Dienstag, 19. März 2024

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Offensive um Marib
Hunderttausenden Kindern im Jemen droht der Hungertod

Seit fast sieben Jahren tobt ein Bürgerkrieg im Jemen. Die aufständischen Huthis stehen kurz davor, die Region rund um Marib im Norden des Landes einzunehmen, die aufgrund von Öl- und Gasvorkommen strategisch relevant ist. Die humanitäre Lage könnte dadurch noch weiter eskalieren.

16.10.2021
Jemenitsche Kinder in einem Flüchtlingscamp nahe Marib im Norden des Landes. In der Region halten sich mehr rund 100.000 Binnenflüchtlinge auf.
Hundertausende Binnenflüchtlinge haben sich in der Region rund um Marib in Sicherheit gebracht – und könnten durch die neue Offensive erneut vertrieben werden (AFP / Nabil Alawzari )
Seit fast sieben Jahren tobt ein Bürgerkrieg im Jemen. Die internationale Gemeinschaft steht dem Krieg bislang hilflos gegenüber. Das gilt auch für die jüngsten Militäroffensiven um die strategisch wichtige Marib-Region im Norden des Landes. Daran kann auch der gerade erst gewählte UN-Vermittler für den Jemen nichts ändern. Er rufe alle Parteien zur Deeskalation auf, so Hans Grundberg vor zwei Tagen vor dem UN-Sicherheitsrat. Vor dem höchsten UN-Gremium berichtete der Diplomat nicht nur von militärischen Auseinandersetzungen, sondern auch von gewaltsamen Entführungen, öffentlichen Hinrichtungen und der brutalen Niederschlagung von Protesten im Land.
Warum sind die Kämpfe gerade jetzt wieder eskaliert?
Die Huthis, von denen wir im internationalen Zusammenhang als angreifender Partei sprechen, das sind die Aufständischen, die im Norden des Jemen aktiv sind und die vor sieben Jahren gesagt hatten: Wir wollen eine stärkere Beteiligung im gesamtpolitischen Konstrukt des Jemens spielen. Die haben jetzt angekündigt, dass sie zur letzten Schlacht um Marib im Norden Jemens blasen werden. Das ist eine Region, die bekannt dafür ist, dass es da Öl und Gas gibt. Deshalb ist das Gebiet strategisch relativ wichtig. Wenn man das kontrolliert, kontrolliert man den Energiehaushalt des Landes. Sollten die Huthis Marib einnehmen, wovon im Jemen ausgegangen wird, dann ist auch der Weg nach Aden frei, der Hauptstadt des Jemen. Man rechnet damit, dass die humanitäre Katastrophe dadurch noch einmal verschärft werden würde. Rund um und in Marib leben Hunderttausende Binnenvertriebene, Menschen, die in Marib Zuflucht gesucht haben und dann möglicherweise erneut vertrieben werden.
Welche Rolle spielt aktuell das Thema Verhandlungen?
Im Jemen selber ist es momentan nicht aktuell. Es hat vonseiten der Vereinten Nationen immer wieder Versuche gegeben, die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen. Es hat mehrmals Gespräche gegeben, die dann gescheitert sind.
Verhandlungen sind aber auf der Ebene der Regionalmächte, d.h. zwischen Saudi-Arabien und Iran, wichtig. Diese Regionalmächte stehen hinter den beiden Kriegsparteien; Saudi-Arabien hinter der Regierung des anerkannten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi und der Iran hinter den Huthies. Die beiden Parteien treffen sich mittlerweile regelmäßig in Bagdad, Irak, um dort zu verhandeln. Zwar ist nicht genau klar, was da verhandelt wird, aber es geht eben auch immer wieder um den Jemen. Saudi-Arabien hat in diesem Regionalkonflikt in den letzten Jahren immer weiter verloren, wohingegen Iran gewonnen hat. Die beiden Parteien, Saudi-Arabien und Iran, sind Konkurrenten im gesamten Nahen Osten. Das hat vorgeschobene religiöse Gründe und es hat strategische Gründe.
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Und man hört in der arabischen Welt immer wieder, dass Saudi-Arabien sich aus diesen Krieg im Jemen, in den es 2015 eingestiegen ist, zurückziehen wolle. Je stärker dann die Position der Huthis in der Schlacht um Marib ist, desto größer ist möglicherweise auch der Gewinn, den die Huthis daraus ziehen könnten.
Liegt der Schlüssel für ein Ende des Krieges in Riad und Teheran?
Es sind tatsächlich die Regionalmächte, die dem Ganzen ein Ende bereiten können. Zum Vergleich: Der Bürgerkrieg im Libanon hat 15 Jahre lang gewütet. Dann reichte ein Fingerschnipsen und man hat sich darauf geeinigt, dass dieser Krieg vorbei sein soll. Und er war von heute auf morgen vorbei. Letztlich ist es oft in den Konflikten im Nahen Osten so, dass es die Außenkräfte sind, die Kriege befeuern und sie dann auch beenden können. Wenn man aufhörte, die beiden Seiten zu finanzieren, mit Waffen zu unterstützen und auszubilden, könnte man dem Ganzen ein Ende bereiten. Ja, das liegt auch mit an Riad und Teheran.
Wo und für wen ist die Lage besonders dramatisch?
Die Vereinten Nationen sprechen angesichts der neuen Kämpfe von der schlimmsten humanitären Krise der Welt derzeit. Man kann es auf ein paar Zahlen herunterbrechen: Der gesamte Krieg soll seit Beginn 2014/2015 bis heute 200.000 Tote gefordert haben, davon 100.000 durch indirekte Kriegsursachen, also Hunger und Krankheiten. Es sollen fast 20.000 Zivilisten getötet worden sein. Wenn man zu den Lebenden guckt, ist es möglicherweise fast noch grausamer, weil man vonseiten der Vereinten Nationen sagt, dass fast 21 Millionen Jemeniten, davon elf Millionen Kinder, auf Lebensmittellieferungen, auf medizinische Hilfe, also humanitäre Hilfe insgesamt, angewiesen sind. 400.000 Kinder sollen vom Hungerstod bedroht sein.
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Wieviel Staatlichkeit ist im Jemen noch intakt?
Es ist ein großes Problem in fast allen Kriegsgebieten, dass die staatliche Ordnung außer Kraft gesetzt ist. Ein Beispiel im Jemen ist das Biosphärenreservat Sokotra, eine Inselgruppe, die auch als Galapagos des Indischen Ozenas bezeichnet wird. Dort sieht man den gesamten Jemen wie durch ein Brennglas. Alle Parteien sind dort vertreten, mehr oder weniger präsent. Soldaten aus Saudi Arabiens sind dort stationiert. Ab und zu hört man Huthi-Musik, die Musik der Aufständischen, die sich über Kronprinz Mohammed bin Salman, den saudischen Herrscher, lustig macht. Und die Vereinigten Arabischen Emirate sind ebenfalls präsent, die mit in der Allianz gegen die Huthis sind. Die sind eher unter der Decke da, sie finanzieren sehr viel. Sie haben Krankenhaus aufgebaut, ganze Dörfer saniert. Gleichzeitig ist es aber so, dass Gesetze auf dieser Insel nicht umgesetzt werden. Obwohl die Insel als Biosphärenreservat gilt, eines der drei wichtigsten Gebiete weltweit gesehen ist, neben den Galapagos-Inseln, wo von 400 Pflanzenarten 200 endemisch sind, also die nur auf dieser Insel vorkommen. Die Konsequenz der Nichtstaatlichkeit ist aber, dass beispielsweise Naturschutzgebiete einfach besiedelt werden. Und keiner kümmert sich darum. Es gibt es ein paar Aktivisten, die sich dagegen auflehnen, aber die sich natürlich nicht durchsetzen können. Das hat damit zu tun, dass die Parteien, die dort vertreten sind, in den Krieg auf dem Festland verwickelt sind. Es hat zu einer Lähmung geführt, sodass keine Struktur mehr richtig funktioniert.
Quelle: Björn Blaschke