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Polen und die Wahlrechtsänderung
Gesine Schwan: Präsidentschaftswahl in Polen verschieben

Gesine Schwan, ehemalige Koordinatorin für deutsch-polnische Zusammenarbeit, plädiert dafür, die für Mai geplanten Präsidentschaftswahlen in Polen während der Coronakrise zu verschieben. Alle Kandidaten sollten dieselbe Chance haben, Wahlkampf zu betreiben, sagte sie im Dlf. Das sei aber nicht der Fall.

Gesine Schwan im Gespräch mit Peter Sawicki | 01.04.2020
Das Foto zeigt die SPD-Politikerin Gesine Schwan auf einer Regionalkonferenz zur Präsentation der Kandidatinnen und Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz.
Gesine Schwan, ehemalige Koordinatorin für deutsch-polnische Zusammenarbeit (picture alliance / dpa / Sven Simon)
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Dennoch hält die Regierung an einem Termin fest: Am 10. Mai soll eine Präsidentschaftswahl stattfinden. Dafür ändert die rechtskonservative Regierungspartei PiS nun sogar das Wahlrecht.
"Boykott ist eine hilflose Geste"
In den Umfragen liegt der Präsidentschaftskandidat Andrzej Duda vorne. Er sollte sich aber nicht zu sicher fühlen, sagte Gesine Schwan, ehemalige Koordinatorin für deutsch-polnische Zusammenarbeit, im Dlf. Es wäre ein Gebot der Fairness, die Wahlen zu verschieben, sagte sie. "Es ist doch ganz offenkundig, dass die, die gegen ihn antreten, nicht die Chance haben, ihre Argumente unters Volk zu bringen."
Einige weitere Präsidentschaftsandidaten hatten bereits zum Boykott der Wahl aufgerufen. "Das ist eine hilflose Geste, weil letztlich, die Zahl der Beteiligten – zumal unter diesen Bedingungen – in der Öffentlichkeit nicht so sehr zählen werden", sagte sie. Boykott habe nur dann Wirkung, wenn damit eindeutig die Wahlen delegitimiert werden können.
Schwan glaubt, dass der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński deutlich von den demokratischen Regelungen abgehen wollen. In Polen sei der Widerstand innerhalb der Gesellschaft dagegen aber zum Beispiel größer als in Ungarn. Schwan halte Jarosław Kaczyński nicht für einen überzeugten Demokraten.

Das gesamte Interview lesen Sie hier:
Peter Sawicki: Frau Schwan, ein demokratisches Land will fristgemäß Präsidentschaftswahlen abhalten. Was gibt es daran auszusetzen?
Gesine Schwan: Dass ganz offenkundig die Voraussetzungen dafür, dass Wahlen demokratisch und transparent stattfinden, dass nämlich auch wirklich ein fairer Wahlkampf stattfinden kann, dass diese Möglichkeit nicht gegeben ist, und das ist auch der PiS sehr bewusst.
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Sawicki: Und warum will sie das dann trotzdem stattfinden lassen?
Schwan: Weil sie weiß, dass sie auf diese Weise eine ganz andere Chance hat, ihren Kandidaten, Herrn Duda, durchzubekommen. Denn man muss ja sagen: Die PiS hat zwar eine riesige Mehrheit im Sejm, aber sie hat schon im Herbst Probleme gehabt bei den Wahlen. Erstens ist der Senat nicht mehr in ihrer Hand, auch Kommunen, gerade die großen Städte, sind vorher nicht in ihrer Hand gewesen. Sie hat nur in kleineren und mittleren Städten gewinnen können. Das heißt, sie hat zwar sehr viel Geld an Subventionen noch mal für Familien und so weiter gegeben, aber sie ist nicht ganz so sicher im Sattel, wie sie sich das wünscht. Wenn sie das jetzt schaffen könnte bei dieser Asymmetrie, dass seit Wochen wegen der Pandemie-Krise kein Wahlkampf stattfindet, Präsident Duda aber die ganze Zeit überall auf allen öffentlichen Kanälen ist, dann hat er natürlich einen unglaublichen Vorteil.
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"80 Prozent der Polen dagegen sind, dass die Wahl jetzt stattfindet"
Sawicki: Sie sprechen von Asymmetrie, aber es ist nun mal auch eine Krisensituation. Wenn man aber darauf schaut, dass Andrzej Duda, der amtierende Präsident, für fünf Jahre gewählt worden ist und jetzt fristgemäß der Termin ansteht, könnte man dann nicht auch sagen, dass es ein Legitimitätsproblem ist, wenn man die Wahl jetzt verschiebt?
Schwan: Nein! Ich meine, die Wahltermin-Festlegung, das ist ja in vielen Demokratien unterschiedlich geregelt. Manche haben es fest zu bestimmten Terminen, manche nicht. Zum Beispiel in Großbritannien kann der Premier bestimmen, wann die Wahl stattfindet, und zwar ganz bewusst unter dem Aspekt, dass er einen für ihn günstigen Termin aussucht. Das wirkt aber auf viele unfair, das ist auch ein Problem. Aber wenn das jetzt so ist und wir haben so außergewöhnliche Zeiten und es ist sehr nachträglich noch, dass zum Beispiel dieses Briefwahl-Gesetz durchkommt, dann zeigt sich ja, dass da die PiS-Regierung manipulieren will. Sie weiß auch, dass 80 Prozent der Polen dagegen sind, dass die Wahl jetzt stattfindet, einfach weil die Zeiten außergewöhnlich sind.
Sawicki: Sie sprechen von Manipulation. Aber wenn wir mal auf dieses Wahlgesetz schauen: Wir haben ja gerade unseren Korrespondenten gehört. Das soll in zwei Teilen jetzt neu überarbeitet werden und die Briefwahl soll jetzt für alle gelten. Das war bislang nicht so, wenn wir das richtig verstanden haben. Alle dürfen an der Briefwahl teilnehmen. Man muss dann nicht an dem Tag ins Wahllokal gehen, sich eventuell der Krankheit oder der Gefahr der Krankheit aussetzen. Erleichtert das nicht wiederum die Bedingungen für alle?
Schwan: Na ja. Die technischen Bedingungen mag das erleichtern, wobei ja da auch noch mal die Frage ist, ob in dieser kurzen Zeit die Briefwahl auch für die Polen, die im Ausland wohnen, organisiert werden kann. Die sind erfahrungsgemäß sehr kritisch gegenüber PiS und unter anderem deswegen wollte die PiS ja diese Briefwahl auch nicht mehr weiter haben. Aber noch mal: Vorausgehen muss bei einer Wahl, wenn sie demokratisch wirklich legitim sein soll, dass alle Kandidaten eine Chance haben müssen, und zwar dieselbe Chance haben, Wahlkampf zu betreiben, und das haben die Minderheitskandidaten jetzt nicht.
"Es gibt einen Unterschied zwischen Umfragen und faktischer Wahl"
Sawicki: Aber Sie haben auch gesagt, die PiS hätte sich wahrscheinlich gar nicht so sicher fühlen können, oder sie fühlt sich möglicherweise nicht so sicher, hat zumindest bei einigen Wahlen davor nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt. Wenn man aber auf die Umfragen der vergangenen Monate schaut, dann war Andrzej Duda eigentlich immer weit vorne. Das heißt, was für einen Unterschied macht es unter den Voraussetzungen, ob jetzt oder später die Wahl stattfindet?
Schwan: Weil man immer wieder feststellt, es gibt einen Unterschied zwischen Umfragen und faktischer Wahl. Wenn wir dazu übergehen, dass wir einfach sagen, wir müssen die Wahlen nicht so ernst nehmen, weil die Umfragen das und das ergeben, dann haben wir ja nun genügend Erfahrung, dass die Umfragen bestimmte Dinge aussagen und nachher ist es nicht so gekommen.
Sawicki: Würden Sie dafür plädieren, dass die Wahl verschoben wird?
Schwan: Ja! Ich glaube, dass das ein Gebot der Fairness wäre, denn es ist doch ganz offenkundig. Diejenigen, die gegen ihn antreten, haben nicht die Chance, wirklich ihre Argumente unters Volk zu bringen. Das ist doch ganz offenkundig. Und es ist für mich umgekehrt erstaunlich, dass die PiS so deutlich offenbart – aber das ist natürlich auch in erster Linie für die Leute in Polen selbst ersichtlich; außerhalb von Polen denkt man dann einfach, na ja, gut, er hält den Wahltermin ein -,, dass er so deutlich darauf beharrt, das zu tun, obwohl natürlich gerade Polen ja übrigens in Bezug auf den Virus sehr, sehr strikt ist und die Einreisebestimmungen geändert hat und so weiter. Deswegen ist da schon in meiner Sicht eine klare Manipulationsabsicht dahinter.
Und auch die Überlegung, dass das nicht klappen wird, die hätte man schon vor drei Wochen, vor vier Wochen haben können. Wenn das jetzt alles so ganz kurzfristig geschieht, dann macht das keinen seriösen Eindruck.
Boykott - "eine hilflose Geste"
Sawicki: Würden Sie empfehlen, wie wir auch im Beitrag gehört haben, wie es einige Kandidaten ja überlegen, die Wahl zu boykottieren?
Schwan: Das ist, glaube ich, eine hilflose Geste, weil letztlich die Zahl der Beteiligten dann zumal unter diesen Bedingungen in der Öffentlichkeit nicht so sehr ziehen wird. Man wird dann zwar sagen, na ja, gut, es sind nicht viele hingegangen und das lag vielleicht auch an dem Corona-Virus, aber immerhin, es sind dann auch sowieso nicht genügend Wähler für die Opposition. Ich glaube, Wahlboykott hat nur eine Wirkung, wenn damit eindeutig die Wahlen delegitimiert werden können. Ich fürchte, das wird hier auf diese Weise nicht gelingen.
Sawicki: Wir reden in diesen Tagen auch viel und man hört viel über Ungarn. Es gibt da ja sehr klare Äußerungen mit Blick auf das neue Notstandsgesetz, das dort verabschiedet worden ist. Wenn Sie diese beiden Länder jetzt vergleichen, würden Sie so weit gehen, dass in Polen etwas Ähnliches stattfindet?
Schwan: Ich glaube, dass der polnische Parteivorsitzende Kaczynski zwar aus anderen Motiven, nämlich ideologischen, während das Orbán ja einfach aus machttaktischen Motiven für seine Person tut, dass diese beiden als Personen deutlich von den demokratischen Regelungen abgehen wollen, um ihre Macht zu befestigen. Das sind in dem Sinne keine überzeugten Demokraten, dass sie wirklich die Machtteilung und so weiter, die Alternativen bejahen und akzeptieren. Aber in den Gesellschaften gibt es doch Unterschiede. Insgesamt ist der Widerstand gegen diese Methoden in der polnischen Gesellschaft, glaube ich, größer als in der ungarischen. Andererseits hat sich ja gerade in den Kommunalwahlen gezeigt und dann vor allen Dingen mit Budapest, das in eine andere Verantwortung, in eine grüne Verantwortung übergegangen ist, dass auch dort in der Gesellschaft vor allen Dingen immer wieder in den größeren Städten Widerstand ist. Es ist ja auch beachtlich, dass es diese Allianz der Hauptstädte in den Visegrád-Staaten gibt, die gegen diese Entdemokratisierung vorgehen und total einstehen, während diese beiden, vor allen Dingen Kaczynski und Orbán, da völlig rigoros sind. Die wollen ihre Macht sichern. Das andere ist ihnen nicht wichtig. Ich halte sie nicht für überzeugte Demokraten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.