UN-Plastikkonferenz
Letzte Chance für ein globales Abkommen?

Rund 180 Staaten verhandeln in Genf über das erste globale UN-Abkommen gegen Plastikmüll. Es soll Produktion, Design und Entsorgung regeln – doch die Fronten sind verhärtet. Worum geht es, wie groß ist das Problem und gibt es Hoffnung auf eine Einigung?

    Vor dem UN-Hauptsitz in Genf steht eine sechs Meter hohe Skulptur von Benjamin Von Wong: eine Neuinterpretation von Rodins „Denker“, beladen mit gesammelten Plastikteilen. Im Vordergrund liegen weitere Plastikgegenstände.
    Vor dem UN-Hauptsitz in Genf mahnt die Skulptur „The Thinker’s Burden" des Künstlers Benjamin Von Wong mit einem Berg aus Plastik an ein globales Abkommen gegen Plastikverschmutzung. (picture alliance / Keystone / Salvatore di Nolfi)
    Jedes Jahr produziert die Welt über 460 Millionen Tonnen Plastik – fast so viel, wie alle Menschen zusammen wiegen. Nur ein Bruchteil wird recycelt, der Rest landet auf Deponien, wird verbrannt oder verschmutzt Böden, Flüsse und Meere. Da diese steigende Plastikflut nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Gesundheit gefährdet, verhandeln seit dem 5. August in Genf rund 180 Staaten über ein globales, rechtsverbindliches Abkommen gegen Plastikmüll. Gelingt ein Abschluss, könnte er für den Kampf gegen die Verschmutzung so bedeutsam werden wie das Pariser Klimaabkommen für den Klimaschutz. Doch harte Gegensätze bremsen den Durchbruch.

    Inhalt

    Was soll auf der UN-Plastik-Konferenz in Genf beschlossen werden?

    Seit dem 5. August verhandeln rund 180 Länder in Genf über ein globales UNO-Abkommen, das Produktion, Design und Abfallmanagement von Plastik regeln soll. Ziel ist es, das erste rechtsverbindliche internationale Abkommen gegen Plastikverschmutzung zu schließen und die weltweite Plastikverschmutzung deutlich zu verringern.
    Die Fronten sind allerdings verhärtet: Ölförderstaaten wollen nur über die Beseitigung von Plastikmüll sprechen, viele andere Länder drängen auf verbindliche Grenzen für die Produktion. Ob es zu einer Einigung kommt, ist unklar. Die Gespräche könnten bis zum 15. August dauern. Insgesamt laufen die Verhandlungen im Rahmen der UNO seit Ende 2022 und sollten ursprünglich bis Ende 2024 abgeschlossen sein. Das gelang allerdings nicht, deshalb verständigten sich die Teilnehmer dort auf eine Verlängerung in der Schweiz. Diesmal soll nun ein konkreter Vertragstext ausgearbeitet werden. Langfristig soll das Abkommen auf einer Stufe mit anderen bedeutenden Umweltverträgen wie dem Pariser Klimaabkommen stehen.
    Ein Diagramm zeigt die Entwicklung des Plastikmüllaufkommens weltweit.
    Die Grafik zeigt die Entwicklung des Plastikmüllaufkommens weltweit. (dpa / dpa-infografik GmbH)

    Was genau sind die Konfliktlinien in den Verhandlungen?

    Die Verhandlungen sind tief gespalten. Auf der einen Seite stehen Länder wie Panama, Kenia, Frankreich und Großbritannien, die den gesamten Lebenszyklus von Plastik regeln wollen, von der Herstellung der Polymere bis zur Entsorgung. Sie kritisieren, dass entsprechende Passagen sowie Hinweise auf Gesundheitsschäden aus dem jüngsten Entwurf gestrichen wurden. Panama nannte den Text „abstoßend“ und verlangte eine „vollständige Überarbeitung“.
    Auf der anderen Seite blockieren vor allem erdölproduzierende Staaten wie Saudi-Arabien, die USA und die Golfstaaten verbindliche Produktionsgrenzen. Sie lehnen Beschränkungen für neue Kunststoffe aus Erdöl, Kohle und Gas ab und wollen sich stattdessen auf Müllentsorgung konzentrieren. Saudi-Arabien erklärte, man könne sich „auf nichts einigen, solange der Geltungsbereich des Vertrags nicht klar definiert sei“.
    Auch die Industrie ist gespalten: Der American Chemistry Council warnt, die USA könnten ein Abkommen mit Produktions- oder Chemikalienverboten „möglicherweise nicht ratifizieren“. Dagegen drängen rund 300 Unternehmen auf ein ambitioniertes Abkommen mit weltweit einheitlichen Regeln.

    Zentrale Streitthemen

    Neben der Begrenzung der Plastikproduktion sorgen vor allem drei weitere Themen für Streit: Finanzierung, Entscheidungsprozesse und wirtschaftliche Anreize. Viele besonders betroffene Länder – etwa pazifische Inselstaaten – brauchen finanzielle Unterstützung, um Punkte wie Abfallentsorgung umsetzen zu können. Strittig ist auch, ob Entscheidungen per Konsens oder notfalls mit Mehrheitsabstimmung getroffen werden sollen. Unter Artikel sechs stehen außerdem fiskalische Maßnahmen wie Marktanreizsysteme oder sogar eine globale Steuer auf Plastikproduktion zur Debatte, letztere gelten laut Florian Titze vom WWF wegen starken Widerstands derzeit als unrealistisch.
    Zaynab Sadan vom WWF sieht die Fronten verhärtet: „Es ist unwahrscheinlich, dass alle Länder in der Lage sein werden, ihre Differenzen zu überbrücken“, sagte sie und betonte, eine Einigung sei „so weit entfernt wie nie zuvor in den fast dreijährigen Gesprächen“. Der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth betonte, dass man sich für ein Abkommen engagiere:  „Deutschland ist als Teil der EU sehr bereit, hoch interessiert, dass wir hier zu einem Abschluss kommen.“

    Wie groß ist das weltweite Plastikproblem?

    Plastik basiert größtenteils auf Erdöl. Die Herstellung und Verbrennung von Kunststoff setzt große Mengen an Kohlendioxid frei und befeuert damit die Erderwärmung. Schon heute verursacht die Herstellung mehr Treibhausgase als der gesamte Flugsektor.
    Außerdem landet Plastik allzu oft in der Umwelt, im Wasser, Boden, Luft, in den Meeren und in vielen Meerestieren. Zu den Quellen zählen zum Beispiel der Abrieb von Autoreifen, Fasern aus synthetischer Kleidung und Mikroplastik in Kosmetika. Hinzu kommen unzählige Kunststoffabfälle, die achtlos entsorgt oder unsachgemäß behandelt werden.
    Nur rund 9 Prozent des weltweit erzeugten Plastikmülls werden tatsächlich recycelt. Der Großteil landet entweder auf Deponien, in der Natur oder wird verbrannt. Wenn wir so weitermachen, wird sich die Menge des Plastikmülls bis 2060 sogar verdreifachen. Plastik verschwindet nicht, sondern zerfällt mit der Zeit in immer kleinere Teile – Mikroplastik und Nanoplastik.
    Forschende finden diese Partikel inzwischen überall: Im Nordatlantik treiben allein in der oberen Wasserschicht 27 Millionen Tonnen winziger Fragmente. Kunststoffe tauchen in den entlegensten Regionen der Erde auf und in uns. Mikroplastik wurde bereits in der Lunge, im Blut, in Muttermilch und sogar im Gehirn nachgewiesen. Wir atmen es ein, essen es mit unserer Nahrung und trinken es mit dem Wasser. Der WWF warnt: Bleibt alles wie bisher, wird es im Jahr 2050 nach Gewicht mehr Plastik als Fische in den Meeren geben.

    Warum reicht Recycling nicht aus?

    Oft wird Recycling als die Lösung des Plastikproblems präsentiert. „Die Realität ist, dass Recycling schwierig ist, dass das aufwendig ist. Das braucht Infrastruktur, das ist teuer“, sagt Florian Titze vom WWF. Recycling allein reiche daher nicht aus, um das Plastikproblem zu lösen. Denn die Plastikproduktion wächst Jahr für Jahr. „Und da kann kein Infrastruktur-Recycling-System der Welt annähernd mithalten“, so Titze.
    Auch in Deutschland, das oft als Recycling-Vorbild gilt, liegt die Quote bei nur rund 50 Prozent, der Rest wird überwiegend verbrannt. Doch auch Recycling heißt noch nicht, dass die Stoffe gleichwertig wiederverwendet werden:  Selbst das PET-Recycling, das oft als Vorzeigebeispiel gilt, ist kein echtes Recycling: Die PET-Flaschen lassen sich vergleichsweise oft wiederverwerten, doch das energieaufwendige Verfahren mindert jedes Mal die Materialqualität. Am Ende entstehen meist minderwertige Produkte, und auch dabei geht ein Teil des Materials verloren.
    Zwar gibt es immer wieder technologische Ansätze, um Plastik in seine Bestandteile zu zerlegen, etwa mithilfe spezieller Verfahren oder Enzyme. Doch Titze warnt davor, sich allein auf solche Lösungen zu verlassen. Stattdessen müsse man das Vorsorgeprinzip anwenden, also jetzt handeln, um Schäden zu vermeiden. „Und soweit wir diesen Punkt nicht erreicht haben, müssen wir das Beste tun, um diese ökologischen Krisen selbst in die Hand zu nehmen und nicht zukünftigen Generationen zu überlassen“, so Titze.
    ema