Montag, 29. April 2024

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Polnisch-deutsche Versöhnung
"Ein Denkmal wäre ein symbolischer Ort"

Über die Folgen des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen wisse die deutsche Bevölkerung 80 Jahre später sehr wenig, sagte der Historiker Jochen Böhler im Dlf. Wichtig sei eine gemeinsame Aufarbeitung der "traumatischen Beziehungsgeschichte", um das deutsch-polnische Verhältnis zu normalisieren.

Jochen Böhler im Gespräch mit Manfred Götzke | 01.09.2019
Beim Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 01.09.1939 reißen Soldaten der deutschen Wehrmacht einen rot-weißen Schlagbaum an der deutsch-polnischen Grenze nieder.
Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 01.09.1939 (picture alliance)
Was tatsächlich in Polen geschah, als deutsche Soldaten und auch Polizeieinheiten in Polen einmarschierten, sei nach Eindruck des Historikers Jochen Böhler "immer noch ein weißes Blatt." Doch auch, wenn der deutsche Überfall auf Polen von der Dimension her nicht gleichzusetzen sei beispielsweise mit dem Überfall der Sowjetunion, könne man ihn als Auftakt zum Vernichtungskrieg begreifen. Die Mechanismen seien dieselben gewesen: "Deutsche Soldaten, die an der Front und im Hinterland Zivilisten ermorden und Polizeieinheiten, die mit demselben Zweck, einem politischen Mordauftrag, hinter der Wehrmacht einrücken und mit deren Hilfe ebenfalls Zivilisten ermorden, die besondere Verfolgung von Juden, das Sterben von Kriegsgefangenen in Lagern".
Böhler spricht sich für ein Polen-Denkmal aus
Jochen Böhler unterstützt deswegen die Idee eines Denkmals, um an die Opfer der deutschen Besatzung zu erinnern: In Deutschland habe man bisher keinen Ort, wo man symbolisch, also beispielsweise bei Staatsbesuchen, der Opfer der zweiten polnischen Republik gedenken könne. Zudem fördere das die Auseinandersetzung. Zudem sei mehr Information notwendig, beispielsweise in Informationszentren oder Museen. Denkmälern komme "eine gewisse Funktion zu, die auch was mit Dauerhaftigkeit zu tun hat. Internetseiten können Sie schnell aufbauen und auch schnell wieder löschen - ein Denkmal wäre ein symbolischer Ort, an dem man sich begegnen kann und wo man über diese Dinge auch öffentlichkeitswirksam berichten und sich auseinandersetzen kann."
Aufarbeitung der Vergangenheit
Eine Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen könne nur erreicht werden, so Böhler, wenn man gemeinsam, ohne sich gegensieteig zu attackieren oder ständig misszuverstehen, die Dinge aufarbeite, die noch nicht aufgearbeitet seien. "Da haben wir bestimmt noch einige Jahre Arbeit vor uns, aber ich bin auch zuversichtlich, weil es sehr viele Initiativen gibt - da passiert was auf zivilgesellschaftlicher Ebene."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.