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Projekt von Journalistenschule
Die Lehren aus Halle und Hanau

Innerhalb nur weniger Monate gab es in Halle und Hanau Anschläge mit rechtsextremem Hintergrund. Für ein Onlineprojekt haben sich nun Betroffene und Journalistinnen zum Gespräch getroffen. Ein Ergebnis: Noch immer gehen viele Medien nicht angemessen mit solchen extremen Ereignissen um.

Von Michael Borgers | 21.07.2020
Polizisten und Journalisten stehen vor dem Landgericht Magdeburg, im Vordergrund eine Reporterin und ein Kameramann.
Großes Medieninteresse auch beim ersten Prozesstag gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle. (picture alliance/Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa)
"Hallo!", "Hallo!", "Vielleicht sage ich Ihnen kurz, wer ich bin. Mein Name ist Yvonne Backhaus."
Backhaus ist stellvertretende Chefredakteurin beim Hanauer Anzeiger. Ihr gegenüber an einem weißen Tisch in einem schmucklosen Raum: Armin Kurtović, der gleich zu Beginn des Gesprächs betont:
"Ich bin in Deutschland geboren. Ich bin hier aufgewachsen, ich bin hier zur Schule gegangen. Meine Kinder sind auch hier geboren."
Vier Kinder, von denen eines nicht mehr lebt: Hamza Kurtović, einer von insgesamt zehn Männern und Frauen, die am 19. Februar im hessischen Hanau von einem Rassisten getötet wurden.
In dem Austausch mit der Journalistin beschreibt Vater Armin Kurtović, wie er die darauffolgenden Tage erlebt hat – und dabei die Arbeit einiger Medien:
"Dann kommt einer, bringt eine Zeitung mit und dann guckt man und man weiß wirklich nicht was da …, dass die Opfer da dann noch als Kriminelle dargestellt werden, das ist..."
"Haben Sie denn Journalisten mal direkt angesprochen?"
"Ich habe den Chefredakteur der Bild-Zeitung angerufen und habe ihn so zusammengestaucht. Und nicht nur ihn."
Rassismus – und die Rolle von Medien
Kurtović ist noch immer wütend, das wird deutlich im Laufe des weiteren Gesprächs: Er prangert Rassismus in Deutschland an – und macht Medien und ihre Berichterstattung mit dafür verantwortlich.
"Jahrelang, die letzten Jahre: ‚Shisha-Bar‘, ‚Clan-Kriminalität‘, ‚Migranten‘. Das ist bei den Menschen schon so tief im Gehirn drin, dass alles, was Shisha-Bar ist, kriminell ist. Da muss was Kriminelles drin sein."
Der Vater und die Journalistin sprechen sich zum ersten Mal direkt, einige Minuten des Austauschs sind nun online zu sehen. Das Video ist Teil von #imgespräch, einem Multimediaprojekt der Deutschen Journalistenschule, DJS, in München und des Mediendienstes Integration, einer Initiative, die Medienschaffenden helfen will, richtig über Migrationsthemen zu berichten.
Armin Kurtović und Liane Kurtović, die Eltern von Hamza Kurtović, einem der Opfer des Anschlags von Hanau
Armin Kurtović und Liane Kurtović, die Eltern von Hamza Kurtović, einem der Opfer des Anschlags von Hanau (picture alliance/Arne Dedert/dpa)
Journalismus nicht an den Pranger stellen
Ein anderer Journalismus – auch bei #imgespräch ist das das Ziel: Es gehe darum, "die Qualität der Berichterstattung über Hassverbrechen nachhaltig zu verbessern", betonte Henriette Löwisch, Leiterin der DJS, zum Start des Projekts. Die beteiligten Schüler hätten dabei viel gelernt, so Löwisch. Das bestätigt auch Marlene Knobloch, Schülerin an der DJS:
"Vorrangig, was alles schief lief bisher, auf vielen Ebenen. (…) Auch was Begriffe angeht, die immer noch kursieren. Dass man immer noch von Ausländern spricht, wenn es eigentlich um deutsche Staatsangehörige geht."
Etwas, das sie so nicht erwartet habe. Doch es gehe bei dem Projekt nicht darum, den Journalismus und seine Beteiligten an den Pranger zu stellen:
"Das wollen wir alle nicht, sondern es soll eher konstruktiv sein, dass wir das in Zukunft alle besser machen."
In diesem Sinne finden sich auf der Seite auch Tipps für die Recherche, den Kontakt mit Betroffenen und das Vorgehen in der Berichterstattung
Großer Einfluss, große Verantwortung
"Es geht um Präzision im Journalismus"
Das Netzwerk Neue Deutsche Medienmacher hat die Berichterstattung über den Anschlag von Hanau gelobt. Es sei viel schneller als sonst von "Rassismus" und nicht mehr von "Fremdenfeindlichkeit" die Rede gewesen, sagte Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz im Dlf.
Ein zweites Video zeigt die Begegnung des Zeit-Journalisten Martin Machowecz mit Max Privorozki, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle. Die beiden kannten sich bereits vorher. Machowecz gehörte zu den Journalisten, die über den Anschlag auf die Synagoge in Halle berichtet haben – und stellt heute fest.
"Ich hatte damals schon an den ersten Tagen durchaus so ein bisschen das Gefühl, dass Sie da ganz schön bedrängt sind, weil da so viele Journalisten waren, weil da so viel Aufmerksamkeit auf diesem Anschlag und auf diesem fürchterlichen Tag war, dass man nur Respekt haben kann, wie Sie das damals durchgehalten haben."
Er habe keine andere Wahl gehabt, als sich den Fragen zu stellen, erinnert sich Privorozki. Die Erfahrungen, die er dabei gemacht hat: nicht immer positiv.
"Es gab ein paar Beispiele: Journalisten haben versucht zu stören, Sabbat zu feiern, weil die wollten unbedingt ein Interview mit mir machen."
"Die große Mehrheit findet dieses Thema eher schmutzig"
Viele Medien würden rechte Kreise seit Jahren vernachlässigen, moniert die SZ-Journalistin Annette Ramelsberger. Nach Anschlägen wie dem in Hanau müssten sie außerdem viel mehr über die Opfer berichten, forderte sie im Dlf.
Was er sich wünsche, will sein Gegenüber wissen. Medien müssten noch klarer trennen zwischen einfacher Meldung und eigener Meinung, antwortet Privorozki.
"Es ist ganz wichtig, dass Journalisten verstehen, dass sie einen großen Einfluss haben."
Und es müsse darum gehen, diesen Einfluss vorsichtig zu nutzen, unterstreicht er. Welch wichtige Rolle Medien für das Gelingen einer Gesellschaft haben, wird auch im Gespräch mit Armin Kurtović aus Hanau deutlich, für den klar ist:
"Die Medien sind diejenigen als Leitfaden der Moral, sag ich jetzt mal. Jeder guckt Fernsehen, Nachrichten. Die Presse ist dafür da, der Journalismus, die Menschen, die Öffentlichkeit zu informieren. Oder sehen Sie das anders?"
Nein, sagt Journalistin Yvonne Backhaus – und wünscht sich, im Austausch zu bleiben.