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Performance "Cyborg-City"
Das absolute Verschmelzen

Computerprogramme und Apps zur Selbstoptimierung sind Alltag. Nun treten Cyborgs auch im Theater auf. Wer gewinnt – die Maschinenwesen, die nach Weltherrschaft streben, oder Trojakoniken, die für den Menschen kämpfen? In der Performance "Cyborg-City" sollen die Zuschauer spielerisch mitentscheiden.

Von Oliver Kranz | 17.05.2018
    In "Cyborg-City" verschmelzen Theater und Computerspiel. Die Zuschauer werden in Sechsergruppen eingelassen und durchlaufen einen Parcours. Der erste Cyborgianer wartet am Ende eines langen Korridors - bleich geschminkt, in einem Mantel aus Plastikfolie. Er hebt seine rechte Hand und wiederholt mechanisch dieselben Worte, bis ein Zuschauer vortritt und seine Hand vor die des Cyborgs hält.
    Der Vorgang wiederholt sich sechsmal. Erst wenn alle Zuschauer dem Maschinenmenschen ihre Hand zur Datenübertragung gereicht haben, darf die Gruppe in den nächsten Raum. Dort wartet ein neuer Cyborgianer.
    Cyborgianer: "Bist du Plapolemos, Fürst aus Rhodos? Ja? Nein?"
    Zuschauer: "Vielleicht."
    Cyborgianer: "Ja? Nein? Wenn Du mit Ja antwortest, können wir dich gut gebrauchen."
    Erst müssen persönliche Daten preisgegeben werden
    "Bei uns ist es ja so: Es geht gar nichts ohne Partizipation. Also ohne dass der Zuschauer irgendetwas macht, funktioniert gar nichts", erklärt Anne-Sylvie König, die das Stück gemeinsam mit Rolf Kasteleiner inszeniert hat. Regeln von Computerspielen werden auf die Bühne übertragen - aber nicht eins zu eins:
    "Bei einer A-oder-B-Entscheidung: Spieler würden sich immer sofort entscheiden. Die wollen ja hochleveln. Hier haben wir es mit Theater zu tun, wo die Zuschauer überlegen: 'Möchte ich diese Entscheidung überhaupt treffen?' Bei A und B, in beiden Varianten, muss ich etwas von mir abgeben, muss ich Daten übertragen, muss ich etwas erzählen über meine Identität, welchen Beruf ich habe."
    Erst müssen persönliche Daten preisgegeben werden, dann wird darüber abgestimmt, ob Gruppenmitglieder ausgeschlossen werden. Jeder Spieler erhält Punkte, die später darüber entscheiden, ob er dem Team der Cyborgianer oder dem der Trojakoniken zugeteilt wird. Die Cyborgianer wollen, dass Maschinen die Welt beherrschen, die Trojakoniken stellen den Menschen in den Mittelpunkt.
    Anne-Sylvie König: "Man muss ganz klar sehen: Entscheidet man sich für den Weg der Maschinisierung und Robotisierung mit allem was dazu gehört - das kann ja auch etwas Positives haben - oder entscheidet man sich, dass man für die menschlichen Anteile kämpft. Diese Radikalität wollen wir. Die Cyborgianer wollen ja, dass etwas entwickelt wird im Sinne der künstlichen Intelligenz, was weder Mensch noch Maschine ist, sondern etwas ganz Neues, ohne Körper, ohne Maschinenanteile, die bewusst sind, sondern letztendlich nur noch ein Algorithmus."
    Ohne den erhobenen Zeigefinger
    Wodurch das anfangs noch harmlos erscheinende Spiel an die Realität angekoppelt wird. Algorithmen führen heute schon viele wichtige Entscheidungen herbei - ob im Finanzsektor oder bei der Arbeit von Geheimdiensten. Wer als Terrorist eingestuft wird und wer einen Kredit bekommt, wird aufgrund von Informationen entschieden, die mit Hilfe von Computerprogrammen analysiert werden. Doch das Inszenierungsteam will nicht mit erhobenem Zeigefinger arbeiten.
    Rolf Kasteleiner: "Weil wir ja spielen. Das heißt: Die Zuschauer entscheiden das. Wir haben zwei Gruppen. Da gibt es einen Schiedsrichter. Wir gehen in den Mythos rein und sagen: Der Mythos kann noch mal neu entschieden werden."
    Die Inszenierung spielt auf den Kampf um Troja an, erklärt Rolf Kasteleiner. Die Namen der Cyborgs entsprechen denen der griechischen Helden. Die Schöne Helena ist kein Mensch, sondern ein Computerprogramm. Die Trojakoniken haben es gestohlen, die Cyborgianer wollen es zurückerobern.
    Cyborgianer: "Wenn du mich ab jetzt kämpfen sehen willst, so tritt auf den Kampfplatz oder komm zu mir."
    Mal werden die Zuschauer aufgefordert, die Cyborgs, die ihrem Team zugeordnet sind, als Kampfmaschinen zu nutzen. Mal müssen sie anhand von Hinweisen, die im Bühnenraum versteckt sind, Rätsel lösen. So entsteht eine Art Mitmachtheater 3.0 - sehr verspielt und spannend, aber auch vielschichtig. Widerhaken, die zum Nachdenken anregen, gibt es zu Genüge.
    Die Produktion "Cyborg-City" feiert am 18. Mai 2018 in Berlin Premiere. Die ersten Vorstellungen laufen im ehemaligen Stummfilmkino Delphi, dann zieht die Produktion um ins Kühlhaus Kreuzberg, wo sie ab 6. Juni im Rahmen des "Performing Arts Festivals" zu sehen sein wird.