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Österreich
Wie grün ist das Regierungsprogramm?

Die Grünen haben sich in Österreich mit der konservativen ÖVP auf ein Regierungsprogramm geeinigt. Bis 2040 soll das Land klimaneutral, Flüge sollen teurer, die Bahn günstiger werden. Doch dafür müssen die Grünen eine harte Migrationspolitik und die Ausweitung des Kopftuchverbots mittragen.

Von Srdjan Govedarica |
ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Werner Kogler, Parteichef der Grünen in Österreich.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz (links) und Werner Kogler, Parteichef der Grünen in Österreich: In vielen Bereichen stehen die neuen Koalitionäre für ideologische Gegensätze (AFP)
Am Wahlabend Ende September jubelten die Grünen über ihr gutes Ergebnis und den Wiedereinzug ins Parlament. Generalsekretär Thimo Fiesel:
"Diesen Kurs, den Sebastian Kurz in den letzten zwei Jahren geführt hat, wir sind nicht bereit, diesen Kurs mit weiter zu tragen. Und das haben wir immer klar kommuniziert"
Und so klingt es jetzt nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP von Sebastian Kurz und der Präsentation des Regierungsprogramms. Grünenchef Werner Kogler:
"Es gibt Bereiche, Felder, Anliegen, die deutlich eine ÖVP-Handschrift tragen, und es gibt andere, die deutlich eine grüne Handschrift tragen."
Tatsächlich haben es einige grüne Kernthemen ins Regierungsprogramm geschafft. Bis 2040 will die neue Regierung Österreich klimaneutral machen. Flüge sollen teurer, der Bahnverkehr etwas günstiger, der Nahverkehr ausgebaut werden. Darum kümmern soll sich ein grünes "Superministerium" für Umwelt, Energie und Infrastruktur. Dafür müssen die Grünen auch einige Kernforderungen der ÖVP mittragen, die nicht allen in der Partei gefallen. Koalitionsverhandlerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sigrid Maurer formuliert es so:
"Es werden Punkte sein, die für die grüne Basis, neu, ungewohnt und auch schmerzhaft sein werden."
Harte Migrationspolitik und Kopftuchverbot
Insbesondere in der Migrationspolitik konnte die ÖVP Vorhaben durchsetzen, die so gar nicht grün sind. Die vorgesehene Ausweitung des Kopftuchverbots in Schulen für Mädchen bis 14 Jahre etwa. Das hatte die ÖVP bereit im Wahlkampf gefordert und die Grünenkandidatin Sybille Hamman kommentierte es so: "Das ist natürlich eine totale Blendgranate der ÖVP. Wir sind das ja mittlerweile von ihr gewohnt – immer wenn sie irgendein Problem hat oder wenn es nicht gut läuft für die ÖVP, zieht sie das Kopftuch aus der Tasche."
Doch nun ist das Kopftuchverbot Teil eines Regierungsprogramms, das die Grünen mitverhandelt haben, genauso wie die Einführung einer umstrittenen, vorbeugenden Sicherungshaft. Grünensympathisanten, wie hier in einem Lokal im 9. Wiener Bezirk sind skeptisch:
"Es ist schon klar, dass die Grünen unter Zugzwang waren, dass man eine gute Regierung zusammenkriegt. Bin mir aber nicht sicher, ob sie sich nicht etwas zu billig verkauft haben, die Grünen."
"Ich bin nicht so glücklich über die Schlagwörter, die Parolen, die jetzt schon beginnen - Grenzen schützen. Das alles sofort wieder heruntergebrochen wird und die vielen Kompromisse, das tut mir leid."
Dabei haben die Grünen selbst das letzte Wort. Nachdem der Bundesvorstand gestern Abend sein OK gegeben hat, werden heute in Salzburg 275 Delegierte endgültig über das Regierungsprogramm abstimmen. Eine einfache Mehrheit reicht und Harald Walser, grüner Ex-Parlamentarier und aktueller Koalitionsverhandler rechnet mit einem "Ja":
"Ich glaube schon, dass einige verschreckt sein werden, und ich gestehe offen, ich bin an einigen Punkten auch etwas verschreckt. Die Frage ist aber – was ist die Alternative? Wollen wir hier, den rot-schwarzen Stillstand fortsetzen? Wollen wir die Schreckensregierung türkis-blau fortsetzen? Oder stellen wir uns jetzt der Verantwortung? Darum geht’s."