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Wissen fürs Volk

Im Botanischen Garten Leipzigs gibt es rund 10.000 Pflanzen. Damit wollen die Forscher keine zweite Bundesgartenschau veranstalten, sondern anhand der Fülle auch zeigen, wie divers die Natur ist und dass diese Diversität einen Zweck erfüllt.

Von Thomas Matsche | 15.05.2010
    Himmelfahrt, vor zwei Tagen in Leipzig. Hunderte Menschen schlendern zur neu eröffneten Kakteenausstellung im Botanischen Garten und schleppen ihre gekauften Pflanzen zu den Autos. Es wirkt fast ein bisschen wie im Baumarkt. Mit dem Unterschied, dass alle Käufer noch ein ausführliches Schreiben in die Hand gedrückt bekommen haben. Mit Tipps und Anleitungen zur artgerechten Pflege der Kakteen. Ausgestellt von den Mitarbeitern des Botanischen Instituts. So einfach kann Wissensvermittlung gehen, meint Dr. Martin Freiberg, wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens. In diesem Dienst stehe der Garten seit über 500 Jahren. Damals gegründet als Heilkräutergarten, mit dessen Hilfe die Kranken der Stadt geheilt wurden. Er war einst das Zentrum des Botanischen Gartens.

    Heute muss man eine stark befahrene Straße überqueren, um dorthin zu gelangen. Doch dann wird es ruhig.

    Martin Freiberg "Wir sind jetzt im Apothekergarten und hier werden die Pflanzen nach ihren Inhaltsstoffen dargestellt. Also nicht rein botanisch gesehen, dass die Verwandtschaft zählt, sondern was ist in der Pflanze drin und wofür wirkt es."

    An einer Holztafel sind alle Heilpflanzen noch mal aufgelistet. Eine Gruppe von Pflanzen nennt sich Saponine, die besonders bei Venenleiden helfen. Andere sind wirksam gegen Husten oder Herzerkrankungen. Doch Wissen wird hier auch noch anders vermittelt. Nah am Menschen. Es gibt Führungen, Ausstellungen und Exkursionen in die Pflanzenwelt. Eine Garten-Pädagogin betreut Schulklassen und hält Unterrichtsstunden zwischen den Pflanzen ab. In einem Tast- und Duftgarten ist anfassen unbedingt erwünscht:

    "Das ist so ein Garten, wo die Leute mal ausdrücklich drauf hingewiesen werden, auch aufgefordert werden, die Pflanzen anzufassen, abzureißen, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen. Und hier gibt's ganz interessante Pflanzen. Auch in Rollstuhlhöhe, dass also auch Behinderte hier sehr gut an die Pflanzen herankommen. Wenn man dann die Pflanzen abreißt. Hier die Doldenblütler mit der Möhre, der Pimpernelle und dem Kümmel. Das kann man alles hier direkt erfahren."

    Und um einen Einblick in die reale Forschungsarbeit zu erhalten, empfiehlt Freiberg, spezielle Vorträge organisiert vom Förderverein des Botanischen Gartens. Zum Beispiel:

    "Wie arbeiten Wissenschaftler im Feld. In Französisch-Guyana oder Kamerun. Wie werden Daten gesammelt und wie kommt man dann später zu einer Publikation, bei der man sich gar nicht vorstellen kann, dass es einen Professor gibt, den man sonst nur im Anzug rumlaufen sieht, wie der mal völlig verdreckt, vernässt und schwitzend im Wald gestanden hat, um an irgendwelchen Pflanzen zu arbeiten."

    Diese Angebote kommen an. Was man an den Besucherzahlen ablesen kann. Bei der letzten Orchideenausstellung kamen 10.000 Menschen innerhalb von zehn Tagen. Stimmen von Besuchern:

    "Ich finde es schön, dass es so zugänglich gemacht wird. Gerade der Botanische Garten, was hier im Freien ist, dass jeder hinkommen kann, sich das anschauen kann und jeder zieht sich seinen Teil dafür raus. Und dass da Studien dahinter stehen, das sieht man schon allein an der liebevollen Beschriftung und alles ist erklärt, aus welchen Ländern es ist und wo es wächst. Das gefällt mir."

    "Es ist, wenn ich dort bin, relativ wenig besucht. Zu den Sonderausstellungen ja, aber ansonsten übers Jahr hin denke ich manchmal, müsste man noch mehr versuchen, die Leute dort reinzulocken."

    Die Meinungen und Hinweise nimmt Martin Freiberg gerne an. Er ist für jede Idee offen. Zum Beispiel würde er gerne noch mehr neuer Schrifttafeln aufstellen. Am liebsten an jedem der 550 Beete im Garten.

    "Hier in unserem systematischen Teil des Gartens wollen wir für jede einzelne Familie ein Schild machen, in Farbe, wo sämtliche Informationen über diese Pflanze drauf sind. Die Verbreitung, wie sie bestäubt wird, welche Nutzpflanzen es gibt, wie sie aussehen. Also das wäre sozusagen fürs allgemeine Interesse und dann speziell für unsere Studenten dann eben Schemata, Aufbau, wie sind die Pollenkörner aufgebaut. So weiter und sofort."

    Bisher gibt es aber nur einige wenige Schilder. Grund: zu wenig Geld.

    Obwohl Wissenstransfer bei einem so komplexen Themengebiet wie der Botanik nicht immer einfach ist, sind die Forscher froh über das große Interesse der Besucher. Denn Martin Freiberg und seine Kollegen sehen sich da auch in einer besonderen Verantwortung.

    "Wir haben so eine gewisse Art von Sendungsbewusstsein. Denn wir wollen ja nicht die Forschung für uns machen, sondern für die Menschheit an sich. Weil die Wissenschaftler insbesondere die Botaniker und Ökologen, die denken nicht in Vier- oder Fünfjahresschritten oder Hundertjahresschritten sondern was passiert mit Mitteleuropa in 1000 Jahren. Wenn wir so weiter machen wie jetzt. Und wenn da die Bevölkerung, der normale Bürger da nicht mitzieht, dann haben wir keine Chance."