Freitag, 19. April 2024

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Populismus und Pop
Ein Lied, ein Volk, ein Fragezeichen

Populismus und Nationalismus finden immer häufiger ihren Niederschlag in Bands, Songs und Künstlern. Das sei jedoch keine neue Entwicklung sagen Kulturwissenschaftler. Sie zeigen, wo Musik zur Identitätsbildung gebraucht und missbraucht wird.

Von Ulrich Biermann | 13.04.2020
Die Farben einer Deutschlandfahne spiegeln sich in der Scheibe einer geöffneten Computerfestplatte
: Nationale Festplatte: Was gehört zu Deutschland und wie wird es wiedergegeben? (picture-alliance/dpa/Matthias Balk)
Mit Ulrich Biermann, hallo! Seien Sie gegrüßt zu einem "Corso Spezial" über ein Volk, ein Lied, ein Fragezeichen. Über die Frage, wie Nationalität in den Spielarten des Pop verhandelt wird, wo Musik zur Identitätsbildung gebraucht und auch missbraucht wird.
O-Ton-Collage: "Nun, da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt, kann das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur berichtet. Ich frag mich wer wir sind? Du Du bist Du bist Jsi Čech, Čech, Čech Deutschland Hier weht Schwarz, Rot und Gold, denn wir sind das Volk Du bist!"
Der Wunsch nach einem Symbol
Klänge der Heimat, Populismus und Pop, staatstragende Töne, altbackene Mythen in neuem Gewand und nationale Gassenhauer. Darum geht es heute. Dafür erst mal: Hut ab, bitte!
Haydn: "Kaiserquartett "
Norbert Bolz: "Das ist schon ein Gänsehautgefühl des Erhabenen." (BR2, Tagesgespräch, Mai 2015)
Theodor Heuss: "Land des Glaubens, deutsches Land, / Land der Väter und der Erben, / Uns im Leben und im Sterben / Haus und Herberg, Trost und Pfand, / Sei den Toten zum Gedächtnis, / Den Lebendigen zum Vermächtnis / Freudig vor der Welt bekannt, / Land des Glaubens, deutsches Land."
Theodor Heuss. In seiner Silvesteransprache 1950 präsentiert der erste Bundespräsident seinen Favoriten, die "Hymne an Deutschland". Das alte "Deutschlandlied" will er verständlicherweise nicht zum Lied der neuen Republik machen. Aber die Bürger lästern über den neu gedichteten "schwäbisch-protestantischen Nationalchoral" oder verspotten ihn als "Theos Nachtlied".
Standarte (Flagge) der Bundesrepublik Deutschland am Adenauer-Dienstmercedes. Hinten ein Foto von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vor dem Gästehaus Petersberg im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Konrad Adenauer Dienstwagen (picture alliance / Ulrich Baumgarten)
Lyriker Gottfried Benn mäkelt, demnächst habe man noch ein Kaninchenfell als Flagge. 1951 sprechen sich drei Viertel der Westdeutschen in einer Umfrage für das "Deutschlandlied" als neue Nationalhymne aus. Auch Kanzler Adenauer, er argumentiert: "Kein Lied, sei so im Herzen der Deutschen verwurzelt". Und so setzt sich 1952 rheinisch, populistischer Pragmatismus durch.
Konrad Adenauer: "Wenn ich Sie nunmehr bitte, meine Damen und Herren, die dritte Strophe des 'Deutschlandsliedes' zu singen, dann sei uns das ein heiliges Gelöbnis, dass wir ein einiges Volk, ein freies Volk und ein friedliches Volk sein wollen."
Theodor Heuss‘ Wunsch nach einem Neuanfang mit einem neuen Symbol bleibt unerfüllt, er hat den "Traditionalismus und dessen Beharrungsbedürfnis unterschätzt".
"Mit Recht und Pfand?"
Fast sieben Jahrzehnte später mal Hand aufs Herz, wie steht es um die Deutschen und ihr Lied?
"52, das ist lange her."
"Ich kann sie, aber mir fällt jetzt der erste Takt nicht ein."
"Also ich stottere auch dran rum, muss ich ihnen ganz ehrlich sagen."
"Moment, ich muss mal erst mitsingen. Mein Gott. Was singen die noch mal?"
"Einigkeit und Recht und Freiheit? Oder was?"
"Einigkeit und Recht auf Freizeit."
"Einigkeit mit wem denn? Gut, das hat sich ja mit den neuen Bundesländern so ergeben, aber mit wem denn jetzt noch?"
"Und die Einigkeit? Die lässt manchmal zu wünschen übrig, würde ich mal sagen."
"Recht und Freiheit, natürlich wollen wir Recht und Freiheit. Wir wollen alle, dass Deutschland frei ist und die Bürger frei sind. Ja klar."
"Freiheit, ja vielleicht in manchen Ländern ist das ja ganz anders als hier. Vielleicht meinen die ja, dass man hier viel mehr machen kann als in anderen Ländern?"
"Was ist Freiheit? Wie soll ich das erklären, wenn ich sag‘, dass man machen kann, was man möchte, ist bestimmt das falsche Wort. Wenn jeder das machen könnte, wär‘ das bestimmt nicht so positiv."
"Einigkeit und Recht und Freiheit, es sind sich ja nicht alle einig. Recht herrscht auch nicht überall, Freiheit haben auch nicht alle."
"Hand in Hand. Oder? Nee!"
"Mit Recht und Pfand?"
"Ich bin jetzt nicht so stolz, deutsch zu sein. Deswegen hab‘ ich da auch keine Ahnung von, wie die geht."
Sarah Connor singt: "Brüh im Lichte dieses Glückes …"
Textsicherheit: Fehlanzeige. Damit sind diese Befragten nicht allein. Eine Erfahrung, die auch Konrad Adenauer machte bei seinem ersten Staatsbesuch 1953 in den USA.
Neue Deutsche Wochenschau 169/1953: "Schlussbericht von der Amerikareise des Bundeskanzlers. In Chicago beherbergte das Bismarck-Hotel den Kanzler. Auch hier erwartete ihn ein gedrängtes Programm von Empfängen und Veranstaltungen. Im Rathaus begrüßte ihn Oberbürgermeister Kennelly."
Zum Emfang gespielt:
Klingt irgendwie nicht nach Haydn. Karl Berbuers Karvevalsschlager "Heidewitzka", wenig staatstragend. Der Komponist hatte schon 1948, vor der Gründung der Bundesrepublik, für eine zeitweilige Hymne gesorgt.
Karl Berbuer "Trizonesien-Song":
"Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien,
Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!"
Melanie Schiller: "Was das Lied macht, ist eigentlich, dass die Deutschen sozusagen sich selbst erzählen, was es bedeutet, deutsch zu sein in diesem Moment der Neuerfindung nach dem Krieg."
"Suche nach einer nationalen Identität"
Die in Groningen lehrende Kulturwissenschaftlerin Melanie Schiller. Eine genaue Untersuchung deutscher Popmusik und nationaler Identität fehle noch, schreibt sie in "Soundtracking Germany: Popular Music and National Identity". Darin erforscht Schiller, wie in und durch Popmusik Deutschland als Nation imaginiert, konstruiert und in Frage gestellt wird. Wie sie dabei vorgegangen ist, hat sie im Deutschlandfunk Kultur erzählt:
"Dieses Tracking geht eben auch um eine Suche, die Suche nach einer nationalen Identität. Und so war eigentlich auch meine Methode ein bisschen. Ich habe angefangen mit den frühen Nachkriegsjahren, also nach 45, und hab‘ geschaut, welche Musik ist denn da, die sich explizit mit deutscher Identität in der populären Musik beschäftigt? Und dabei war es mir wichtig, dass die Schnittstelle zwischen diesen drei Themenkomplexen, also populäre Musik wirklich als Mainstream populäre Musik, Deutschland explizit Musik, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, und Musik, die auch noch etwas über nationale Identität aussagt. Nicht nur die deutsche, sondern allgemein wie Musik und nationale Identität sich zueinander verhalten können."
Karl Berbuer "Trizonesien-Song":
"Mein lieber Freund, mein lieber Freund,
die alten Zeiten sind vorbei.
Ob man da lacht, ob man da weint,
die Welt geht weiter eins, zwei, drei.
Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut´ die große Politik.
Sie schaffen Zonen, ändern Staaten.
Und was ist hier mit uns im Augenblick?
Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien.
Heidi-tschimmela- tschimmela-tschimmela- tschimmela bumm!"
Freiheiten im Schlager
"Die Deutschen werden wieder frech", titelte die "British Times" zu dieser Kritik an den Besatzern.
Melanie Schiller: "Zu dem Zeitpunkt, 48, gab es ja noch keine Bundesrepublik. Da gab es auch noch keine DDR, da gab's im Grunde nur vier Besatzungszonen. Der ganze Kultursektor war extrem zensiert und kontrolliert - außer populäre Musik und Schlager insbesondere, hier. Da gab's Freiheiten, weil: Das war als unpolitisch angesehen, und da würde man nicht wirklich ernsthafte Themen besprechen.
Aber in diesem Karnevalslied aus Köln sieht man, dass das doch auch passiert und eben nur in Musik möglich war zu dem Zeitpunkt. Und was das Lied macht, ist: Es geht darum, sich abzusetzen von den Alliierten, und es geht auch darum, zu sagen, wir sind stolz auf unser Land, obwohl das eben zwei, drei Jahre nach dem Krieg eher ungewöhnlich oder in vielen anderen Bereichen? wie Literatur oder Presse nicht möglich war. Und so gesehen ist das wirklich ein sehr interessantes Lied. Es war extrem populär, beliebt und bekannt."
Deutsche kulturelle Überlegenheit feiern
Und wurde sogar teilweise als Ersatz-Nationalhymne benutzt, zum Beispiel bei einem internationalen Radrennen. "Wir küssen um so besser", reimt Berbuer auf: "Wir sind zwar keine Menschenfresser" - und hat erschreckend den Holocaust ausgeblendet. Um dann deutsche kulturelle Überlegenheit zu feiern.
Karl Berbuer "Trizonsien-Song":
"Doch fremder Mann, damit Du´s weißt.
Ein Trizonesier hat Humor.
Er hat Kultur, er hat auch Geist.
Darin macht keiner ihm was vor.
Selbst Goethe stammt aus Trizonesien,
Beethovens Wiege ist bekannt.
Nein, so was gibt´s nicht in Chinesien,
darum sind wir auch stolz auf unser Land."
"Damit preist man doch sein Land, oder?"
"Das kennt man ja von Siegerehrungen, dass die da immer gespielt wird. Sonst hat man nicht wirklich großartig was damit zu tun."
"Ich find‘ die amerikanische irgendwie geiler. Ich find‘, die hört sich lustiger an."
Marketa Spiritova: "Wenn man stolz etwa auf die Errungenschaften des Landes ist, in dem man lebt, das ist ja per se erst mal nichts Schlechtes. Man fühlt sich hier einer Gruppe zugehörig, und das ist ja durchaus auch so positiv. Aber schwierig wird es dann, wenn diese ethnische Komponente mit hineinkommt.
Sagt eine Forscherin, die sich mit Ethnologie auseinandersetzt, Marketa Spiritova, Kulturwissenschaftlerin am Institut für Volkskunde der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Pop ist ein Hybrid
Pop ist ein globales Phänomen und ein globaler Markt. Zeitweilig stark gespeist aus US- und britischen Quellen, aber nicht nur. Stets gab und gibt es kontinentale bis regionale Einflüsse und Spielformen, die mit ihren Umdeutungen und Varianten wieder international zurückwirken. Pop ist ein Hybrid, eine sich ständig wandelnde Mischung, der Remix ein konstitutiver Bestandteil, von Heideröslein bis Hyper Hyper. Und das das schon lange, Nationalismen im Pop, kein neues Phänomen.
"Also neu sind sie sicherlich nicht. Das heißt, dass auch die populäre Kultur von Beginn an, also gut 150 Jahren, mit nationalen Bildern arbeitet, diese hervorbringt, an nationalen Narrativen mitarbeitet, diese mitkonstruiert."
Was heute Popkultur genannt wird, hieß einst Volkskultur - und die entstand nicht von selbst. Sie wurde geschaffen, wie etwa das "Lied der Deutschen". Gedacht als Pop, als Trinklied, das zur nationalen Einigung aufruft.
Im Februar 2020 war Marketa Spiritova Mitorganisatorin der Tagung "Pop The Nation" in München.
"Weil wir den Eindruck haben, dass sich die Sprache in der Öffentlichkeit stark verändert. Dass sich die Grenzen des Sagbaren stark verschieben, dass wir ein Aufkommen von Nationalismen in Deutschland, überall in Europa und auf der Welt beobachten können - und eben nicht nur auf der politischen Ebene oder in rechten Milieus, die es auch schon immer gegeben hat, sondern, dass wir eine vermehrte popkulturelle Aneignung des Nationalen, des Nationalistischen beobachten."
Von Fler bis Sportfreunde Stiller
Plötzlich haben nicht nur Diplomaten Nationalflaggen an den Autos, Rapper Fler kündigt eine neue nationale deutsche Welle an, und die Sportfreunde Stiller komponieren für die Nationalmannschaft.
Was ist passiert? Pop und Nationalismus, wie soll das zusammen gehen? Haben wir doch gerne das Bild von Pop als per se progressiv gepflegt und vermittelt bekommen. Aufmüpfig, in Frage stellend, als demokratische Kultur im Gegensatz zur elitären, als junge, sich ständig erneuernde Ausdrucksform gegen das Tradierte. Die Vorstellung von Pop an sich als Widerstand - alles nur Pop-Romantik.
Thorsten Hindrichs: "Das ist tatsächlich auch in Anführungszeichen ‚ein großes Problem‘, dass so diese sehr schematische Oppositionsbildung, ‚Wir gegen die da oben‘, ja ganz eng verknüpft ist mit dieser Vorstellung von Pop und Rockmusik als in irgendeiner Weise auch subkulturell, vielleicht auch gegen die Meinung der sogenannten Mehrheitsgesellschaft positioniert. Das ist blöderweise aber tatsächlich auch eher ein Klischee."
Der Sänger Peter Brugger von der Band Sportfreunde Stiller
Der Sänger Peter Brugger von der Band Sportfreunde Stiller (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Der Mainzer Musikwissenschaftler, Thorsten Hindrichs.
"Bloß weil sozusagen Pop und Rockmusik irgendwie als subkulturell widerständisch gelabelt werden, heißt das nicht, dass sie dann damit automatisch irgendwie links seien."
"Wie wird Nation plötzlich zu einer Pop-Kategorie?", fragte auf ihrer Jahrestagung im Oktober 2019 die Gesellschaft für Popularmusikforschung. Tagungsleiter Thorsten Hindrichs lieh sich den Titel dafür bei der US-Formation Funkadelic und deren erfolgreichstem Song "One Nation under A Groove".
Funkadelic "One Nation Under A Groove"
1978, der Traum von einem gemeinsamen, freien Tanz der Verbrüderung im Rhythmus des Funk, der eben auch ein Konglomerat war, ein Mix der Stile und Kulturen. Groove ist entscheidend, die Aufhebung der Unterschiede, nicht die Nation. Pop also doch als Widerstand?
"Also, wenn Sie so eher ästhetischen, sehr emphatischen Popbegriff nehmen, der Pop als eben global emanzipatorisch, irgendwie auch utopisch versteht, dann stimmt das durchaus. Wenn sie einen etwas weiteren Popbegriff nehmen, der Pop eher als populäre, an eine möglichst breite Zielgruppe gerichtete Musik versteht und dann beispielsweise auch so Phänomene wie deutschen Schlager mit einschließt, da finden sich ja auch schon in den 60ern und frühen 1970ern Beispiele, wo das ja vielleicht nicht unbedingt mit Nation, aber zumindest auch mit einem eher rückwärtsgewandten, reaktionären Weltbild sehr leicht zusammengeht. Also eines der eindrücklichsten Beispiel in dem Zusammenhang ist für mich immer noch ‘100 Mann und ein Befehl‘ von Freddy Quinn."
Freddy Quinn "100 Mann und ein Befehl":
"Fern von Zuhaus und vogelfrei,
Hundert Mann, und ich bin dabei."
Thorsten Hindrichs: "Das ist ja ein ganz, ganz schlimmer, rückwärtsgewandter Song gewesen. Und der war ganz oben in den Charts in den 60er-Jahren."
Marketa Spiritova: "Man hat ja ne Weile gedacht in der Nachkriegszeit - das hat die Popkultur auch getan - dass sie diese Nationalismen dekonstruiert hat. Man denke etwa an Jimi Hendrix und seine Version der amerikanischen Hymne. Gleichzeitig sind wir vielleicht so ein bisschen dem Mythos aufgelaufen, und darüber hat auch Diederichsen geschrieben, da erzähle ich jetzt nichts Neues, dass Popkultur a priori gut ist, links, offen, divers. Schauen wir uns aber die populären Medienangebote genauer an, dann werden wir feststellen, dass dem keineswegs so ist, sondern, dass da sehr wohl Bilder des Eigenen, des Fremden konstruiert werden, dass Grenzen gezogen werden. Und wir beobachten aber gleichzeitig, dass es immer mehr wird. Also wenn wir in den Nullerjahren zum Beispiel diese Bewegung hatten, wie ‚Du bist Deutschland‘, wir hatten das Sommermärchen 2006."
Thorsten Hindrichs: "Beispielsweise die Geschichte mit dem deutschen Sommermärchen 2006."
Xavier Naidoo "Dieser Weg"
"Dieser Weg wird kein leichter sein,
dieser Weg wird steinig und schwer"
Thorsten Hindrichs: "Da wurde ja auch so ein gesunder Party-Patriotismus propagiert, der auch ganz massiv sich wieder in Popmusik abgespielt hat oder wiedergespiegelt hat. Xavier Naidoo stand ja 2006 im ZDF WM-Studio, hat ‚Dieser Weg‘ gesungen, schön drapiert mit schwarzrotgoldenen Schweißbändern und Halstuch und Pipapo. Also es fällt mir als Musikwissenschaftler dann schwer, das in allen Einzelheiten zu analysieren, aber mein Eindruck ist schon, dass da auch gesamtgesellschaftlich eine allzu große Sorglosigkeit mit diesen Renationalisierung-Patriotismus-Programm stattgefunden hat."
"Sympathischer Nationalismus der Nullerjahre"
Marketa Spiritova: "In dem ‚schönen‘ - in Anführungszeichen - patriotischen Nationalismus der Nullerjahre, da hat man wieder über das Nationale gesprochen. Ich glaube eine Auseinandersetzung mit dem Nationalen, gerade in Deutschland, das hat es ja schon vorher gegeben, nur dass darüber überhaupt öffentlich diskutiert wird, dass es positiv aufgeladen werden kann, das ist tatsächlich neu gewesen. Und vielleicht war dieser sympathische Nationalismus der Nullerjahre, der ist ja jetzt gar nicht mehr so sympathisch und friedlich und freundlich und weltoffen, wie, wie man vermutet hatte."
Menschen auf der Fanmeile in Berlin halten am 9. Juli 2006 ein Schild hoch mit der Aufschrift "Wir sind die Weltmeister der Herzen"
Die Fanmeile in Berlin. (dpa / Picture Alliance / Miguel Villagran)
Tocotronic "Aber hier leben, nein danke":
Ich mag's, wenn sich die Wut entfacht
Und ich mag deine Zaubermacht
Ich mag die Tiere nachts im Wald
Wenn sie flüstern, dass es schallt
Ich mag den Weg, ich mag das Ziel
Den Exzess, das Selbstexil
Ich mag erschaudern und nicht zu knapp
Ich gebe jedem etwas ab
All das mag ich
All das mag ich
Aber hier leben, nein danke
Aber hier leben, nein danke
Ich mag die Wolken und den Wind
Ich mag das Licht, das du mir bringst
Wenn du dich um mich bemühst
Wenn der Wahnsinn flammend grüßt
Wenn die Träume Funken sprühen
Und die weißen Blumen blühen
Ich mag die Engel kurz vor dem Fall
Diamanten aus dem All
All das mag ich
All das mag ich
Aber hier leben, nein danke
Aber hier leben, nein danke
Ich mag die Spiegelung der Luft
Und wenn die Sehnsucht nie verpufft
Den Glanz des Lebens in einem Tag
Ich mag den Zweifel, der an mir nagt
Wenn meine Angst mich schnell verlässt
Ich mag den Tanz, das Idiotenfest
Wenn wir irren, nachts im Kreis
Eine Bewegung gegen den Fleiß
All das mag ich
All das mag ich
Aber hier leben, nein danke Aber hier leben, nein danke
Tocotronic, zu finden auf dem Buch-CD-Sampler "I can’t relax in Deutschland", erschienen im August 2005.
Sprecher: "‚I Can't Relax In Deutschland‘ ist das Motto einer Initiative, die sich mit dem in der letzten Zeit sowohl popkulturell als auch gesellschaftlich immer offensiver zu Tage tretenden Nationalismus auseinandersetzt. Diese Entwicklung soll nicht unwidersprochen bleiben. Die CD, wie auch die ihr nachfolgenden Veranstaltungen und Partys sind als Standortbestimmung und Verweis zu verstehen, dass es Pop zugemutet werden kann, sich zumindest seiner Legitimierungsrolle für das kollektive Wir zu entziehen. Dabei verfolgt unser Sampler nicht das Ziel, den laufenden Diskurs um die Frage, ‚wie viel deutsch‘ Popkultur sein darf um eine weitere Position zu ergänzen. Es soll vielmehr transportiert werden, dass es etwas Besseres gibt als die Nation."
"Pop ist stolz und singt rechts"
Und schon 2004 titelte Georg Diez in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung":
"Böhse Enkelz - Der Wald, das Raunen und die große Unbefangenheit: Der neue deutsche Pop ist stolz und singt rechts."
Paul van Dyk & Peter Heppner "Wir sind wir":
Wir sind wir! Wir stehen hier!
Wieder Eins in einem Land,
Superreich und abgebrannt.
Wir sind wir! Wir stehen hier!
So schnell kriegt man uns nicht klein,
Keine Zeit zum bitter sein.
Wir sind wir! Wir stehn' hier!
Wir sind wir!
Der Hit stellt Deutschland als Leidensgemeinschaft dar, großtmögliche Geschichtsbemühung bei maximalem Vergessen der historischen Realitäten. Alles vor dem Wirtschaftswunder, darüber spricht man lieber nicht. Es geht aber auch bunter: Mia. singen dem rot-grünen Deutschland mit "Was es ist" ein Liebeslied. Spätestens Mitte der Nullerjahre ist der Patriotismus nach der Schlagerwelle der 50er wieder in den Charts angekommen. Oder war er nie weg?
Die Böhsen Onkelz sehen tatsächlich böse aus - aber sind sie auch rechts?
Die Böhsen Onkelz sehen tatsächlich böse aus - aber sind sie auch rechts? (picture alliance / dpa / Alex Laljak / BO2014)
"Also, neu …"
Max Alt.
"… würde ich die Entwicklung insofern nicht beschreiben, dass ähm …"
Musiker und Musikwissenschaftler an der Universität Bonn.
Nationalistische und patriotische Inhalte
"Wenn wir zurückdenken, auch an etwas radikalere Varianten wie die Böhsen Onkelz, Landser, Störkraft oder auch englische Punkbands wie Screwdriver, die auch schon in den 80er- und 90er-Jahren eine ziemlich starke rechte Gesinnung transportierten, dann muss man sich eigentlich nicht wundern, dass das in der Popmusik geht, sich so intensiv auch mit nationalistischen oder patriotischen Inhalten auseinanderzusetzen. Wenn das schon immer möglich war und immer noch ist, dann sind alle Facetten dazwischen natürlich auch möglich. Was sich jedoch verändert hat, ist der der Diskurs um dieses Thema, also dass durch das Erstarken einer neuen Rechten und auch neurechter Einstellungen in der Zivilgesellschaft aber auch eben in der Parteipolitik verfestigt sich das, was Foucault auch mal die ‚diskursive Formation‘ genannt hat, also Aussagen, Begriffe, die in einer bestimmten Regelmäßigkeit und nach bestimmten Regeln angewendet werden können. Wenn sich das verfestigt, dann manifestiert sich das eben auch."
Pop ist nie frei vom gesellschaftlichen Kontext - und dort wurde der Ton rauher. Plötzlich stellte man die Frage nach einer Leitkultur und "deutscher Musik" in deutschen Radioprogrammenen. "Volle Boote", "flutende Asylantenströme"und "Kanaken im Land" waren Bilder, die sich seit Mitte der 1980er, von konservativen Medien und Parteien ins Land ergossen.
Collage: "Du bist Deutschland Du bist der Baum Du bist die Flügel Du bist die Hand Du bist 82 Millionen // Du bist Deutschland."
Marketa Spiritova: "Diese Eigendefinition und Fremddefinition ist ja etwas ganz Natürliches. Also, da wird ihnen auch jeder Psychologe sagen, dass jede Identitätsbildung, ob jetzt individuell oder kollektiv, funktioniert über Definition des eigenen durch die Abgrenzung zum anderen. Das ist ja an sich, so funktionieren auch Stereotype, das ist ja an sich zunächst einmal nichts Verwerfliches, sondern es ist ganz wichtig in der Identitätsbildung, der Orientierung in der Welt und dergleichen. Problematisch wird es, wenn es eben mit Rassismen, mit Antisemitismus, mit Sexismus, mit übersteigertem Nationalismus einhergeht."
Daniel Landas "Jsi Čech"
"Ich hab‘ das dann vor allem in Tschechien und am Rande in Polen und in Ungarn untersucht, und da ist der Eingang des Nationalen oder des Nationalistischen in den Mainstream, in die populäre Kultur, noch viel stärker, als wir das etwa in der Bundesrepublik haben."
Große Opfermythen
"Ein tschechisches Beispiel: Daniel Landa ist ein Megastar in der Tschechischen Republik. Der war in den 80er- und frühen 90er-Jahren Mitglied einer Skinhead-Band und ist heute vom Kommerz her à la Helene Fischer, Herbert Grönemeyer etwa, und er hat auch ein starkes Wort. Also auf ihn wird auch gehört. Er rekurriert ganz stark auf die nationale Geschichte, das ist das eine, er verhandelt große tschechische, nationale Mythen. Das sind in der Regel große Opfermythen. Er stilisiert sich zu einem großen Patrioten. Also das ist dann auch immer die Rhetorik, die kennen wir in Deutschland auch. Ich bin ja ein Patriot, es geht um Vaterlandsliebe, nicht um Nationalismus. Gleichzeitig aber singt er auf seinen Konzerten nach wie vor Lieder aus seiner Skinheadzeit, die zutiefst rassistisch sind. Also das sind Lieder, die sich gegen vor allem gegen die Roma richten."
Neonazi-Musik im Mainstream
"In diesen Texten geht es etwa darum, wer ist Tscheche? Ist es der, der Tschechisch spricht, der eine tschechische Geschichte hat, der dort geboren ist, und zwar also seit Generationen? Es läuft ganz stark über Einschluss und Ausschluss. Und wenn sie ein Konzert haben, wo Hunderttausende diese Lieder mitgrölen, ‚sei stolz ein Tscheche zu sein‘, ‚der Staat muss was gegen die Parasiten, die Sozialschmarotzer unternehmen‘, dann ist das keine kleine Sparte mehr, sondern dann hat es auch eine Wirkmächtigkeit und beeinflusst große, große Massen von Menschen. Also das wäre ein tschechisches Beispiel quasi, dass wir Neonazi-Musik im Mainstream haben, aber in einem schöneren oder einem ansprechenderen, anschlussfähigerem Gewand."
Heaven 17 "(We Don't Need This) Fascist Groove Thang"
Von Tschechien nach Polen:
Hemp Gru "Zapomniani Bohaterowie feat. Bas Tajpan"
"Erinnere dich, erinnere dich an jene, an die sich niemand mehr erinnern möchte. Die polnischen Rapper Hemp Gru."
Marketa Spiritova: "Die sogenannten ‚Verstoßenen Soldaten‘ waren Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg in der Heimatarmee gekämpft haben, gegen Nazideutschland, und nach dem Zweiten Weltkrieg sind sie in den Wäldern geblieben und haben dann gegen die Kommunisten gekämpft. Sie haben aber vor allem, das zeigen archivalische Quellen, eine Spur des Terrors hinterlassen vor allem in Gebieten, wo vorwiegend noch jüdische Bevölkerung und weißrussische Bevölkerung gelebt hat. Also, die letztlich eine ethnische Säuberung vollzogen haben."
Instrumentalisiert von der PiS-Partei
Die sogenannten "Verstoßenen Soldaten" wurden als Widerstand gegen den Kommunismus zu einem Mythos in Pop und Politik in Polen. Terror und Morde blendete man dabei aus, und die regierende PiS-Partei instrumentalisierte sie für ihre geschichtsrevisionistische Politik. Schulen wurden nach ihnen umbenannt, ein Gedenktag erinnert.
Andreas Gabalier –auf seiner Stadion Tour 2019.
Auf der Bühne gibt sich Andreas Gabalier als Rocker und zugleich volkstümlich. (dpa/ HMB Media/ Heiko Becker)
"Und da sieht man, wie Popkultur und eine nationalistische Politik, wie wir sie gerade in Polen haben, also welche Allianzen da gebildet werden. Ich mein, soweit sind wir in Deutschland natürlich noch lange nicht. Aber ..."
Andreas Gabalier "Verdammt lang her"
"Wahnsinn
Wie sehr ih an die Zeiten häng'
Wahnsinn
Wie sehr ih für die Zeiten brenn'
Es is' verdammt lang her, wuoh oh"
" … wenn zum Beispiel wir Andreas Gabalier im Radio hören, ist es ja nicht gleich, dass wir mitdenken: ‚Aha, das sind ja rechte Narrative, die er da erzählt.‘ Keineswegs. Das passiert ja alles viel subtiler. Da werden Resonanzräume geschaffen, in die wir unsere Interpretation hineinlegen können. Es werden Botschaften transportiert, die national aufgeladen sind, also diese Abwertung des anderen, die findet da erst gar nicht statt, sondern das passiert durch das Nichtgesagte oftmals."
Gabalier als Heimatkitsch?
Max Alt: "Da zitiere ich gern Michael Fischer, der ist Direktor des Zentrums für populäre Kultur und Musik an der Uni Freiburg. Gabalier vermittelt für ihn Heimatkitsch, religiöse Gefühle und überholte Rollenbilder. Das ist zwar auch recht typisch - leider immer noch - für den Schlager und auch für einige Bereiche im Deutschrock. Gabalier positioniert sich aber auch als Personen des öffentlichen Lebens in gleicher Art, womit er halt genauso im rechtspopulistischen und neurechten Diskurs einzuordnen ist wie Frei.Wild."
Die Deutschrocker aus Südtirol, die mit ihrem gemäßigt an den Punk angelehnten Sound an die 80er anknüpfen und die auch inhaltlich Parallelen zu damals aufweisen. Das ist ja nichts neues, meint Thorsten Hindrichs, und verweist auf den Rechtsrock.
Der Südtiroler Sänger Philipp Burger bei einem Konzert mit seiner Band Frei.Wild im Velodrom in Berlin. 
Der Südtiroler Sänger Philipp Burger bei einem Konzert mit seiner Band Frei.Wild (picture alliance / Eventpress Hoensch)
Thorsten Hindrichs: "Was die auch alle miteinander teilen, ist doch ein sehr archaisch konservatives Geschlechterbild. Das waren dann so Combos wie Endstufe, Böhse Onkelz damals, die so auch in meinem sozialen Nahfeld durchaus gehört wurden und sehr populär waren in den 80er-Jahren.
Die teilen natürlich bestimmte Einstellungen und Werthaltung alle miteinander, die eher für rechtspopulistische Einstellungen anschlussfähig sind, also beispielsweise so diese klassische Oppositionsbildung, die wir auch im Rechtspopulismus finden, von ‚Wir gegen die‘ und ‚Wir sind meistens hier unten‘ und ‚Die da oben sind irgendwie Elite, Establishment‘ und so weiter, und ‚Wir hier unten müssen uns irgendwie gegen die da oben zur Wehr setzen‘. Und dann strotzen die meisten Songs ja dann auch vor entsprechenden Klischees. Das heißt, solche Songzeilen wie ‚Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegen bleiben‘ und so weiter und so fort, gibt es ohne Ende.
Also da werden sehr heteronormative Männlichkeitsbilder entworfen, und das Frauenbild im neuen Deutschrock ist jetzt auch nicht unbedingt besonders emanzipatorisch. Also das sind so bestimmte Aspekte, die die schon miteinander teilen. Wobei die dann durchaus auch nochmal unterschiedlich gefüllt werden. Wir haben wahrscheinlich die bekannteste Band in diesem Segment, was das angeht, eine Combo wie Frei.Wild, die dann das Ganze auch noch mit ihrem ganz eigenartigen Heimatbegriff aufladen, der ein sehr exklusive Heimatbegriff ist."
"Reaktionäres Familien-, Frauen-, Männerbild"
Max Alt: "An Frei.Wild ist in erster Linie nichts schlimm. Thematisch besingen sie so Themen wie Ehrlichkeit, Freundschaft, Freiheit, Alkohol, Partys, ein reaktionäres Familien-, Frauen-, Männerbild. Das gilt allerdings auch für andere Musikrichtungen. Das kann man dem Rap genauso unterstellen. Jedoch, und hier muss ich dann jetzt dieses oft Gehasste aber anbringen, bedienen Frei.Wild eben genau den Diskurs um eine neue Rechte, Rechtspopulismus, Patriotismus, wenn sie Begriffe benutzen wie ‚Moralapostel‘, ‚Gutmenschen‘, ‚besorgte Bürger‘, wenn Sie Medien als ‚Marionetten‘ darstellen, wenn sie die ‚wahren Werte‘ in Sprache, Brauchtum und Glauben verpacken."
"Sie müssen sich Diskussionen stellen"
"Also, wenn man so in seinen Songtexten sich ausdrückt, dann ist man nun mal Teil des Diskurses um Pegida, AfD, den Rechtspopulismus und der Neuen Rechten. Und da kann sich Frei.Wild noch so oft von Gewalt der radikalen Rechten und Fremdenfeindlichkeit distanzieren. Solange sie die besagten Themen in aller Regelmäßigkeit mit den entsprechenden Begriffen, Argumenten und Aussagen bearbeiten, müssen sie sich weiterhin der Diskussion stellen, dass sie eben in dieser politischen Richtung verordnet werden. Und das wiederum halte ich für richtig, dass sie dort einzuordnen sind."
Echo gewonnen
"Das eigentliche Problem, von dem man dort spricht, ist ja, warum kann eine Band über diesen langen Zeitraum sich mit solchen Inhalten entwickeln? Und warum ist diese Band so populär? Das sind dann eher die Fragen, die es zu klären gilt und nicht, ob diese Band schlimm ist. Es ist nun mal ein Fakt, dass Frei.Wild 2016 einen Echo gewonnen haben. Wie ist das möglich?"
Die Band Frei.Wild freut sich am 7. April 2016 in Berlin über die Auszeichnung in der Kategorie "Rock/Alternative National".
Die Band Frei.Wild freut sich am 7. April 2016 in Berlin über die Auszeichnung in der Kategorie "Rock/Alternative National". (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
Fragt Max Alt und fragt damit auch nach dem deutschen Musikpreis, der ja im Umgang mit historischen Themen und offener Gesellschaft, um es mal ganz höflich auszudrücken, wenig Sensibilität bewies.
Thorsten Hindrichs: "Sie erinnern sich möglicherweise noch an diesen letzten Echo Skandal mit Kollegah und Farid Bang, wo sich alle drüber aufgeregt haben, dass die so ein antisemitischen Dreck in die Welt blasen. Ich habe mich schon damals gefragt, was ist eigentlich mit Bertelsmann Music Group? Warum haben die dieses Album überhaupt finanziert? Ist da niemand, der da ein Auge drauf hat? Oder nehmen wir jetzt aktuell Xavier Naidoo, der hat als Vertriebspartner Sony Music für sein Plattenlabel gewonnen. Im letzten Jahr wurde das stolz aufgemacht. Also wo sehen die ihre Verantwortung an der Stelle oder, wenn sie die Verantwortung nicht sehen, ignorieren sie die möglicherweise, weil die ganzen Skandale, ob das Farid Bang und Kollegah sind, ob das Xavier Naidoo ist, ob das Frei.Wild ist, generieren natürlich mediale Aufmerksamkeit. Und hinter der medialen Aufmerksamkeit ist dann eben auch die finanzielle Aufmerksamkeit. Das zahlt sich aus."
Die Rapper Kollegah (links) und Farid Bang feiern die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo. 
Die Rapper Kollegah (links) und Farid Bang feiern die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
Knarf Rellöm "Arme kleine Deutsche"
This is the heavy, heavy NO Deutschland Sound
Arme kleine Deutsche haben keine Rechte
Arme kleine Deutsche werden überall verfolgt
Arme kleine Deutsche, zusammengetreten und verprügelt
Arme kleine Deutsche, Arme kleine Deutsche
Arme kleine Deutsche werden angezündet, ermordet
Arme kleine Deutsche
Im schwarz-rot-goldenen Farbtopf
Knarf Rellöm, ironische Töne, ebenfalls aus dem Buch-CD-Sampler "I can’t relax in Deutschland" von 2005. War da der Mainstream schon in den schwarz-rot-goldenen Farbtopf gefallen oder stand der Farbeimer einfach nur schon lange bereit?
Thorsten Hindrichs: "Beides. Das ist natürlich eine Antwort, die niemand gerne gehört. Also auf der einen Seite ist es ein schleichender Prozess gewesen, auf der anderen Seite gibt es durchaus so Initialimpulse meines Erachtens, wobei ich mich immer ein bisschen schwer tue mit so ganz konkreten Festlegungen, ‚das war jetzt der Auslöser schlechthin‘. Sicher hängt da sehr viel auch mit der deutschen Wiedervereinigung seit 1990 zusammen, dass seit dieser Zeit ja doch ein zunehmender Nationalisierungs- oder Renationalisierungsprozess in der deutschen Popmusik stattgefunden hat, von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren nach vorne gebracht, die sich - vorsichtig formuliert - als rechtskonservativ verstehen.
Aber eben nicht nur, nicht nur diese rechtskonservativen Akteurinnen, sondern, was meines Erachtens in der Diskussion auch häufig viel zu kurz kommt, ist beispielsweise die Rolle auch der deutschen Musikindustrie, die wirklich seit den 1990ern und dann später, vor allem in den Nullerjahren ganz massiv auch so ein so’n Wirtschaftskampf mehr oder weniger forciert hat und den deutschen Musikmarkt gegen andere Musikmärkte versucht hat abzuschotten, beziehungsweise umgekehrt starkzumachen, und immer mehr auch mit solchen nationalen Aufladungen gearbeitet, dass jetzt deutsche Musik noch erfolgreicher ist, dass Musikerinnen und Musiker aus dem heimischen Bereich, das steht sogar wörtlich in irgendeinem diese Jahresberichte drin, jetzt einen Löwenanteil an den Verkaufszahlen hätten und so weiter und so fort. Also da ist auch tatsächlich die deutsche Musikindustrie und die deutsche Musikwirtschaft nicht ganz unschuldig an diesem Renationalisierungsprozess."
Jugendkultur ohne Pop ist nicht denkbar
Von dem das rechte bis rechtsextreme Spektrum profitiert. Dort weiß man, eine Jugendkultur ohne Pop ist nicht denkbar. Es braucht moderne Formen, auch musikalische, darauf weist Marketa Spiritova hin:
"Ich glaube, dass es kaum ein Medium gibt, das über ein höheres Mobilisierungspotenzial verfügen kann, und das ist Musik im Allgemeinen. Also, das ist jetzt nicht nur der Pop, sondern wenn wir ins 19. Jahrhundert? zurückgehen. Wie wurden nationale Gefühle geweckt? Indem man Lieder mit nationalem Gedankengut, mit nationalen Haltungen, verbreitet hat und gesungen hat. Also, da sind wir wieder bei diesem Einklang oder Zweiklang, Nation und Emotion - also von dem her denke ich, dass generell Musik und eben auch national, nationalistisch aufgeladener Pop sehr wohl Massen mobilisieren kann."
Und so wird auch rechts gerappt.
Makss Damage "64 Lines 2 Teil 2":
Hallo Deutschland, ich bin wieder da,
schon neun Mal gesperrt dieses Jahr.
Makss – mit "ss" geschrieben - Damage. Schon länger dabei und als Volksverhetzer rechtskräftig verurteilt. Er ruft auch mal zum Mord an Antideutschen auf. Und er weiß, wer die Opfer sein sollen, denn angefangen hat er ganz links, als bekennder Stalinist mit Lob-Raps auf die RAF.
Thorsten Hindrichs: "Dass nimmt zum Teil extrem abstruse Züge an, dass dann so einer der prominentesten extrem rechten Hip-Hopper wie Makss Damage anfängt, was zu erzählen von wegen: ‚Naja, eigentlich hätten die germanischen Druiden bei ihren Things auch schon Sprechgesang gemacht.‘ Also das heißt, die Germanen sind eigentlich die Erfinder von Rap. Das wird zum Teil wirklich ganz, ganz verrückt. Das ist aber mit ein Grund, warum in der extremen Rechten diese ganzen Hip-Hop oder nationaler Sprechgesang - wie die das nennen - Projekte nicht so wirklich viel Einfluss bekommen, beziehungsweise nicht so wirklich erfolgreich sind. Also diese ganzen Makss Damages oder ‚Sprachgesang zum Untergang‘ und wie die alle heißen, die spielen in der extremen Rechten nach wie vor eine sehr untergeordnete Rolle."
Identitäre haben eigene Stars
Anders bei der sogenannten Neuen Rechten. Die Identitäre Bewegung etwa gibt sich jung, modern und fortschrittlich. Mit diesen alten Rechten habe man nichts zu tun, die seien ja rückwärtsgewandt. Die Identitären haben eigene Stars.
Chris Ares x Prototyp "Neuer Deutscher Standard"
Polizeitaufgebot, Medien eskalieren,
predigen Sprechverbot.
Diese zwei unbesiegt sind bereit - Infokrieg,
Sicherheit lächerlich. Sinnbefreit, besser stich.
Aufrecht stehen absolut.
Gerade gehen, deutsches Blut.
Patrioten, die sich wehren, wir ha'm von dem Scheiß genug.
BRD hart gestört, BND abgehört, doch wir zwei weichen nicht bis uns das Land gehört.
Wir sind der neue deutsche Standard, Salutier!
"Seine Skills nicht so dolle"
Thorsten Hindrichs: "Wobei Chris Ares ganz schlecht rappt, wie ich finde, aber ..."
Nichts aber, die Jugendlichen mit denen der Musikwissenschaftler ab und zu über aktuelle Hits spricht, die teilen sein Urteil.
"... weil seine Skills nicht so dolle sind. Und weil die Beats halt auch eher langweilig sind, da ist dann wieder die Faszination des verbotenen wirksam. Aber das hatte ich und meine Generation in den 80er-Jahren mit dem Böhsen Onkelz und Endstufe ja auch. Und interessanterweise also zumindest aus meinem sozialen Nahfeld ist niemandem Nazi geworden. Das ist ja ein altes Klischee, Musik ist keine Einstiegsdroge, wenn ich als junger Mensch schon an dem Punkt bin, dass ich die übelsten Vernichtungsfantasien in Musik gesetzt gut finde, ist bis dahin schon sehr viel schief gelaufen, würde ich mal sagen im sozialen Nahfeld."
Das uneindeutige "Wir"
Und nicht nur dort. Seit Mitte der Nullerjahre weisen Polit- und Geisteswissenschaften nachdrücklich immer wieder darauf hin, rechtes Gedankengut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, vor AfD und Pegida. Als Bürger sieht Max Alt das Problem, als Musikwissenschaftler fragt er:
"Warum sollte denn die Popkultur komplett gegenlaufen zu den Entwicklungen, die allgemein vorhanden sind? Und so ist eher die Frage, ist das Problem wirklich in der Popkultur oder ist das Problem nicht ein viel tiefgreifenderes auf das die Popkultur eigentlich hin und wieder eben nur reagiert und sprechen da nicht ganz andere Probleme heraus? Und das heißt eben, da muss Feuilleton, die Presse, in der Politik, an verschiedenen Stellen muss darüber gesprochen werden. Aber in allererster Instanz natürlich muss man sich darüber unterhalten, möchte man Musik hören, in der es ihm heißt, das Moralapostel und Gutmenschen nichts in diesem Land zu suchen haben? Dann muss man darüber reden, wie das dazu kommt, dass so etwas erfolgreich sein kann, solche Aussagen. Also, wie weit muss eine Zivilgesellschaft eingestellt sein, um das zu akzeptieren?"
Also: Deutschland, wir müssen reden! Nein, nicht über dich. Über uns und darüber, wem überlassen wir es fahrlässig und ständig, diese uneindeutige"Wir" in den Mund zu nehmen? Wer vereinnahmt da all diejenigen, für die Heimat kein in feste Grenzen gesetztes Programm ist, sondern ein stetes Fragen, Forschen und Suchen? Und auch da gibt es keinen Schlussstrich.
Teilnehmer der rechtspopulistischen Demonstration "Tag der Nation" des Bündnisses "Wir für Deutschland" ziehen am 03.10.2018 mit Deutschlandfahnen durch Berlin. Im Vordergrund eine große Deutschlandfahne, die Demonstranten im Gegenlicht.
Deutschlandfahne auf einer Demonstration von rechten Aktivisten (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Johnny Cash "Wo ist Zuhause, Mama?"
Wo ist Zuhause, Mama
Auf der großen Straße
Wo ist Zuhause, Papa
Vielleicht hier auf dieser Straße
Doch diese Straße ist so lang,
ist so endlos lang
Ich kann das Ende nicht sehen
und mir ist so bang
Vielleicht find ich dich,
find ich mein Zuhaus'
Auf der großen Straße
Wo ist Zuhause, Mama
Hinter blauen Bergen
Wo ist Zuhause, Papa
Vielleicht hinter diesen Bergen
Doch die Berge sind hoch,
ich suche den Weg
Wer führt mich ans Ziel
und wer kennt den Steg
Vielleicht find ich dich,
find ich mein Zuhaus'
Hinter blauen Bergen
Wo ist Zuhause, Mama
In den grünen Tälern
Wo ist Zuhause, Papa
Vielleicht dort in diesen Tälern
Bitte komm', lass' uns dorthin gehen
Man sagt die Täler blühen, alles sei so schön
Vielleicht find ich dich, find ich mein Zuhaus
In den grünen Tälern
Wo ist Zuhause, Mama
Bei den hellen Sternen
Wo ist Zuhause, Papa
Vielleicht dort bei diesem Stern
Dieser Weg dorthin, der ist sicher weit
Fast eine ganze Ewigkeit
Vielleicht find ich dich, find ich mein Zuhaus
Bei den hellen Sternen
Oben bei den hellen Sternen

Redaktion: Adalbert Siniawski