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Olympische Spiele
"Die Poesie des Scheiterns erfahren"

Der Schriftsteller Ilija Trojanow hat in vier Jahren 80 alle olympischen Disziplinen ausprobiert. Langweilig seien die Phasen gewesen, in denen etwas leicht von der Hand ging, sagte er im DLF. Spannender sei das Scheitern gewesen - und die Auseinandersetzung mit Sportarten, die ihn vorher abschreckten.

Ilija Trojanow im Gespräch mit Jasper Barenberg | 05.08.2016
    Porträt des des Schriftstellers Ilija Trojanow
    Der Schriftstellers Ilija Trojanow hat für sein Buch "Meine Olympiade" in vier Jahren 80 Disziplinen trainiert. (picture alliance / dpa/ Christian Charisius)
    Der Schriftsteller Ilija Trojanow sagte, er habe bei der Recherche für sein Buch "Meine Olympiade" festgestellt, dass der Spalt zwischen Leistungssportlern und selbst ambitionierten Hobbysport extrem groß sei. Bei Profis handle es sich um "hochspezialisierte, medizinisch durchversorgte Spitzenathleten". Sie hätten keinen Bezug dazu, "was wir Hobbysportler zeigen können". Für Hobbysportler biete der Sport "Oasen, in denen sie sich ein bisschen erholen können von den Zumutungen des Alltag". Leistungssportler spielten da als Bezugspunkt keine Rolle. Hobbyathleten würden sich eher mit anderen Hobbyathleten messen.
    Dressurreiten und Ringen spannend
    Die spannenden Sportarten seien genau die gewesen, bei denen er keine besondere Lust gehabt habe, so Trojanow. Als Beispiel nannte er das Dressurreiten, bei es bereits eine Bestrafung sei, mehr als 2 Minuten zuzugucken. Der Sport sei aber besonders facettenreich, und es sei für ihn ein neuartiges Erlebnis gewesen, eine Sprache mit einem Tier zu entwickeln.
    Ähnlich sei es beim Ringen gewesen. Zuvor hätte er Angst gehabt, dass die "verschwitzte Umarmung" ihm zuwider sein würde. Er habe es dann aber eher als "zärtliche Verbrüderung" erlebt.
    Glücksmomente beim Scheitern
    Beim Scheitern habe er Glücksmomente und Erkenntnisse gewonnen, die "Poesie des Scheiterns", das ein wesentliches Element von Leben an sich sei. Langweilig und uninteressant seien die Phasen gewesen, in denen etwas leicht von der Hand gegangen sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Und jetzt begrüße ich am Telefon den Schriftsteller Ilija Trojanow. "Meine Olympiade" heißt seine jüngste Veröffentlichung, "Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen". Schönen guten Morgen, Herr Trojanow!
    Ilija Trojanow: Schönen guten Morgen!
    Barenberg: Bleiben wir vielleicht noch einen Augenblick, weil es sich so anbietet, beim Hammerwurf, der Disziplin von Kathrin Klaas, eine Disziplin, die Sie natürlich auch ausprobieren mussten, ausprobiert haben. Kugelstoßen mit Verlängerungskabel haben Sie das genannt und auch erwähnt, dass das bei vielen ja als die technisch anspruchsvollste Disziplin gilt. Geben Sie uns einen Einblick, was ist da die Herausforderung, wenn man sich an so ein Sportgerät macht!
    Trojanow: Ja, die meisten Leute sind ja schon verwundert, dass da kein Hammer fliegt, sondern tatsächlich, das ist die Kugel, die man beim Kugelstoßen benutzt. Und man muss rotieren, man muss auf engstem Raum unglaublich schnell rotieren. Also, ich vermute, Flamencotänzer wären die besten Hammerwerfer. Und dann muss man im richtigen Zeitpunkt den Hammer beziehungsweise die Kugel am Verlängerungskabel loslassen. Und was als Anfänger immer passiert, ist, dass die Kugel dann ins Netz fliegt und der Athlet wunderbarerweise über den Ring hinaus viel weiter als die Kugel fliegt.
    "Spalt zwischen Leistungssport und Hobbysport ist inzwischen phänomenal groß"
    Barenberg: Das ist Ihnen auch passiert?
    Trojanow: Das ist mir auch passiert. Der Trainer sagte dann: Welche Weite sollen wir messen eigentlich, die des Athleten oder die des Hammers?
    Barenberg: Am Ende haben Sie notiert: Hammerwurf – keiner meiner Würfe übertraf die 20 Meter. Die Weite des Olympiasiegers: 80,59 Meter, wir haben von Kathrin Klaas erfahren, dass sie 76 Meter weit den Hammer geworfen hat. Geben Sie uns eine Vorstellung davon, was diese Differenz ausmacht von den 20 Metern, die Sie geschafft haben, bis, sagen wir, 70 Meter oder noch viel weiter, wie es die Olympia-Athleten schaffen!
    Trojanow: Es gibt keine Vorstellung davon, das ist ja genau das Problem. Der Spalt zwischen Leistungssport und Hobbysport ist inzwischen so phänomenal groß, dass man zum Beispiel zu Leichtathletik-Hobbymeetings geht, man sieht Leute, die völlig durchtrainiert sind, die unglaublich elegant, mit guter Technik den Diskus werfen, und die schaffen 35, 36 Meter. Und dann sieht man, dass die Allerbesten doppelt so weit werfen. Und das ist unvorstellbar, das sind ja hoch spezialisierte, intensiv betreute, selbst ohne Doping trotzdem medizinisch ja stets durchversorgte Spitzensportler, die Leistungen bringen, die eigentlich überhaupt keinen Bezug mehr haben zu dem, was wir als Hobby und Passionssportler überhaupt schaffen können.
    Barenberg: Als Sie sich dann nach und nach an die verschiedenen Disziplinen gemacht haben, wie haben Sie dann denn diese Kluft zu spüren bekommen? Oder sagen wir: Wo haben Sie sie besonders zu spüren bekommen?
    Trojanow: Überhaupt nicht, weil der Leistungssport keine Rolle spielt. Das war eine der großen Überraschungen für mich. Man meint ja immer, dass die ganzen passionierten Hobbysportler sich an den Leistungssportlern orientieren. Dem ist nicht so. Das sind ja oft Menschen, die in einer bestimmten Bewegung eine Auszeit finden, eine Reise zu sich selbst vollziehen, Beglückung … Das sind oft so Oasen, in denen sie sich auch ein bisschen erholen können von den Zumutungen des Alltags. Und ich habe festgestellt, dass eigentlich die Leistungssportler da weder als Helden, als Heroen, noch als Chiffren eine besondere Bedeutung spielen. Wobei, es gibt auch die anderen, die Selbstoptimierer, die tatsächlich Dauerkonkurrenz auch bei ihrem Hobby einführen, sich ständig mit anderen messen, mit sich selbst. Die gibt es natürlich auch und die sind dann eher dem Leistungssport zugeneigt.
    "Der Körper sammelt Sehnsüchte nach bestimmten Bewegungen"
    Barenberg: Wenn ich mir das jetzt vorstelle, Sie nehmen sich also vor, 80 Disziplinen zu testen für sich. Ich stelle mir vor, da gibt es bestimmt welche, die Sie mit besonderer Neugier ergründet haben. Welche waren das?
    Trojanow: Na, also, die spannenden Sachen waren ja gerade die, bei denen ich keine besondere Lust im Vorfeld verspürt habe, weil ich wie viele andere Vorurteile hatte. Nehmen wir Dressurreiten, ich glaube, länger als zwei Minuten zu gucken, wenn man nicht selber dressurreitet, das ist geradezu eine Bestrafung. Ich war dann sehr verblüfft zu sehen, wie facettenreich, wie komplex, wie spannend das ist. Und das ist eigentlich eine Sache, die ich im Leben bisher nicht erfahren habe, nämlich eine Sprache mit einem Tier zu entwickeln. Und so gab es immer wieder Sportarten, bei denen … Ringen ist auch ein gutes Beispiel: Ich hatte große Sorge, dass diese verschwitzte Umarmung mit einem Mann, stunden-, tage-, wochenlang, mir zuwider sein wird. Dem war aber nicht so, es entstand eher so etwas wie eine zärtliche Verbrüderung und ich habe das eigentlich sehr genossen, diese Wochen auf der Matte.
    Barenberg: Bis dahin, dass Sie schreiben, dass Sie sich bei einer Zugfahrt unversehens in der Situation fanden, dass Sie jetzt gerade Lust hätten, noch mal zu ringen!
    Trojanow: Ja, der Körper sammelt Sehnsüchte nach Orten, nach bestimmten Weinen, die einem gut geschmeckt haben, und so auch nach bestimmten Bewegungen, die man intensiv gemacht hat. Und irgendwann mal brechen diese Sehnsüchte wieder aus.
    Barenberg: Sie haben sich ja die Messlatte gelegt, zumindest halb so gut wie der aktuelle Olympiasieger … Da stelle ich mir vor, das heißt auch, dass man ständig mit dem Scheitern umgeht, wenn man sich an eine Disziplin nach der anderen macht, oder?
    Trojanow: Richtig. Wobei für mich das Wichtigste an dem Projekt war, dass ich die unglaubliche Kraft und Poesie des Scheiterns erfahren habe. Also, die größten Glücksmomente waren eigentlich beim Scheitern, die größten Erkenntnisse erfolgten beim Scheitern. Eher langweilig und uninteressant waren die Phasen, in denen etwas leicht von der Hand ging. Ich glaube, das ist ein bisschen auch eine Hymne auf das Scheitern, das Buch. Und das ist nicht das Schlechteste, dass wir uns mal daran erinnern, dass scheitern ein absolut wesentliches Element ist von individueller Entwicklung, von Erkenntnis und, glaube ich, von leben an sich.
    Plädoyer für mehr Sport im Radio
    Barenberg: Sie haben die Idee entwickelt vor vier Jahren, als Sie sich die Olympischen Spiele von London im Fernsehen angesehen haben. Was, glauben Sie, wird passieren, wenn Sie jetzt in den nächsten Tagen wieder vor dem Fernseher sitzen und sich die Wettkämpfe im Fernsehen anschauen?
    Trojanow: Na, das wird spannend sein, inwieweit ich jetzt natürlich mit einem sehr kundigen Auge ganz andere Sachen entdecke. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass der Fernsehbildschirm ja alles verkleinert und entrückt und man deswegen in sehr vielen Disziplinen eigentlich gar nicht erkennen kann, selbst mit einem geübten Auge nicht, was tatsächlich vor sich geht.
    Barenberg: Das kann man gar nicht übertragen gewissermaßen?
    Trojanow: Nee. Mein Vorschlag wäre ja, dass man viel mehr im Radio macht, weil, im Radio kann man sich nicht auf die Bilder verlassen. Das heißt, man müsste tatsächlich viel mehr erzählen, man müsste die jeweilige Tiefe, das jeweilige kulturelle Echo der Sportart abbilden durch Erzählung, anstatt einfach die Bilder dahinzusetzen und zu denken, die Bilder sagen schon alles, was gesagt werden muss.
    Barenberg: Vielleicht ja auch ein Plädoyer für guten Sportjournalismus! Danke an den Schriftsteller Ilija Trojanow, sein Buch hat den Titel "Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.