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PKW-Maut
"Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker"

Michael Cramer (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Europaparlamentes, hält die Maut-Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) für "verrückt". Diese widersprächen dem europäischen Gedanken. Außerdem füge man Deutschland damit einen wirtschaftlichen Schaden zu.

Michael Cramer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.07.2014
    Porträtbild von Michael Cramer, Studienrat und Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament.
    Michael Cramer: "Deutschland gilt ja als Musterknabe der EU. Keiner versteht das." (picture alliance / ZB / Nestor Bachmann)
    Jürgen Zurheide: Wir kommen zur Innenpolitik. Dort haben sich die Verkehrsminister der Länder gestern getroffen, und da geht es natürlich ums Geld: Um Geld, was sie nicht haben, um Straßen instand zu setzen, um möglicherweise hier und da auch noch mal neu zu bauen. Und wenn es ums Geld geht, dann sind wir schnell bei der Maut. Allerdings da scheinen die Verkehrsminister auch nicht wirklich begeistert zu sein, obwohl es ja zumindest etwas in ihrer Kasse klingeln würde.
    Wie geht es denn weiter mit der Vignette? Das wollen wir jetzt noch mal aus europäischer Sicht beleuchten und freuen uns, dass der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Europaparlamentes, der Grünen-Abgeordnete Michael Cramer, jetzt am Telefon ist. Herr Cramer, die Länder sehen noch Klärungsbedarf. Wie sieht es denn aus in Brüssel aus Ihrer Sicht?
    Cramer: In Brüssel sieht es natürlich nicht gut aus, denn der Vorschlag der Pkw-Maut für Ausländer widerspricht natürlich dem europäischen Gedanken und ist mit EU-Recht nicht vereinbar.
    "Alle schütteln den Kopf"
    Zurheide: Auf der anderen Seite hat Verkehrsminister Dobrindt ja versucht, da verschiedene, ich sage jetzt mal, gesetzgeberische Tricks anzuwenden, um dieses Junktim zwischen der Reduktion hier und der Erhöhung dort nicht ganz so sichtbar zu machen. Das fällt in Brüssel auf, oder?
    Cramer: Natürlich! Eine direkte Diskriminierung darf es nicht geben, aber auch keine indirekte. Siim Kallas hat ja am 29. Juni in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" noch mal klargemacht: Eine Abhängigkeit, die Einführung einer Maut und die gleichzeitige Reduktion bei der Steuer, das geht nicht. Das widerspricht dem EU-Recht.
    Zurheide: Das ist auf der einen Seite die Sicht der Kommission. Wie sehen Sie denn die Sicht im Europäischen Parlament? Wie würde so was wirken im Kollegenkreis? Was hören Sie da?
    Cramer: Deutschland gilt ja als Musterknabe der EU. Keiner versteht das. Alle schütteln den Kopf. Eine PKW-Maut für Ausländer, das hat keiner erwartet. Das ist europafeindlich und vor allen Dingen das ist Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker und der Rechtsradikalen, die nur den nationalistischen Blick haben. Und natürlich die Reaktion: Selbst in der EVP, wo die CDU- und CSU-Abgeordneten ja Mitglied sind, regt sich Widerstand. Der verkehrspolitische Sprecher kommt aus Holland. Der sagt, wenn das die Deutschen machen, machen wir das auch, dann macht Belgien das auch, dann macht Österreich das auch, und dann erleidet Dobrindt Schiffbruch, weil er gesagt hat, die Deutschen werden nicht belastet. Wenn die anderen das auch machen, zeigen sie den Deutschen, wie teuer das ist. Wir sind ein Transitland, wir sind viel mehr abhängig von guten Grenzen als die anderen.
    "Wir brauchen vor allen Dingen die Erhaltung der bestehenden Infrastruktur"
    Zurheide: Auf der anderen Seite heißt es - und das haben die Verkehrsminister hier in Deutschland ja heute auch noch mal festgehalten -, wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, weil das, was von den Autofahrern gezahlt wird, nicht unbedingt dort landet. Braucht man mehr Geld?
    Cramer: Ja natürlich braucht man mehr Geld. Aber wir brauchen auch eine andere Politik. Zehn Milliarden Euro in Stuttgart auszugeben für einen Bahnhof, der halb so leistungsfähig ist wie der bestehende, und die Neubaustrecke nach Ulm, die drei Milliarden Euro kostet, zu begründen, weil die alte Geislinger Steige für den Güterverkehr nicht geeignet ist ... Deshalb brauchen wir eine neue, und auf dreifaches Fragen hat die Kommission mir endlich bestätigt, die Neubaustrecke für drei Milliarden ist steiler als die alte Geislinger Steige. Wer so mit dem knappen Geld umgeht, der muss zunächst mal eine andere Politik machen und dann sehen, wo müssen wir investieren. Wir brauchen keine neuen Projekte, wir brauchen vor allen Dingen die Erhaltung der bestehenden Infrastruktur, und ein Zeichen könnte sein, in Berlin soll eine Autobahn gebaut werden, die mit 150 Millionen pro Kilometer in Planung stand, die die teuerste Autobahn der Republik wird. Das ist ein Projekt aus den 50er-Jahren, das heute gebaut werden soll, obwohl in Berlin nur jeder zweite Haushalt ein Auto hat. Also wenn die es ernst meinen für die Infrastruktur, für die Sanierung, dann bitte streicht dieses Projekt in Berlin.
    Zurheide: Auf der anderen Seite ist die Grundfrage, so eine Vignette, ist die überhaupt sinnvoll. Die Lenkungswirkung ist so gut wie gleich null, selbst wenn sie vielleicht ökologisch gestaffelt wird. Oder wie sehen Sie das?
    Cramer: Die PKW-Maut für Ausländer ist verrückt: Einmal der ganze Bürokratismus, der damit zusammenhängt. Fünf Prozent der Autofahrer in Deutschland kommen aus dem Ausland, das bringt überhaupt nichts. Wenn man da rangeht - wir wissen, dass die Lkw 60.000 Mal so stark die Straße beanspruchen wie ein PKW. Die Lkw-Maut gilt aber nur auf Autobahnen und einigen Bundesstraßen und für Lkw ab zwölf Tonnen. Die Schweizer sind so klug, da gilt die Lkw-Maut auf allen Straßen für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Deshalb haben die keine Verlagerung von großen auf kleine Lkw und von Autobahnen auf Bundesstraßen. Das gäbe locker zwei Milliarden, wenn ich sie auf alle Bundesstraßen ausweite, und wenn ich sie auf alle Straßen ausweite, vier Milliarden. Das wäre das Richtige und einfach. Aber wer das nicht kann, der soll doch aufhören, von der Pkw-Maut zu träumen.
    "Mit Europarecht nicht vereinbar"
    Zurheide: Jetzt haben die Grünen im Bundesrat ja die Möglichkeit, Nein zu sagen über die Regierungen, an denen sie beteiligt sind oder die sie selbst führen. Werden die Grünen Nein sagen im Bundesrat, denn es wird wohl ein Gesetz werden, das vorgelegt werden muss?
    Cramer: Ich hoffe, sie werden Nein sagen. Ich gehe auch davon aus, denn erstens ist es mit Europarecht nicht vereinbar, und Sie wissen, wir legen sehr viel Wert auf die europäische Integration. Zweitens stimmt es nicht, dass die Deutschen nicht belastet werden. Die werden belastet, weil die anderen nachziehen, also gerade in Nordrhein-Westfalen. Die CDU ist vehement dagegen, weil sie genau weiß, wenn das durchkommt, haben sie die Schuld, dass die deutschen Autofahrer mehr zahlen, und vor allen Dingen, dass die Holländer nicht mehr nach Deutschland kommen. Das ist ein wirtschaftlicher Schaden, den kann man sich gar nicht ausmalen. Dasselbe ist übrigens mit Frankreich und dann Deutschland.
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesagt, ich hoffe. Warum steht das noch nicht fest?
    Cramer: Ich bin jetzt nicht in den Beratungen. Ich gehe davon aus, das ist so, aber wir haben das jetzt nicht beschlossen, weil ja das Gesetz noch gar nicht vorliegt. Auch die Kommission - die habe ich sofort gefragt -, die sagten, wir haben ja nur Eckpunkte, wir können noch gar nichts sagen.
    Zurheide: Das war Michael Cramer, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, für die Grünen im Europäischen Parlament. Wir haben das Interview kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.