischen Volkspartei und Freiheitlichen; nach außen keinen Dissens zeigen, um das mediale Bild zu vermitteln, dass hier erstmals seit Langem eine ausschließlich an Sachpolitik orientierte Regierung am Werke ist. Sebastian Kurz am vergangenen Samstag gegenüber dem ORF:
"Wir haben als Regierungsparteien zusammen gefunden mit dem Ziel, für Österreich zu arbeiten und uns bei dieser Arbeit nicht durch ständigen Streit zu behindern, wie das in der Vergangenheit der Fall war."
Nahezu wörtlich gleich FPÖ-Vizekanzler Heinz Christian Strache:
"Wir haben eines gezeigt, dass man nämlich auch professionell und menschlich korrekt miteinander zusammenarbeiten kann, abseits von Streit und Zwietracht, wie das vormals auch der Fall war."
"Nein" zum UN-Migrationspakt
Bei den Themen, die die Koalition als Kernthemen betrachtet, legt die Regierung erhebliches Tempo vor: Steuererleichterung für Familien mit geringerem Einkommen, Reform der Krankenkassen, Arbeitsmarkt-Flexibilisierung mit der Option eines Zwölf-Stunden-Tages, was auf den Widerstand der Gewerkschaften stößt. Das Asylrecht wird deutlich verschärft, die finanziellen Zuwendungen verringert, außenpolitisch sorgt Österreich mit seinem "Nein" zum UN-Migrationspakt für Aufsehen bei zahlreichen EU-Partnern.
Sebastian Kurz: "Ich halte es nicht für sinnvoll, ein Dokument zu unterstützen, eine Selbstverpflichtung einzugehen, obwohl man von vorherein weiß, dass man einige dieser Punkte ablehnt, und sich gar nicht dazu selbst verpflichten möchte."
Der österreichische Journalist und Schriftsteller Robert Misik, der das erste schwarz-blaue Regierungsjahr sehr kritisch beurteilt, bewertet das "Nein" zum Migrationspakt als ein Zugeständnis des Kanzlers an die FPÖ, allerdings:
"Dann geht es ihm bei all diesen Dingen überhaupt nicht um das Kleingedruckte, was in solchen Verträgen überhaupt drinnen steht, sondern es geht um eine rein symbolische Haltung und um die Möglichkeit, etwas an die Bevölkerung zu kommunizieren. Und zwar sie kommunizieren: Wir unterzeichnen keine Verträge, wo es nur irgendwie die Möglichkeit gibt, dass Migration gefördert wird und eine mehr kommt, als sonst käme."
Regelmäßig demonstrieren Tausende von Menschen in Wien gegen die schwarze-blaue Regierung, wie zuletzt am vergangenen Samstag:
"Wir sparen bei den Ärmsten und geben den Reichen das Geld." – "Der Keil, der zwischen die Bevölkerung getrieben wird, durch diese Regierung, ich denke, dass das in die falsche Richtung geht."
Schwarz-blau steht ein Jahr nach Antritt stabil da
Ein Blick auf die aktuellen Umfragewerte zeigt, dass schwarz-blau ein Jahr nach Regierungsantritt stabil dasteht: Die Volkspartei von Sebastian Kurz legt in der Sonntagsfrage zu, derzeit auf 34 Prozent, die rechtspopulistische FPÖ auf Platz drei mit 24 Prozent, dazwischen die unter schwindendem Einfluss leidenden Sozialdemokraten nahezu unverändert mit 27 Prozent.