
"Nach vorn, Russland - nach oben!"
Der Präsident betritt eine große Bühne in der Mitte des Stadions. Schauspieler, Regisseure, Musiker, Sportler - sie alle stehen buchstäblich hinter Wladimir Putin. Sie symbolisieren: "Wir sind ein Land, das zusammenhält."
"Niemand wird das an unserer Stelle für uns tun. Aber wenn wir das tun, dann werden die kommenden Jahrzehnte, das ganze 21. Jahrhundert, im Zeichen unserer glänzenden Siege stehen. Wir werden es tun. Ja?" - "Ja!"
Der Kandidat spricht kaum mehr als zwei Minuten. Zum Schluss lobt er die russischen Hockeyspieler, die auch hinter ihm stehen. Sie haben bei den Olympischen Spielen in Südkorea im Finale gegen Deutschland Gold gewonnen.
"Aber, aus welchen Gründen auch immer, haben wir die Musik nicht gehört. Lassen Sie uns das zusammen tun, zur Musik unserer Nationalhymne. Machen wir das, ja? Los geht’s!"
"Bei dieser Wahl ist Putin unser Kandidat. Ernsthaftigkeit, Stabilität! Wie unser Land sich entwickelt, wie es aufsteigt. Infrastruktur, Wissenschaft! Unsere Jugend hat alle Chancen, ausgebildet zu werden. Wir rufen alle dazu auf, unseren Kandidaten Wladimir Wladimirowitsch Putin zu wählen."
Nikita steht mit seiner Verehrung nicht allein. Viele Russinnen und Russen schätzen etwas, was sie landauf, landab als Stabilität beschreiben. Dazu trägt bei, dass die russische Wirtschaft vom Abschwung der Weltwirtschaft sowie den Sanktionen der Europäischen Union und der USA zwar getroffen wurde, es nun aber wieder etwas langsam bergauf geht: Die Wirtschaft ist nach zwei Rezessionsjahren im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent gewachsen. Das ist allerdings weniger, als die russische Regierung selbst erwartet hatte. Das Bruttoinlandsprodukt liegt noch immer niedriger als vor 2014, also vor der Annexion der Krim und dem Beginn der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine.
Allerdings haben viele Firmen kaum Mitarbeiter entlassen, sondern sie geringer entlohnt. Auch ist die Inflation deutlich zurückgegangen und liegt nach Angaben der Zentralbank für das vergangene Jahr bei etwas über zwei Prozent. Der föderale Haushalt nähert sich der "Schwarzen Null" - durch die Krise halfen harte Sparprogramme und Milliardenreserven, die zuvor angelegt worden waren. Doch das Bild ist keineswegs nur positiv, denn viele Menschen spüren die Krise direkt: Die Realeinkommen sind laut Statistikamt vier Jahre in Folge gesunken und der Rubelkurs ist weiter schwach.

"Russland muss nicht nur eine der fünf größten Volkswirtschaften der Welt werden, sondern auch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um das Anderthalbfache erhöhen. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Ich bin aber mir sicher, dass wir in der Lage sind, diese Aufgabe zu meistern. Ende des nächsten Jahrzehnts muss Russland dem Club der Länder angehören, in denen die Lebenserwartung mehr als 80 Jahre beträgt, wie Japan, Frankreich und Deutschland."
Der Präsident versprach außerdem unter anderem höhere Renten, schnelles Internet im ganzen Land, neue Straßen, hochwertige, gut bezahlte Arbeitsplätze, Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen und mehr Geld für Forschung und Familien. Details, wie das Land all das stemmen soll, nannte er nicht. An manchen Stellen seiner Rede räumte der 65-Jährige ein, dass viele Russinnen und Russen von einem Spitzenplatz nur träumen könnten.
"Ich halte das Wohlergehen der Menschen, die Einkommen russischer Familien für den Schlüsselfaktor. Ich möchte Sie daran erinnern, dass im Jahr 2000 noch 42 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze lebten. Das sind 29 Prozent der Bevölkerung des Landes. 2012 konnten wir dieses Niveau auf zehn Prozent reduzieren. Wegen der Folgen der Wirtschaftskrise ist die Armut aber wieder gewachsen. Gerade viele arbeitende Menschen leben sehr bescheiden."
Viele Rentner kommen ebenfalls nur irgendwie über die Runden. Die durchschnittliche Rente liegt bei umgerechnet weniger als 200 Euro im Monat. Bei Einkommen und Rente sind die Spreizungen regional eklatant. Moskau und einige andere Städte stehen besser da. Aber abseits dieser Zentren gilt die Faustregel: je ländlicher, desto niedriger die Einkommen. Am wenigsten verdienen die Menschen durchschnittlich im Kaukasus.
"Wir haben jetzt zirka 70 Prozent des Staates in der Wirtschaft. In den letzten Monaten wurden zusätzlich die größten privaten Banken auch nationalisiert. Zweitens die Orientierung auf den Export von Rohstoffen. Und die unglaubliche Korruption."
Wladimir Putin hat unlängst zwei Beratergremien ins Leben gerufen, die Reformen erarbeiten sollen. Bis wann sie fertig sein sollen, ist unbekannt. Es gehört zu den Kuriositäten russischer Politik, dass eine Gruppe von Boris Titow geleitet wird, der in diesen Wochen zugleich als Präsidentschaftskandidat auftritt.
"Sie wissen, dass Reformen immer ein Risiko sind. Ein Risiko für die Popularität, ein Risiko für das Rating. Und Herr Putin mag nicht das Risiko."
"Unsere Propagandisten, mindestens von den offiziellen, staatlichen Fernsehkanälen und Radiokanälen, sind talentierte, kreative und ganz pragmatische, ganz zynische Leute. Aber sie sind erfolgreich."
"In seiner politischen Karriere hat es drei Popularitätssprünge gegeben, die alle mit kleinen, siegreichen Kriegen verbunden sind: der Krieg in Tschetschenien, gegen Georgien und in der Ukraine. Jetzt beginnt wohl die Periode der Enttäuschung oder eher des Unverständnisses. Einerseits sind wir nach Auffassung der Mehrheit stärker geworden, die Krim ist Teil Russlands, aber andererseits haben die Leute weniger Geld in der Tasche. Dafür haben sie emotionale oder ideologische Erbauung bekommen: 'Niemand hat uns mehr Befehle zu erteilen. Wir haben uns dem Diktat der USA entgegengestellt.' Das sind zwar Mythen, aber sie funktionieren. Erst jetzt werden sie schwächer. Trotz massiver Propaganda sehen wir erste Anzeichen von Müdigkeit."
Die Zentrale Wahlkommission, verantwortlich für die Organisation der Wahl, schaltet seit Wochen Spots, wirbt auf Plakaten am Straßenrand, im Netz, per SMS und selbst auf dem Display von Geldautomaten dafür, zur Wahl zu gehen. Kaum jemand bezweifelt, dass der Machtapparat Wert darauf legt, eine Wahlbeteiligung von etwa 70 Prozent zu erreichen. Diese aber ergibt sich nach 18 Jahren Herrschaft von Putin nicht von allein. Auch aus diesem Grund bewerben sich noch weitere Kandidaten um das Amt des Präsidenten. Eine ihrer Aufgaben besteht darin, spezifische Milieus anzusprechen und für die Wahl zu interessieren.
"Das aus meiner Sicht größte Problem ist, dass wir wieder eine Klassengesellschaft geworden sind und Menschen voneinander getrennt haben."
Pawel Grudinin ist Direktor eines Unternehmens vor den Toren Moskaus. Dessen Name, "Lenin-Sowchose", stammt aus der Sowjetzeit. Manche Charakteristika sind geblieben: Wer hier wohnt, arbeitet häufig auch im Unternehmen. Die Sowchose ist ein erfolgreiches Unternehmen, verkauft zum Beispiel Erdbeeren und Milch.
"Das hier ist ein volkseigener Betrieb, der alle seine Mittel für die Modernisierung der Produktion aufwendet, für soziale Programme und die Verbesserung des Lebens der Menschen. Außerdem: für materielle Hilfe für Rentner, für Löhne. Die sind bei uns, gemessen an russischen Löhnen, sehr hoch. 78.000 Rubel haben unsere Arbeiter im vergangenen Jahr durchschnittlich monatlich verdient. Wir haben zum Beispiel einen Kindergarten gebaut, der so aussieht wie Schloss Neuschwanstein."
Nicht nur der Kindergarten, auch die Schule ist neugebaut, modern und technisch aufwändig eingerichtet. Nur mit Erdbeeren war dies nicht zu finanzieren: Die Sowchose hat viel Geld an Landverkäufen verdient, als der IKEA-Konzern Grundstücke für seine Filialen benötigte. Mit dem Vorbild seiner Sowchose wirbt Grudinin im Namen der Kommunistischen Partei für einen Politikwechsel: für mehr soziale Gerechtigkeit.
Die Außenpolitik Putins kritisiert er mit keinem Wort - und Diktator Stalin hat seinen Aussagen zufolge keine verbrecherische Politik betrieben. Grudinin spricht Wähler an, die sich mehr Staatseinfluss auf die Wirtschaft wünschen und der Sowjetunion nachhängen. Umfragen sehen Grudinin auf Platz zwei mit rund zehn bis 15 Prozent. Seine Glaubwürdigkeit als Verfechter der Interessen einfacher Bürger trübt allerdings, dass er selbst Teile seines privaten Reichtums in die Schweiz geschafft hat, darunter Bestände an Gold, wie er selbst einräumt.

"Die Ukraine ist der wichtigste Partner Russlands. Die Wiederherstellung normaler und besserer Beziehungen ist wohl zweifellos die wichtigste Aufgabe, der sich Russland heute stellen muss. Aus Sicht des Völkerrechts ist die Krim ukrainisch. Punkt."

Wladimir Putin steht vor seiner vierten Amtszeit als Präsident. Danach darf er laut Verfassung nicht noch einmal antreten. Dass er 2024 wirklich abtritt, hält Oreschkin jedoch nicht für ausgemacht.
"Ich denke, es wäre zu optimistisch zu erwarten, dass er 2024 geht. Meiner Meinung nach wird er wie Leonid Breschnew bis zu seinem Lebensende an der Spitze der Machtvertikale sitzen. Zum einen weiß er, dass man ihm vieles vorwerfen kann, wenn er die Situation nicht unter Kontrolle hat. Zum anderen ist er psychisch einfach nicht bereit, schwach und schutzlos zu erscheinen. Entweder kontrolliert man alles oder man ist ein hilfloser Junge, der verprügelt wird. Eine weitere Alternative gibt es nicht."
Russland steht vor großen Fragen, von denen die Wahl keine beantwortet. Dies bleibt dem amtierenden und wohl auch künftigen Präsidenten vorbehalten: Wladimir Putin.