Dienstag, 14. Mai 2024

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Politologe Marcel Lewandowsky
"Die AfD profitiert davon, dass sie eben nicht extremistisch auftritt"

Die AfD trete als eine Partei auf, die sich als Stütze oder Verteidigerin der Demokratie geriere - andere Parteien wie die NPD täten dies nicht, sagte der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky im DLF. "So kann es durchaus sein, dass die AfD ein Problem bekommt, wenn sie zu stark extremistischen Zuwachs bekommt."

Marcel Lewandowsky im Gespräch mit Petra Ensminger | 24.04.2016
    Ein Mitglied der Partei AfD (Alternative für Deutschland) nimmt in Mainz an einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei teil.
    Die "Islam weg"-Forderung der AfD sei in Deutschland ein sehr riskantes Spiel, sagte Politologe Marcel Lewandowsky (dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen)
    Petra Ensminger: Der Parteitag der AfD in Stuttgart rückt näher. Die AfD will weiter Kante zeigen, sich aufstellen für die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Wie stehen da die Chancen? Kann die AfD zur neuen Volkspartei avancieren? Darüber habe ich mit Dr. Marcel Lewandowsky gesprochen, Politikwissenschaftler der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, die AfD im Bundestagswahljahr 2017, wo sieht er sie da?
    Marcel Lewandowsky: Na ja, die AfD ist in einer recht günstigen Ausgangslage. Sie hat mehrere Landtagswahlen gewonnen, sie steht in den Umfragen sehr gut da und trotz aller innerparteilichen Konflikte hat sie bislang noch keinen Schaden genommen. Die AfD ist im Prinzip gegenüber einer ja in die Mitte gerückten Union unter Angela Merkel in einer sehr günstigen Schlagdistanz und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es der AfD auch gelingt, in den Bundestag einzuziehen.
    Ensminger: Sie eilt derzeit von Erfolg zu Erfolg. Was hat sie, was die anderen derzeit nicht bieten?
    Lewandowsky: Na ja. Die AfD ist die einzige Partei, die den vorhandenen Protest gegen die etablierte Politik und gegen die etablierten Parteien artikuliert. Die AfD ist eine inzwischen, kann man schon sagen, recht typische populistische Partei.
    Ensminger: Erst die Eurokrise, dann die Flüchtlinge, jetzt der Islam - kann man sagen, die AfD bedient Vorurteile? Ist das das Erfolgsrezept?
    Lewandowsky: Ich würde es anders formulieren. Die AfD verbindet bestehende Ressentiments und Vorurteile mit der Abgrenzung gegenüber dem politischen Establishment. Die AfD ist nicht nur eine Partei, die auf kulturelle Themen setzt oder auf die Frage nach Integrations- und Migrationspolitik oder Asylpolitik, sondern sie verbindet das immer mit einem wir hier unten gegen die da oben, und das ist im Prinzip das Erfolgsrezept des Rechtspopulismus.
    Ensminger: Die anderen Parteien versuchen, das ja auch immer mal wieder aufzugreifen. Immer einen drauf, immer einen drauf ist das Rezept dann der AfD. Wie radikal wird sie denn dann am Ende sein müssen?
    Lewandowsky: Die AfD ist eigentlich in einer bequemen Lage. Sie wurde auf der Wählerebene immer nur ein Stück weit rechts von der CSU wahrgenommen, nur ganz wenig, und greift damit im Prinzip wettbewerbstheoretisch alles ab, was rechts von der CDU/CSU liegt. Im Grunde genommen müsste die AfD gar nicht radikaler werden, aber die AfD hat natürlich Kräfte intern, beispielsweise Björn Höcke oder André Poggenburg, die ein Interesse daran haben, die AfD noch stärker nationalkonservativ auszurichten. Das wird zumindest innerparteilich, denke ich, weiterhin für Konfliktpotenzial sorgen, aber man muss jetzt den Parteitag abwarten und schauen, inwiefern bestimmte Kompromisse im Parteiprogramm gemacht werden.
    Ensminger: Was man sagen kann: Es sind doch eher die Antithemen, die die Partei in die Debatten treibt. Vielleicht gehen da ja irgendwann die Themen auch einfach aus.
    Lewandowsky: Die AfD ist, da sie natürlich noch kein längerfristiges Wählermilieu oder -klientel ausgebildet hat, auf Protestwähler angewiesen. Und wenn sich die Flüchtlingskrise stabilisiert über einen längeren Zeitraum, dann kann es durchaus sein, dass der AfD auch wieder Wähler verlustig gehen. Allerdings der Protest gegen die Etablierten und das Gefühl, abgehängt von der Politik zu sein, das ist in weiten Teilen der Bevölkerung natürlich regional unterschiedlich doch vorhanden, so dass ich glaube, dass ein Wählerpotenzial für die AfD über die tagespolitischen Themen vorhanden bleiben wird.
    Ensminger: Also könnte man womöglich auch formulieren, die AfD steht für die Radikalisierung auch unserer Gesellschaft, wenn wir gerade auf die Islam-Diskussion gucken? Vor Jahren wäre die so undenkbar gewesen.
    Lewandowsky: Ja, in der Tat. Da hat sich der Diskurs verändert. Viele Dinge, die früher stärker tabuisiert waren, sind inzwischen sagbarer geworden, oder sagen wir besser nicht die politischen Inhalte selbst, sondern die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. Es wurde immer über Migrations- und Integrations- und Asylpolitik diskutiert, beispielsweise bereits Anfang der 90er. Allerdings die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird, die Art und Weise, welche Begriffe benutzt werden, das hat sich verändert und das nützt auch einer Partei wie der AfD.
    Ensminger: Was hat sich denn da genau verändert?
    Lewandowsky: Na ja. Das sind bestimmte Dinge wie alles, was wir so als wohlfahrt-chauvinistisch verstehen, alles was wir darunter verstehen, dass Zugezogene oder Asylbewerber uns etwas wegnehmen, dass sie nicht brauchbar sind. Die ganze Ökonomisierung des Kurses, das ist etwas, von dem solche Parteien profitieren.
    AfD geriert sich als Verteidigerin der Demokratie
    Ensminger: Gleichzeitig unterscheiden Sie ja auch in dem, was Sie sagen, von rechtskonservativ und von rechtspopulistisch. Populismus, Extremismus. Das sind ja in der Politik tatsächlich auch wichtige Unterscheidungsmerkmale. Beides hat in Deutschland in den zurückliegenden Jahren anders als in anderen europäischen Ländern, wenn wir auf die gucken, nicht wirklich eine Chance gehabt. Rechtsextremismus, würde ich mal behaupten, ist weiter ein Ausschlusskriterium. Nun gibt es die Vermutung, dass sich Rechtsextremisten an die AfD dranhängen könnten. Tendenzen dazu haben wir ja schon beobachtet. Ein starker Zulauf der Rechten zur AfD, das wäre vermutlich gefährlich für die Partei, oder?
    Lewandowsky: Das wäre in der Tat gefährlich für die AfD. Die AfD profitiert davon, dass sie eben nicht extremistisch auftritt. Sie tritt auf als eine Partei, die sich als Stütze oder Verteidigerin der Demokratie geriert, und andere Parteien wie die NPD tun ja das gerade nicht. Allerdings ist immer das Problem, dass eine erfolgreiche Partei im rechten Spektrum eben auch Trittbrettfahrer anzieht, und so kann es durchaus sein, dass die AfD ein Problem bekommt, wenn sie zu stark extremistischen Zuwachs bekommt.
    Ensminger: Das heißt, das könnte sie möglicherweise zu Fall bringen?
    Lewandowsky: So etwas kann Parteien zu Fall bringen, selbstverständlich, gerade wenn es relativ junge Parteien sind. Allerdings muss man auch sehen, dass die Partei sich nicht nur auf der Wählerebene, sondern auch als Organisation etabliert, und etablierte Parteien schaffen sich natürlich dadurch, dass sie sich professionalisieren, dadurch, dass sie leistungsfähige interne Netzwerke haben, zu einem bestimmten Grad auch eine Immunisierung gegen solche Tendenzen. Die AfD ist keine kleine ad hoc Partei mehr. Insofern würde ich diese Gefahr als bestehend, allerdings als relativ gering einschätzen.
    Ensminger: ... , wobei vielleicht ja auch das eine These sein kann: Diese "Islam weg"-Forderung, die ist in Deutschland auch ein riskantes Spiel.
    Lewandowsky: Die ist ein sehr riskantes Spiel. Die AfD muss natürlich aufpassen, dass sie da nicht die ethnisch-rassistische Karte zieht, sondern sich sozusagen, wie es andere Parteien in Westeuropa auch tun, im Prinzip so aufstellt, dass sie sagt, unsere Kritik gilt nicht Muslimen, sondern dem Islamismus als politischer Richtung. Das tun andere rechtspopulistische Parteien in Europa auch relativ erfolgreich. Dann kann sie aber - wir haben über den Diskurs gesprochen -, glaube ich, tatsächlich auch auf dem Wählermarkt attraktiv sein, denn es gibt diese Vorbehalte gegenüber dem Islam.
    Ensminger: Die gibt es in anderen Parteien bei uns sicherlich auch. Der Erfolg der AfD einerseits, während andere mit Stimmverlusten kämpfen. Kann es sein, dass die AfD auch thematisch die Parteienlandschaft aufmischen wird?
    Lewandowsky: Das Problem an erfolgreichen rechtspopulistischen Parteien für die etablierten Parteien ist, dass sie diese Themen, wenn diese rechtspopulistischen Parteien erfolgreich sind und relevant sind, irgendwie aufgreifen müssen. Sie können sie nicht ignorieren. Und dann neigen natürlich möglicherweise Parteien dazu, mal mehr, mal weniger auch auf den Zug aufzuspringen und dann solche Themen auch zu adaptieren, oder möglicherweise nicht nur zu adaptieren, sondern in der Thematik eine ähnliche Position einzunehmen. Wir sehen aber bei ganz vielen Beispielen, dass das Imitieren der Positionen der AfD oder das Imitieren der Positionen einer rechtspopulistischen Partei eigentlich den etablierten Parteien nicht besonders viel bringt. Es gibt dann so diese Formel und ich glaube, dass sie richtig ist: Die Wähler wählen eigentlich immer das Original und das Original für die islamkritischen Themen ist entweder die CSU, oder dann auf der Bundesebene jetzt immer mehr die AfD.
    "Mit dem Begriff der Volkspartei wäre ich sehr vorsichtig"
    Ensminger: Das heißt, alle Versuche, der AfD auch thematisch zu folgen oder irgendwelche Themen aufzugreifen, das ist das, was sich gerade eigentlich generell zeigt, nämlich eigentlich ja eine Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang gegenüber der AfD?
    Lewandowsky: Ja. Tatsächlich immer dann, wenn ein neuer Spieler im Wettbewerb ist, müssen die Parteien sich umorientieren, und das kann dann schon dazu führen, dass es zu innerparteilichen Konflikten kommt, weil natürlich gerade eine moderate oder moderat linke Partei oder jede Partei der Mitte - so können wir es ja sagen - nicht einfach auf diesen Zug aufspringen kann und sich dennoch dazu verhalten muss. Und dann muss man natürlich sehen: Etwa innerhalb der Wählerklientel der Sozialdemokratie, da gibt es auch zumindest skeptische oder kritische Haltungen gegenüber dem Islam. Wie soll sich dann beispielsweise eine Partei wie die SPD positionieren? Die steckt natürlich dann in einem Dilemma.
    Ensminger: Das, was Sie schon beschrieben haben, dass man als Wähler mehr dem Original folgt, das zeigt sich auch in der Politik. Ich habe das gerade erst gelesen. Als der Vizepräsident des Landtages in Sachsen-Anhalt gewählt wurde, der AfD-Politiker Daniel Rausch, da haben ja einige in geheimer Abstimmung auch der anderen Fraktionen wohl ihm die Stimme gegeben. Unterm Strich: Kann aus der AfD, was würden Sie sagen, tatsächlich eine neue Volkspartei werden?
    Lewandowsky: Mit dem Begriff der Volkspartei wäre ich sehr vorsichtig, weil man diesen Begriff nicht an kurzfristigen Wahlergebnissen festmachen sollte, sondern da geht es beispielsweise darum, inwiefern deckt sie in ihrer Wählerklientel tatsächlich eine große, einerseits quantitativ große Masse an Wählern ab. Das ist das eine. Auf der anderen Seite: Inwiefern deckt sie qualitativ verschiedene Wählermilieus ab? Da wäre ich bei der AfD für den Moment noch vorsichtig, weil sie immer noch von einem Protest getragen wird. Das wird sich über Zeit zeigen müssen. Wenn wir aber an andere Staaten in Westeuropa denken, dann müssen wir schon sehen: Tatsächlich sind diese Parteien in der Lage, gerade diejenigen Wähler, die früher sozialistisch oder sozialdemokratisch gewählt haben, für sich zu mobilisieren. Der Front National in Frankreich beispielsweise schafft das. Und das ist natürlich dann vor allem für die Sozialdemokratie und die etablierten Parteien insgesamt ein Problem.
    Ensminger: Sie haben die innerparteilichen Querelen ja auch schon angesprochen. Da wird sich auch noch zeigen, inwieweit die möglicherweise dazu führen, dass sich die Partei selbst demontiert.
    Lewandowsky: Richtig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.