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Philip Manow
"Die Politische Ökonomie des Populismus"

Zu viel Moral, zu wenig Analyse: Der Politikwissenschaftler Philip Manow kritisiert die bisherige gesellschaftswissenschaftliche Debatte über die Krise der liberalen Demokratien und den Aufstieg der Populisten in vielen Ländern.

Von Matthias Becker | 14.01.2019
    (L-R) The Federal Secretary of Northern League's party, Matteo Salvini, Far-right Freedom Party of Austria (FPOe) Harald Vilimsky, French far-right National Front party leader Marine Le Pen, Dutch right-wing 'Partij voor de Vrijheid' (PVV) leader Geert Wilders...
    Die Rechtspopulisten Matteo Salvini (Lega Nord), Harald Vilimsky (FPÖ) , Marine Le Pen (Front National), Geert Wilders (PVV), Gerolf Annemanns (Vlams Belang), von der ENF-Fraktion im Europaparlement, hier bei einer Pressekonferenz im Mai 2016. (dpa/picture alliance/ Julian Warnand)
    Wer wählt die AfD und warum? Der rasante, anhaltende Aufstieg der Rechtspopulisten hat eine soziologische Debatte ausgelöst. Manche Wissenschaftler bemühen zur Erklärung die Unzufriedenheit von sogenannten Modernisierungsverlierern. Andere verweisen auf die Eigeninteressen von Politikern, die mit populistischen Strategien mobilisieren und Wahlen gewinnen können.
    Oder sind es einfach kulturelle Verschiebungen, die dazu führen, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung alles Fremde und Unbekannte ablehnt? Kultur, Politik oder Ökonomie – wo liegen die Ursachen? Der Politikwissenschaftler Philip Manow legt nun einen neuen, anderen Erklärungsversuch vor.
    "Ja, weil ich mit der Populismus-Diskussion nicht wirklich zufrieden bin. Ich denke, dass die extrem verfahren und nicht wirklich zielführend ist und eigentlich selbst Teil des Streites anstatt analytisch. Ein Vergleich schafft immer Distanz. Und da war auch ein bisschen aufklärerischer Impetus dahinter, zu sagen: Jetzt lass uns das mal vergleichen, und warum sehen wir das in manchen Ländern so und in anderen Ländern so, und was sagt uns das über das Phänomen als solches."
    Populismus von rechts und von links
    Philip Manows Buch "Die Politische Ökonomie des Populismus" ist tatsächlich ein umfangreicher internationaler Vergleich. In erster Linie untersucht der Autor Europa und findet dabei erhebliche Unterschiede zwischen den diversen populistischen Parteien und ihren Wählerschaften. Dabei zeigt sich laut Manow dennoch ein klares geographisches Muster: Im Süden reüssieren linkspopulistische Parteien wie Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland. In Ost- und Nordeuropa dagegen Rechtspopulisten wie die ungarische Fidesz, die Schweden-Demokraten oder eben die deutsche AfD. Warum eigentlich ist das so?
    "Wenn man Sinn aus diesen sehr widersprüchlichen Mustern machen möchte, ist die These des Buches, dann muss man sich die politischen Ökonomien dieser Länder angucken. So, und so wie wir das machen, kommen wir eben meiner Meinung nach auch Gott sei Dank etwas aus dieser häufig hysterischen und extrem, wie soll man sagen, moralisierenden Debatte raus, zumindest ein bisschen, und wissen dann vielleicht auch, dass da tatsächlich reale ökonomische Verwerfungen dahinter stehen und nicht nur einfach komische Leute mit komischen Ansichten."
    Philip Manow beklagt ein Übermaß an moralischer Empörung und einen Mangel an Analyse. Für viele Sozialwissenschaftler seien die Positionen der Populisten so evident unvernünftig, dass ihnen die Auseinandersetzung mit diesen gar nicht nötig scheine. Wirtschaftliche Ursachen würden von vornherein ausgeklammert – und das ist seiner Meinung nach ein Fehler.
    "Wer über den Populismus reden will, aber nicht zugleich auch über den Kapitalismus, landet meist nur bei der Identitätspolitik – und ist dann schnell mittendrin in völlig unergiebigen Debatten voll wechselseitiger Stigmatisierungen."
    Ökonomische Analyse statt moralischer Verurteilung
    Der Titel ist Programm: "Politische Ökonomie" beschreibt den Zusammenhang von Wirtschaft und Herrschaft. Philip Manow versteht unter politischer Ökonomie die nationalstaatliche Organisation und Regulierung der kapitalistischen Verhältnisse. Wenn der Staat etwa mit Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe den beständigen Abwertungsdruck auf die Löhne mildert. Da in allen Industrieländern andere Strukturen greifen, gibt es in dieser Lesart unterschiedliche politische Ökonomien, Varianten des Kapitalismus.
    Philip Manow hält den Populismus für eine Reaktion auf die Globalisierung, konkret: die zunehmenden Handels- und Geldströme und Migration. Die Globalisierung beeinflusst aber die verschiedenen Nationalökonomien auf unterschiedliche Weise – und so entstehen die unterschiedlichen populistischen Forderungen.
    "In Südeuropa richtet sich der Protest linkspopulistisch eher gegen die 'neoliberale' Wirtschaftsordnung, also die freie Bewegung von Gütern und Kapital sowie die fiskalpolitische Zurückhaltung des Staates, in Nordeuropa eher gegen Migration, also die freie Bewegung von Personen."
    Eine elegante Erklärung aus handfesten materiellen Interessen, nur: Wie passt sie zu dem vielfach bestätigten Forschungsergebnis, dass in Deutschland diejenigen, die tatsächlich sozial absteigen, zum Beispiel arbeitslos oder nur prekär beschäftigt sind, nicht überdurchschnittlich häufig die AfD unterstützen? Die AfD-Wähler seien weniger vom tatsächlichen Statusverlust als von Verlustangst motiviert, argumentiert Manow, und führt als Beleg Daten aus der letzten Bundestagswahl an:
    "Die Abwanderung zur migrationskritischen AfD war insbesondere bei Personen ausgeprägt, die entweder in der Vergangenheit selbst Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit gemacht oder diese in ihrer unmittelbaren Umgebung erlebt hatten und sich daher eines ständigen Arbeitslosigkeitsrisikos – und des nun damit verbundenen schnellen sozialen Abstiegs – bewusst waren."
    So vertritt Philip Manow letztlich eine abgewandelte, etwas differenziertere These von den Modernisierungsverlierern als den Hauptträgern des Populismus – auch wenn der Verlust in diesem Fall nur einer an Sicherheit sein mag. Manows Analyse bringt eine neue Perspektive in die Debatte, obwohl wichtige Aspekte darin nicht auftauchen, zum Beispiel die anti-feministische Stoßrichtung der neuen Rechten. Auch der scharfe Kontrast zwischen einem linken Süden und einem rechten Norden und Osten überzeugt nicht; gegenwärtig sind in Spanien und Griechenland rechtsextreme Parteien im Aufwind. Aber – Philip Manow macht klar, dass Identität und Kultur nur die Oberfläche des Phänomens ausmachen. Der Rechtspopulismus deutet Verteilungskonflikte um in kulturelle Unvereinbarkeiten. Somit ist er selbst eine "Identitätspolitik", die sich aber aus materiellen Interessen speist.
    Philip Manow: "Die Politische Ökonomie des Populismus",
    Suhrkamp, 177 Seiten, 16 Euro.