Samstag, 27. April 2024

Archiv


Organisierte Wissensvermittlung aus dem Elfenbeinturm

Forschungsprojekte einer Uni sind für viele Bürger ein Buch mit sieben Siegeln. Anders sieht es bei Unternehmen aus: Die greifen schon mal gerne auf das Expertenwissen der benachbarten Hochschule zurück. Die Hochschulen versuchen immer intensiver, das angehäufte Wissen aus ihren Hörsälen und Labors hinaus in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Von Thomas Wagner | 15.05.2010
    Seit einem Jahr schickt die Universität Konstanz ihre Professoren regelmäßig zu Vorträgen vom Campus direkt in die Innenstadt. "Universität Down-Town" heißt das Projekt. Und dies bedeutet ...

    "...dass Hochschullehrer bewusst in die Stadt hineingehen, an Orten der Stadt wissenschaftliche Ergebnisse vortragen, interessant aufbereitet, spannend aufbereitet. Also da gab es beispielsweise ein Thema 'Heiraten'. Das hat im Standesamt stattgefunden."

    … erklärt Julia Wand, Leiterin der neugegründeten Stabstelle für Kommunikation, Marketing und Wissenstransfer an der Uni Konstanz. Wenn eine Professorin für Volkswirtschaftslehre im Standesamt über Glücksforschung spricht, wenn ein Kollege ein paar Wochen später im Dritten Welt Laden einen Vortrag über gerechte Einkommensverteilung hält, dann erreicht die Hochschule ein völlig anderes Publikum als im Hörsaal. Die Forschungsarbeit in einfacher, klarer Sprache an authentischen Orten für jedermann transparent machen - dies sei, so Julia Wand, eine zwar neue, aber auch wichtige Form des sogenannten Wissenstransfers, die bei den Konstanzer Bürgern auf gute Resonanz stößt.

    "Wir werden immer wieder gefragt. Mensch, Ihr macht so tolle Sachen - können wir da mal ein bisschen mehr darüber erfahren? Die Transparenz ist für uns ganz wichtig. Das ist uns sehr wichtig, die Verankerung zur Stadt Konstanz, aber auch zur Umgebung."

    Julia Wand ist noch nicht lange in ihrem Amt. Die von ihr geleitete Stabsstelle an der Uni Konstanz wurde erst vor vier Monaten eingerichtet. Dabei geht es darum, die vielfältigen Instrumente des Wissenstransfers zu bündeln und zu koordinieren: Die reichen von Computercamps für Schüler, über berufliche Weiterbildungsangebote bis hin zu Forschungsprojekten, die die Uni Konstanz gemeinsam mit Wirtschaftsunternehmen betreibt.

    "Dass man Angebote hat für Kinder, dass man Angebote hat für Schüler, dass man den Transfer im Bereich Studium, dass man den großen Transferanteil sieht in dem Bereich 'Wie kommuniziere ich die wissenschaftlichen Leistungen?', die angesprochenen Kontakte zu Unternehmen - also ich finde, dass gerade im Wissenschaftsbereich diese Vielschichtigkeit sehr, sehr spannend und interessant ist."

    Das sieht auch Andreas Burger so. Er ist der für Wissenstransfer zuständige Referent an der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung. Forschung und Lehre sind dort praxisbezogener ausgerichtet als an der Uni. Entsprechend intensiver verläuft der Wissenstransfer aus der Hochschule zu Unternehmen in der Region. Über 300 Firmen haben bei der Konstanzer Hochschule gezielte, unternehmensbezogene Gutachten und Messserien bestellt. Neben der Auftragsforschung stößt aber auch die generelle wissenschaftliche Arbeit in der Privatwirtschaft auf Interesse. Andreas Burger nennt dazu ein Forschungsprojekt als Beispiel. Dabei erforschen die Wissenschaftler, wie sich Korruption in Unternehmen vermeiden lässt:

    "Vermeidung von Korruption in Unternehmen. Wenn in Korruption in Unternehmen stattfindet, ist das ein großes Problem in Unternehmen. Es ist einerseits ein strafrechtliches Problem. Es ist andererseits ein Effizienzproblem. Wo Korruption stattfindet, leidet die Effizienz im Unternehmen. Aus diesen beiden Gründen wollen Unternehmen, das Korruption vermieden wird. Sie wollen nicht, dass ihre Mitarbeiter strafrechtlich belangt werden. Und sie wollen natürlich, dass sie effizient arbeiten können und haben deshalb Interesse, das Systeme in ihren Unternehmen eingeführt werden, die Korruption vermindern und in den Fällen, in denen Korruption besteht, rechtzeitig erkannt und beseitigt werden kann."

    Deshalb haben Unternehmen ein ureigenes Interesse, mit den Korruptionsforschern der Konstanzer Hochschule zusammenzuarbeiten. Sie öffnen ihnen Türen und Akten. Im Umkehrschluss erhoffen sie sich konkrete Verbesserungen durch die Umsetzung dieser Ergebnisse in ihrer Betriebsstruktur. Dies sei, sagt Andreas Burger, nur eines von vielen Beispielen für Wissenstransfer von der Hochschule in die Privatwirtschaft. Andere Projekte betreffen die Solarenergieforschung, aber beispielsweise auch die Erforschung der Energiepotenziale in der Region Bodensee-Alpenrhein. Andreas Burger bahnt dabei als Transfer-Beauftragter die Kontakte zwischen den Unternehmern einerseits und den Wissenschaftlern an der Hochschule andererseits an. Häufig hat die Hochschule bereits bei der Planung eines Forschungsvorhabens Unternehmen als potenzielle Partner im Auge.

    "Es wird unmittelbar dadurch transferiert, dass schon bei der Antragsstellung der Fördermittel Unternehmen dabei sind. Wir kooperieren von Beginn an mit den Unternehmen. Und die Interessen der Unternehmen fließen da mit ein. Die Unternehmen sind beteiligt. Und auf diese Art passiert ein relativ schneller und effizienter Wissenstransfer von den Wissenschaftlern zu den Unternehmen."

    Als weiteres wichtiges Transfer-Instrument sehen sowohl die Uni Konstanz als auch die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung die Weiterbildungsangebote - und dies nicht nur, weil Weiterbildung als gesetzliche Aufgabe festgeschrieben ist. Die HTWG Konstanz lässt Wissen, das in dieser Form nur an dieser Hochschule gewonnen wurde, gezielt auch in Weiterbildungsangebote einfließen. Beispiel: der Studiengang "Internationale Weltwirtschaftssprachen". Dort beschäftigen sich die Wissenschaftler mit wirtschaftlichen Kooperationen zwischen deutschen Unternehmen und Firmen in Asien, vor allem in China und Indonesien. Es geht dort auch um kulturelle Spielregeln, die bei der Anbahnung von Wirtschaftskontakten zu beachten sind. Aus diesem Wissen hat die Konstanzer Hochschule, in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ingolstadt, dem Bejeing Institute für Technology und dem Daimler-Konzern ein eigenes Weiterbildungsangebot gezimmert.

    "Dieses Angebot richtet sich an obere chinesische Führungskräfte. Die Zielsetzung ist im Wesentlichen, die hohen Anzahl von Ex-Pads in Managmentfunktionen in Asien, in China zu ersetzen durch lokale Kräfte. Dazu ist es aber wichtig, dass die ein weltweit geltendes Know-how und Verständnis von Management haben."

    … erklärte Roland Luxemburger, Weiterbildungsreferent der HTWG Konstanz. Solche Angebote der beiden Konstanzer Hochschulen erachtet Professor Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee, als überaus wichtig. Gut funktionierender Wissenstransfer sei ein wichtiger Standortfaktor für die Unternehmen in der Region, sagt er. Dennoch sieht er Potenziale für eine Verbesserung dieses Transfers.

    "Es gibt eine gewisse Zurückhaltung der Hochschule gegenüber der Wirtschaft, die ihre Wurzeln darin hat, dass die Freiheit der Wissenschaft ein hohes Gut ist und dass man schnell fürchtet, die Hochschule würde zu schnell zum Zulieferbetrieb der Wirtschaft degradiert, wenn ihre Tätigkeit davon abhängig gemacht wird, ob nun ein konkreter Bedarf in der Wirtschaft ist."

    Klar sei: Die Freiheit der Forschung, vor allem der Grundlagenforschung, müsse unangetastet bleiben. Allerdings:

    "Hochschule hat auch eine Verantwortung dafür, dass wir das Wissen generieren, das die Wirtschaft braucht, um die Wertschöpfung zu erzeugen, mit deren Grundlage wir wiederum Wissenschaft finanzieren. Das ist ein Kreislauf. Und es geht darum, diese Vorbehalte zu überwinden und zu sagen: Freiheit der Wissenschaft ist nicht in Gefahr, wenn wir kooperieren."

    Daneben kennt IHK-Hauptgeschäftsführer Claudis Marx den Wunsch vieler Unternehmen nach mehr Tempo im Wissenschaftsbetrieb; Wissenstransfer dürfe nicht im Schneckentempo erfolgen.

    ""An die Hochschule geht der Wunsch, zu erkennen, dass die Uhren in der Wirtschaft anders ticken als im Hochschulbereich. Was an der Hochschule ein Jahr ist, ist in der Wirtschaft oft eine Woche. Wirtschaft, ob sie nun will oder nicht, denkt in Quartalen, muss Erfolge vorweisen, Bilanzen im Blick haben und kann es sich nicht leisten, über ein Problem ein Jahr lang nachzudenken, wenn sich das wirtschaftlich nicht rechnet. Das verlangt von den Hochschulen, die aus guten Gründen andere Zeitvorstellungen haben, ein gewisses Verständnis. Das heißt: Hochschulen müssen ein bisschen Gas geben, Mitgliedsunternehmen müssen Geduld mitbringen. Nur dann treffen sich die beiden!"

    Während die Wirtschaft somit beim Wissenstransfer von den Hochschulen noch Verbesserungspotenziale sieht, stoßen die sogenannten "Non-Profit-Angebote", die sich an die breite Bevölkerung richten, auf zunehmende Resonanz. Bei öffentlichen Veranstaltungen an der Uni sind die Hörsäle gut besucht - vom Vortrag bis hin zur Podiumsdiskussion. Die Bedeutung dieser Form von Wissenstransfer wächst von Monat zu Monat. Denn angesichts knapper öffentlicher Kassen wird der Wert einer Hochschule zunehmend daran bemessen, dass das Wissen möglichst breit verwertet wird, gerade auch für weit gefächerte Bevölkerungsschichten. Für sie wird durch originelle Angebote wie der Konstanzer "Down-Town"-Universität der Elfenbeinturm 'Hochschule' immer durchsichtiger.