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Utopie oder Dystopie?
Honduras und das Modell der Privatstädte

Eine Gesetzesänderung 2013 hat sogenannte ZEDE in Honduras möglich gemacht. Das sind Areale, die wie Unternehmen organisiert sind und in vielen Bereichen Autonomie besitzen. Kritiker sehen darin den Ausverkauf staatlicher Souveränität.

Von Martin Reischke | 03.11.2022
Eine Luftaufnahme eines tropischen Strandes auf Roatán, Honduras
Auf der Karibikinsel Roatán im Norden von Honduras wollen internationale Investoren den Beweis antreten, dass das Konzept der "ZEDE" funktioniert (PantherMedia / Inna Talan / Inna Talan)
"Ich will Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung hier im Norden von Honduras sehen. Ich habe schon mit verschiedenen Unternehmen in Asien, Kanada und den USA gesprochen und ihnen gesagt: Das Konzept für die Sonderzonen in Honduras ist fertig."
Herbst 2017. Fünf Jahre ist es her - in Honduras in Zentralamerika ist Wahlkampf. Juan Orlando Hernández – zu dem Zeitpunkt autoritärer Präsident und starker Verfechter neoliberaler Politik - steht auf einer Bühne in der Stadt Choloma und wirbt für sein Lieblingsprojekt: die Zonas de Empleo y Desarrollo Económico, kurz ZEDE. Auf Deutsch: "Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung".

Das Konzept der „ZEDE“ wirft Fragen auf

Der technische Begriff "ZEDE" steht für eine radikale Idee: In besagten "Zonen" sollen nicht die Gesetze und die Rechtsprechung von Honduras gelten, sondern stattdessen ein eigenes Regelwerk. 2013 hatte das Parlament von Honduras dem zugestimmt, hatte die Einrichtung der "Zonen" per Gesetz beschlossen – und dafür sogar die Verfassung des Landes ändern lassen. Doch die Entscheidung war umstritten und ist es bis heute. Glaubt man den Unterstützern, könnten mithilfe der "ZEDE" wirtschaftlich prosperierende Leuchttürme entstehen. Inmitten von Honduras - einem von Korruption, Armut und Gewalt geplagten Land. Doch das Konzept wirft Fragen auf: Ist es möglich, einen Staat, der am Gemeinwohl orientiert ist, durch ein Unternehmen zu ersetzen, das nach Gewinn strebt? Denn genau das ist es, was besagte "Zonen" für sich beanspruchen.
Man muss es sogar tun, muss den Staat ersetzen – das findet Titus Gebel, einer der intellektuellen Köpfe der sogenannten Privatstadtbewegung im deutschsprachigen Raum. Die Bewegung wirbt dafür, Gemeinschaften wie Unternehmen zu organisieren - und besagte "Zonen" in Honduras sind für sie ein vielversprechender Ansatz, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Gegenüber Journalisten ist Gebel vorsichtig. Eine Interviewanfrage des Deutschlandfunk beantwortet der in Monaco ansässige deutsche Jurist und Unternehmer lieber schriftlich. Und er verweist auf sein Buch mit dem Titel "Freie Privatstädte: Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt". Gebel schreibt: "Richtig verstanden, gibt es nur ein wesentliches Menschenrecht, nämlich das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, um sein Leben selbstbestimmt führen zu können."
Das zu garantieren, sei eigentlich Aufgabe des Staates. Die Partikularinteressen einzelner Gruppen führten jedoch tendenziell zu einer Aufblähung des Staatsapparates: "Da insbesondere in Demokratien, aber nicht nur dort, fast jede Interessengruppe versucht, ihre persönlichen Wünsche der Allgemeinheit in Rechnung zu stellen, steigen mit der Zeit zwangsläufig die Zahl der Gesetze, die Steuerbelastung und die Staatsschulden."
Und damit also die Fremdbestimmung. Für Gebel, der den Sozialstaat ebenso ablehnt wie offene Grenzen, gibt es eine Lösung für das von ihm so wahrgenommene Problem: die Privatstadt. In der seien weder soziale Verteilungskämpfe noch ideologische Auseinandersetzungen nötig. Die Privatstadt sei ein Unternehmen mit klaren Regeln. Die würden festgeschrieben und vertraglich garantiert - für die, die dort wohnten und arbeiteten. Aus Bürgern würden Kunden: "Die Sichtweise einer Gesellschaftsordnung als 'Produkt' und der friedliche Wettbewerb der Systeme um Bürger als 'Kunden' ermöglicht eine Entschärfung bisheriger politischer Konflikte. Gibt es erst einmal ausreichend Alternativen, sind sowohl Ordnungen, die auf Abstammung und Gemeinschaftsgefühl beruhen, wie solche, die Privateigentum ablehnen, nur noch technische Produkte unter vielen." Alles sei denkbar: kommunistische Systeme ebenso wie marktradikale Experimente. Gebel ist sich sicher: "Nach spätestens zwei Generationen wären Freie Privatstädte wohlhabender, freier und friedlicher als alles, was wir bisher kennen."

Soziologe: Es gäbe keine Staatlichkeit mehr und damit keine Demokratie

Der Soziologe Andreas Kemper bezweifelt das. Er hält das Konzept der Privatstadt für gefährlich. "Privatstadt ist erst einmal eine Utopie, also von meiner Seite aus gesehen eine Dystopie, also eine negative Utopie. Aber gemeint ist sie von denen, die das anstreben, als Utopie. Das heißt, es gibt noch keine wirklichen Privatstädte. Eine Privatstadt, so wie sie sein sollte, die wäre jenseits aller Staatlichkeit. Das heißt, alles wäre privatisiert, nicht nur das Gesundheits- oder Bildungswesen, sondern auch Polizei, die Gerichte wären privatisiert, Gefängnisse wären privatisiert, also wirklich alles. Es gäbe keine Staatlichkeit mehr und damit auch natürlich keine Demokratie mehr."
In dieser Radikalität wurde bisher noch kein Privatstadtprojekt umgesetzt, nirgendwo auf der Welt. Aber Projekte, in denen neue Wohn- und Geschäftsviertel von privaten Investoren und nicht vom Staat entwickelt werden, gibt es viele – vor allem in Ländern des globalen Südens. Die "ZEDE" - besagte "Zonen" in Honduras - gehen allerdings einen Schritt weiter. Sie sind in vielen wichtigen Fragen wie etwa der Steuer- oder Bildungspolitik tatsächlich unabhängig vom Staat Honduras.
Was es heißt, wenn eine Stadt von einem Unternehmen und wie ein Unternehmen geführt wird, erklärt Sarah Moser, Geografin an der kanadischen McGill University: "Man muss sich eine solche Stadt wie eine Shopping Mall vorstellen, nur größer. Eine Shopping Mall ist ein privates Unternehmen, dort gibt es keine Demokratie. Und die Besucher haben keine Mitbestimmungsrechte, wenn es darum geht, wie die Mall organisiert und geführt werden soll. Das machen die Eigentümer und das Management. Und genauso ist es in Städten, die von einem privaten Unternehmen geführt werden."
Oft würden diese Städte allerdings nur auf dem Papier existieren, sagt Moser. "Alles dreht sich darum, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und ein Projekt zu verkaufen, dass vielleicht noch nicht einmal begonnen wurde. Das sind Städte, die nur im Internet und in PowerPoint-Präsentationen existieren. Aber es ist eben ganz wichtig, die Angebote für ausländische Investoren so ansprechend und verführerisch wie möglich zu machen."
Der frühere honduranische Wirtschaftsminister Fernando García hat unzählige Studien über die "ZEDE" geschrieben. Er betrachtet die "Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung", die seit der Gesetzesänderung von 2013 in Honduras entstehen, zutiefst kritisch: "Ich sehe es so: Die 'ZEDE' beeinträchtigen die nationale Souveränität. Es geht darum, Staaten innerhalb eines schon existierenden Staates zu schaffen. Es geht um die Förderung von autonomen Privatstädten, von Unternehmerstädten. Sie sind die Brückenköpfe der libertären Bewegung. Weil es ihr noch nicht gelungen ist, unsere Staaten zu zerstören, übernimmt die libertäre Bewegung zumindest kleine Territorien."

Weniger Staat, weniger Regeln, dafür mehr Eigenverantwortung

Tatsächlich sind "Privatstädte" ein wichtiges Projekt, mit dem libertäre Kräfte ihre Ideen in die Praxis umsetzen wollen: weniger Staat, weniger Regeln, dafür mehr Eigenverantwortung. Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung benennt den Ökonomen Ludwig von Mises als Bezugsperson für die libertäre Bewegung. Das Konzept der "Privatstadt" aber, so Plehwe, ginge weit darüber hinaus: "Also die Idee ist eine radikale Dezentralisierung, alle Gemeinwesen sollten in kleinen Einheiten operieren. Und die Radikalisierung des Denkens in diesen Kreisen ging über die bis dahin auch bei Mises selbst noch existierende Vorstellungswelt, wo der Staat schon zuständig war sicherlich für Militär und Polizeiaufgaben und sowas, und da hat man praktisch bei den Leuten einen Ansatz, der sagt: Nein, selbst dafür, das kann man eigentlich privatisieren, sodass also ein minimalistischer Minimalstaat vielleicht noch übrig bleibt."
Für Plehwe steht fest, besagte "Privatstadt" ist: "Definitiv nicht vereinbar mit dem, was wir gemeinhin als demokratisches Gemeinwesen denken. Die ganze Geschichte des Liberalismus und der Demokratie bis hin zur sozialen Demokratie geht ja davon aus, dass das Gemeinwesen erkämpft, erstritten wird über die Gleichheit, über das gleiche Recht, sich zu beteiligen, gemeinhin über Wahlen. Und das wird hier in den Ansätzen, die dahinterstehen, schon bei Mises, wird das in Abrede gestellt."
Die Verfechter des Konzeptes "Privatstadt" sähen die Demokratie allerdings keineswegs abgeschafft, sondern nur anders umgesetzt. "Und bei Mises ist die Vorstellung, dass die eigentliche Demokratie in den Konsument:innen-Entscheidungen sich vollzieht. Das heißt, der Markt gilt wiederum dann als positiver Bezugspunkt für die eigentlich wirklich demokratische Entscheidung, weil hier Konsumentinnen und Konsumenten eben mit ihren Entscheidungen für Angebot und Nachfrage sorgen."
Bezogen auf die Organisation eines Staatswesens hieße das: Bürgerinnen und Bürger entscheiden nicht per Wahl über die Entwicklung ihrer Gemeinschaft, sondern wählen unter vielen Angeboten die Gesellschaft aus, die ihren Bedürfnissen entspricht – die Nachfrage bestimmt also das Angebot. Eine attraktive Vorstellung für viele Menschen, die mit dem existierenden demokratischen System hadern, so Plehwe: "Viele haben an der Demokratie was auszusetzen, aber wenige wissen etwas Besseres. Und wenn dort praktisch mit der Konsumentenfreiheit ein radikales, antidemokratisches, angeblich viel demokratischeres Gemeinwesen bestimmt wird, dann ist es natürlich ein Angebot sozusagen an einer radikalen Alternative auch. Und die Konkretisierung, die Umsetzung in diesen Privatstädten, die wird ja auch im Kern auch genauso verkauft. Also: Die Demokratie löst nicht unsere Probleme, sondern wir müssen sie quasi abschaffen, um die Probleme zu lösen."

Privatstadt Próspera auf der Karibikinsel Roatán

Auf der Karibikinsel Roatán im Norden von Honduras wollen internationale Investoren den Beweis antreten, dass das Konzept funktioniert. Sie sind dabei, die Privatstadt Próspera zu bauen - eines von drei Projekten, die derzeit in Honduras entstehen. Titus Gebel, der deutsche Jurist und Buchautor, ist einer der Investoren. Das beauftragte Unternehmen, es heißt Honduras Próspera Inc., ist US-amerikanisch. In der Nähe des Dorfes Crawfish Rock auf der Insel Roatán hat es ein Stück Land gekauft.
Ein kurzes Werbevideo des Unternehmens auf Twitter zeigt: Es entstehen schicke Apartments und Büros, Start-Ups etwa aus der Finanz- oder Biotechnologiebranche sind schon da, und es sollen noch mehr werden. Rund 600 Menschen und 100 Unternehmen sollen sich bereits für einen Platz in der Privatstadt registriert haben, bewohnt wird das Areal jedoch noch nicht.
Próspera wirbt mit niedrigen Steuern – und der Aussicht, Unternehmen schnell und unkompliziert gründen zu können. Die reine "Privatstadt"-Lehre sieht Titus Gebel hier jedoch nicht umgesetzt. Geleitet werde die Stadt von einem technischen Sekretär, der die Regeln ändern könne. Außerdem gibt es eine Art Stadtrat, der nicht nur vom Betreiber der Stadt, sondern auch von deren Bewohnern bestimmt wird - und das abhängig von der Größe des jeweiligen Landbesitzes. Ein gewisses Maß an Mitbestimmung also.
Die honduranische Präsidentin Xiomara Castro hält eine Pressekonferenz im August 2022
Seit dem 27. Januar 2022 ist Xiomara Castro Präsidentin von Honduras (picture alliance / AA / Jorge Cabrera)

Neue Präsidentin will die „ZEDE“ abschaffen

Soweit Próspera – wie es erdacht und bereits entwickelt wurde. Veränderungen in der Politik aber scheinen dem ganzen jetzt ein Ende zu bereiten. Der Grund: Seit Ende Januar ist die Linke Xiomara Castro Präsidentin von Honduras. Sie hatte die Abschaffung der „ZEDE“ zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs gemacht. Für sie sind besagte "Zonen" nichts anderes als der Ausverkauf staatlicher Souveränität. Sie stehen für Eingriffe von außen, für wirtschaftliche, kolonialistische Abhängigkeit. Der langjährige "ZEDE"-Kritiker Fernando García ist unter der neuen Präsidentin zum offiziellen Regierungskommissar berufen worden. Er soll die umstrittenen "Zonen" jetzt abwickeln.
"Am 21. April habe ich vor dem honduranischen Parlament gesprochen, um zu erklären, worum es sich bei den sogenannten 'Zonen' handelt und warum das ‚ZEDE‘-Gesetz und die damit einhergehenden Verfassungsänderungen von Anfang an verfassungswidrig waren. Sie haben von Anfang an gegen Artikel in der Verfassung verstoßen – Artikel, die unveränderlich sind."
Die Abgeordneten hoben das Gesetz daraufhin einstimmig auf, auch die Verfassungsänderungen sollen rückgängig gemacht werden. Prompte Reaktionen kamen aus den USA, deren Interessen die Politik in Zentralamerika seit Jahrzehnten maßgeblich mitbestimmen. Das US-Außenministerium kritisierte die Entscheidung des Parlaments in einem Bericht zum Investitionsklima in Honduras und sieht "die Bedenken zur Rechtssicherheit im Land befeuert". Und auch der Betreiber der Privatstadt Próspera lässt sich von der neuen Gesetzeslage nicht abschrecken und hofft auf eine schnelle Einigung mit der honduranischen Regierung. Er droht mit einer Schadensersatzklage vor einem internationalen Schiedsgericht auf Grundlage des zentralamerikanischen Freihandelsvertrages CAFTA.
Luisa Connor ist deshalb verunsichert. Sie ist die Gemeinderatspräsidentin von Crawfish Rock, dem Inseldorf, das direkt an Próspera angrenzt. "Jetzt lehnen sich alle zurück. Sie meinen, dass das Gesetz ja jetzt gekippt wurde. Aber ich habe ihnen gesagt: Die Gesetzesänderung ist noch nicht bestätigt, erst muss die Verfassung geändert werden. Wir dürfen uns also noch nicht darauf verlassen, müssen auf alles vorbereitet sein."
Sollte Próspera also bleiben und weiterwachsen, dann fürchtet Connor im Dorf Enteignungen. Tatsächlich waren im „ZEDE“-Gesetz mögliche Enteignungen nur durch den honduranischen Staat vorgesehen, der Betreiber hat sich von dieser Möglichkeit wiederholt distanziert. Doch das Vertrauen in die Investoren hat die Gemeinderatspräsidentin längst verloren. "Weil, wenn das Parlament ein Gesetz verabschiedet, dann müssen sich doch alle daranhalten! Aber in ihrer Arroganz machen sie einfach weiter mit ihren Bauarbeiten."

Trotz fehlender Gesetzesgrundlage wird in Próspera weitergebaut

Tatsächlich wird in Próspera weiter gebaut - trotz der mittlerweile fehlenden Gesetzesgrundlage. Der Betreiber beruft sich auf seinen Bestandsschutz. Außerdem findet er, dass die ablehnende Haltung der Gemeinderatspräsidentin die wirkliche Stimmung im Dorf nicht widerspiegele. Schließlich sei Próspera ein sehr wichtiger Arbeitgeber in Crawfish Rock. Von solchen Privatstädten würden am Ende alle profitieren, behauptet auch der deutsche Jurist Titus Gebel.
In seinem Buch schreibt er: "Wenn zu den heutigen Staaten zahlreiche Freie Privatstädte hinzukommen, besteht ein gesunder Wettbewerb, um alle Gemeinwesen zu zwingen, gewisse Mindeststandards zu Gunsten ihrer Bürger einzuhalten. Denn in einer solchen Welt herrscht ein großer Wettbewerb um die Bürger. Dieser wird einen Anstieg der Qualität der Staatsdienstleistungen bei gleichzeitigem Absinken der Preise bewirken, wie das in anderen Märkten auch der Fall ist. (…) Der 'Staatsbürger' ist auf einmal umworbener Kunde, der jederzeit den Markt wechseln kann."
Schließlich bleibt er laut Gebel nur so lange Mitglied, wie es ihm gefällt. Entdeckt er ein besseres Angebot, wechselt er den Anbieter. Der Kampf um den Kunden auf dem Marktplatz - die Geografin Sarah Moser von der kanadischen McGill University hält das für eine Illusion:
"Ich denke, eines der größten Probleme der libertären Bewegung ist, dass sie einen bestimmten Typ Mann mit utopischen Vorstellungen anzieht. Es ist eine Bewegung, die von jüngeren Männern dominiert wird, die vielleicht noch nicht ganz verstanden haben, was es bedeutet, in einer Gesellschaft mit Menschen zusammenzuleben, die anders sind als sie selbst. Menschen, die vielleicht Behinderungen haben, die nicht wegziehen können, weil ihre Krankenversicherung sie an einen bestimmten Ort bindet oder weil sie familiäre Verpflichtungen haben, weil sie sich etwa um ihre Eltern oder ihre Kinder kümmern müssen, oder weil sie Rentner sind, die in Armut leben. Das ist doch die Realität der Welt, in der wir leben, und ich denke, die Libertären entwickeln oft Konzepte für eine Realität, die sie sich erträumen."
Der Politikwissenschaftler Dieter Plehwe sieht das ähnlich. Er verweist auf einen weiteren Sachverhalt, der mit dem Konzept "Privatstadt" einhergeht: die Abschottung vom Rest der Welt. "Die ganze Dezentralisierungslogik, die in einer radikalen Form von diesen anarcho-libertären Kräften vertreten wird, stellt die Frage nie, wie gesellschaftliche Reformprozesse jenseits einer sozusagen kleinen Einheit dann verlaufen, sondern das ist für die gar nicht interessant, weil die sind ja happy damit, dass es eben nur auf der lokalen Ebene von der betroffenen Community dann genau so organisiert wird, und andere machen halt sozusagen ihr anderes Ding."
Eine Logik, die schwer vereinbar scheint mit der Suche nach Antworten auf die großen, drängenden Fragen der Gegenwart: Wie soll dem Klimawandel begegnet werden? Wie dem Hunger und der Armut weltweit? Fragen, die gerade ein Land wie Honduras auch in Zukunft beschäftigen werden.