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"Politik gegenüber Mubarak verändern"

Regime wie das des Ex-Präsidenten von Tunesien, Ben Ali, oder auch von Ägyptens Präsident Mubarak dürfen nicht mehr als Bündnispartner akzeptiert werden, ohne auf Demokratisierung zu drängen. Das fordert die Grüne Kerstin Müller, ehemalige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt - und räumt auch eigene Fehler ein.

Kerstin Müller im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Seit dem Sturz des tunesischen Machthabers Ben Ali vergangenen Freitag müssen sich viele europäische Regierungen umorientieren. Lange Zeit pflegten sie recht gute Beziehungen zu dem Diktator in Tunis. Das Land galt als Bollwerk gegen Islamismus und illegale afrikanische Flüchtlinge. Besonders gut waren die Kontakte zu Frankreich. Das möchte sich nun rasant umorientieren. Wir bleiben beim Thema, denn Ex-Diktator Ben Ali ist ein Beispiel. Lange Zeit war er akzeptierter Gesprächspartner der westlichen Staaten. Heute ruft auch Werner Hoyer (FDP), Staatsminister im Auswärtigen Amt, nach Sperrungen der Auslandskonten, Einreisebeschränkungen für die Familie des langjährigen Machthabers. Am Telefon ist Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!

    Kerstin Müller: Guten Morgen.

    Engels: Unterstützen Sie Herrn Hoyer in dieser Forderung?

    Müller: Ja. Das ist sicherlich eine sinnvolle Forderung, denn offensichtlich ist es nicht nur so, dass Ben Ali und seine Familie und das Regime alles, was mit Demokratie zu tun hatte, brutal unterdrückt hat, sondern sie haben sich auch brutal bereichert, vor allen Dingen die Frau des Präsidenten. Und insofern ist es nur richtig und wichtig, dass man ganz schnell jetzt eine Initiative zur Sperrung von Ben Alis Vermögen in der Europäischen Union vornimmt. Es darf keinen sicheren Hafen für veruntreutes Staatsvermögen geben, und die Schweizer Banken haben ja auch schon reagiert.

    Engels: Aber ist es nicht doppelzüngig von der EU, aber auch von Deutschland, oder gerade gehört Frankreich, lange Jahre mit der Diktatur in Tunesien zu kooperieren und nun Kontensperrungen und Einreisebeschränkungen zu verlangen, jetzt, wo er gestürzt ist?

    Müller: Ja, es ist trotzdem richtig, das zu tun, auch wenn man sich jahrelang dort falsch verhalten hat. Zunächst mal muss man sagen, dass das hier wirklich ein historisches Ereignis ist, dass es einer Bevölkerung gelingt, friedlich den Herrscher zu stürzen, das Herrscherhaus. Möglicherweise steht eben jetzt die arabische Welt am Anfang einer neuen Ära. Und man muss ganz klar sagen, dass der Westen, dass die Europäische Union spätestens jetzt ihre Strategie gegenüber diesen Ländern überdenken muss und verändern muss. Sie darf sich nicht länger auf Regime stützen, ohne gleichzeitig massiv Demokratisierung einzufordern. Man hat ja, die Europäische Union hat eben stillgehalten, sie hat weggeschaut, es waren wichtige Bündnispartner, weggeschaut bei Menschenrechtsverletzungen, weil etwa Frankreichs Interessenpolitik bestimmend war, oder die Italiens, oder die Spaniens, und das war ...

    Engels: Frau Müller! Sie waren aber selbst von 2002 bis 2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Auch damals war Ben Ali schon im Amt und sein diktatorischer Regierungsstil bekannt. Warum haben Sie damals nicht gehandelt?

    Müller: Das ist richtig, und ich meine auch, dass wir da Fehler gemacht haben. Man muss allerdings auch zugeben, dass natürlich in der Europäischen Union solche Länder wie Frankreich und Spanien und Italien dann bei diesen starken Bündnispartnern und ehemaligen Partnern besonders dominierend sind und andere sich weniger durchsetzen können. Aber es sind auf jeden Fall Fehler gewesen. Es war auch die Angst und ist auch immer noch die Angst, dass ein Islamismus sich breit machen könnte, oder dass Islamisten die Regierungen übernehmen könnten. Aber es war falsch zu sagen, den Islamismus zu bekämpfen, indem man auf säkulare, aber eben autoritäre und korrupte Regime setzt. Das ist gescheitert, denn wie wir sehen ist das eine fragile Stabilität. Sie steht auf tönernen Füßen, und die Menschen fordern dann irgendwann zurecht ihre demokratischen Rechte ein.

    Engels: Aber schauen wir nach Libyen, schauen wir nach Ägypten. Das sind Diktaturen, die nach wie vor von Europa, auch von Deutschland relativ pfleglich behandelt werden. Das sind nützliche Diktaturen, mit denen man kooperiert. Wo sehen Sie da das Umdenken?

    Müller: Nun, ich fordere es auf jeden Fall, denn das hat zu ziemlich viel Unruhe jetzt in der arabischen Welt geführt, und das Thema Demokratisierung in der arabischen Welt ist schon lange ein Thema, und ich halte als für nächste potentielle Kandidaten Algerien, obwohl die Situation anders ist, und vor allen Dingen Ägypten. In Ägypten stehen im nächsten Jahr Wahlen an, und ich bin der Meinung, ich fordere auf jeden Fall, dass man hier seine, unsere Politik gegenüber Mubarak verändern muss. Man muss Mubarak klar machen, dass er für diese Wahlen echte Wahlen zulassen muss und ob er nicht auch Abstand nimmt von einer erneuten Kandidatur. Seit Jahrzehnten ist Mubarak an der Macht, versucht, jetzt seinen Sohn zu installieren, also eine Art Thronfolger hier aufzubauen, und das ist etwas, was wir nicht zulassen dürfen. Auch in Ägypten gibt es Opposition, die allerdings zum größten Teil niedergeschlagen wurde, und wir dürfen einfach solche Regime nicht sang- und klanglos als Bündnispartner akzeptieren, ohne auf Demokratisierung zu drängen.

    Engels: Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.

    Müller: Bitte schön.