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Olympische Spiele in Tokio
Die Phantomspiele von 1940

Tokio wird diesen Sommer zum zweiten Mal die Olympischen Spiele ausrichten. Die erste Ausgabe gab es 1964. Eher verschwiegen wird dagegen, dass Tokio eigentlich schon 1940 Olympia veranstalten sollte. Das Erbe der 1940er Spiele, die es nie gab, ist quer durch die Stadt verstreut. Nur weiß das kaum jemand.

Von Felix Lill |
Ein altes Embelem mit den Olympischen Ringen vor dem Berg Fuji und der Inschrift XII Olympiad Tokyo 1940
Emblem der Olympischen Spiele 1940, die nie stattfanden (imago)
Wer durch den Komazawa Kouen spaziert, merkt schnell, dass hier mal Geschichte geschrieben wurde. Der weitläufige Park, in dessen Zentrum ein denkmalartiger Turm steht, ist voll von Stadien. Vorne eine Arena für 20.000 Leute, gegenüber eine große Turnhalle. Auch eine Leichtathletikanlage ist vorhanden, genauso wie ein Baseballplatz. Und jeder weiß Bescheid:
"Hier haben zum ersten Mal die Olympischen Spiele von Tokio stattgefunden", sagt, auf Sicherheitsabstand bedacht, der 23-jährige Kouji, der hier mit Freunden Basketball spielt. Und sein Freund Toshia fügt hinzu:
"Das lernen wir in der Schule. Das ist wirklich eine Sache, die jeder weiß."
Die Spiele von Tokio 1964 gelten in Japan als Meilenstein. Nicht nur im Sport, auch für die Politik und Wirtschaft des Landes. 19 Jahre nach den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und der Niederlage im 2. Weltkrieg erklärt sich das Land damals mit Olympia als wiederaufgebaut.
Tokio präsentiert sich als moderne Metropole. Japan konnte endlich den Blick abwenden von den unmittelbaren Folgen des Zweiten Weltkriegs.

1940 spielt keine Rolle

Dabei könnte der Park aus heutiger Perspektive auch an etwas Anderes erinnern. Denn eigentlich sollte er schon 1940 das Herz von Olympischen Spielen bilden, als zentrale Sportstätte, erklärt Thorsten Weber, Historiker am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Ein Plan, der in Vergessenheit geraten ist.
"Also an 1940 denkt hier sicherlich niemand. Egal, an welcher Sportstätte man vorbeigeht. Was man mit Olympia in Verbindung bringt in der Stadt: Es ist klar, dass der Bezug immer wieder zu 64 hergestellt wird.
Ein altes Embelem mit den Olympischen Ringen vor dem Berg Fuji und der Inschrift XII Olympiad Tokyo 1940
Tokio 1940 - Die Spiele, die es nie gab
In diesen Tagen vor 80 Jahren hätten zum ersten Mal Olympische Spiele in Asien stattfinden sollen – in Tokio. Doch wie 2020 wurde auch 1940 nichts aus den großen Plänen.
Tokio hatte aber bereits 1936 zum ersten Mal die Vergabe für die Spiele gewonnen – im gleichen Jahr schloss Japan ein Bündnis mit Nazi-Deutschland. Ein Jahr später beginnt Japan einen Krieg gegen China, bald fehlt das Geld.
1938 gibt die Regierung das Austragungsrecht zurück.
Aber die Pläne für Spielstätten werden wieder aus der Schublade geholt, als Tokio schließlich 1964 die Sportwelt willkommen heißt. Der Komazawa Kouen, das Herzstück der 1964er Spiele, der aber schon für 1940 geplant gewesen war, ist nur ein Beispiel.
Ein Bootskurs und eine Reitanlage sind sogar fertiggestellt – und dann erst 1964 benutzt worden, erzählt Torsten Weber.
"Interessant ist hier in diesem Zusammenhang eine Anlage, die gar keine Sportanlage ist. Das ist die so genannte Fünf-Farben-Brücke in Shibaura in Minato-ku in Tokio. Die wurde laut Schild, das an der Brücke angebracht ist, 1962 gebaut für 1964. Aber ursprünglich wurde sie eigentlich gebaut 1938 für die Spiele 1940. Aus dieser Zeit stammt auch der Name. Diese fünf Farben, das sollen die fünf olympischen Ringe sein. Das wird aber offiziell an der Brücke selbst nicht wiedergegeben."

Wirklich sichtbar sind die Spiele von 1940 nicht

Torsten Weber ist der Meinung, solche historischen Bezüge sollten aber hergestellt werden. Zumal dann, wenn sich die Tokioter Organisatoren mit ihrer Sporthistorie rühmen. Der Veranstaltungsplan für die nun 2021 beginnenden Spiele teilt sich in die so genannte neue "Tokyo Bay Zone" und die alte "Legacy" oder "Heritage Zone" auf – "legacy" steht für die historischen Anlagen. Nur kommt 1940 in dieser Geschichtsschreibung nicht vor:
"Die legacy venues haben neben dem Nationalstadion – das für 1964 gebaut und für 2020 umgebaut wurde – auch einen Reitpark. Der zählt zu den legacy venues. Allerdings ist er in Teilen auch ein Überbleibsel von 1940. Das wird allerdings auf der Seite des Olympischen Komitees nicht erwähnt."
Unter Historikern heißen die 1940er Spiele, die es nie gab, auch "maboroshii orinpikku" – die Phantomspiele. Und das trifft auch zu, was den Umgang mit ihnen heute betrifft. Denn wer gezielt nach ihnen sucht, wird zwar fündig. Aber wirklich sichtbar sind sie nicht. Auf dem Weg zum Komazawa Kouen sagt auch der Taxifahrer, der gut über Tokios Stadtplan informiert ist
"Davon hab ich noch nie gehört. Ich wusste auch nicht, dass Tokio die Spiele schon 1940 gehabt hätte."
Im Park aber gibt es doch jemanden, der Bescheid weiß. Auf einer Bank direkt am Olympiadenkmalturm sitzt Takuji Hayata. Durch Maske geschützt und mit Sicherheitsabstand erklärt er:
"Klar, das alles hier war schon für 1940 geplant. Und kennst du die Halle da drüben? Da wird heute geturnt. Ich kann dir das alles genau sagen. Ich hab 1964 selbst bei den Spielen teilgenommen. Als Tokio 1959 das Austragungsrecht erhielt, war ich 19, da kam ich gerade aus der Schule. Und ich hab' dann angefangen, mich über Sportgeschichte zu informieren. Ich wollte alles wissen. Und das Wissen hierüber ist schon verfügbar. Aber man spricht nicht viel drüber. Es ist unangenehm, weil es an Japans Kriegsniederlage erinnert.

"Das müssen die jungen Menschen doch wissen"

Takuji Hayata, heute 80 Jahre alt, holt 1964 Gold an den Ringen und im Mannschaftsmehrkampf. Danach wird er Sportlehrer und hat seinen Job bis vor ein paar Jahren noch ausgeübt. Jetzt hält er Vorträge vor Athletinnen. Einen davon diese Tage, sagt er:
"Vorm Olympiastart will ich den japanischen Sportlern noch erklären, wie es mit unserer Sportgeschichte aussieht: 1940 fielen die Spiele durch den Krieg aus. Bei den ersten Spielen nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 in London, durfte Japan noch nicht wieder teilnehmen. Erst 1952 in Helsinki waren wir endlich wieder dabei. Ich finde, das müssen die jungen Menschen doch wissen."
Die nun startenden Olympischen Spiele werden zu solchem Wissen wohl keinen großen Beitrag leisten. Takuji Hayata sagt, das spornt ihn bei seiner Arbeit nur an.