
"Wir wollen Seenotrettung, wir wollen Solidarität. Und wenn Leute dann hier ankommen, wollen wir aber auch, dass ihnen Rechte zugesprochen werden, dass sie nicht entrechtet werden – wie wir es in diesem Vorschlag ja ganz deutlich sehen", fordert die Aktivistin Laura Kettel vom Bündnis Seebrücke, das zu dem Protest aufgerufen hat.
Der Vorschlag, von dem sie spricht, ist der Entwurf zum sogenannten "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" aus der Feder des Innenministeriums. Am 17. April soll er das Kabinett passieren, um danach im Bundestag verhandelt zu werden. Das Ziel des Entwurfs: Seehofer will die Anzahl der Abschiebungen erhöhen. Mit scharfer Rhetorik hat sich der CSU-Politiker in den vergangenen Jahren wie kein anderes Regierungsmitglied zum Migrations-Kritiker, wenn nicht –Gegner, stilisiert:
"Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war", erklärte Seehofer erst im vergangenen Sommer und machte so deutlich, dass das Thema Abschiebung für ihn nicht nur ein Zuständigkeitsbereich in seinem Ministerium ist, sondern offenbar auch ein persönliches Anliegen für ihn als Minister und CSU-Mann.

"Wir haben einige Hunderttausend, die zurückgeführt werden müssten. So, nur dass man die Größenordnung kennt und den Auftrag, diese Politik fortzuführen", meint Seehofer. Genau gesagt waren es am Ende vergangenen Jahres 235.957 ausreisepflichtige Personen. Doch nur etwa 55.000 von ihnen sind vollziehbar ausreisepflichtig und dürfen somit tatsächlich abgeschoben werden. Die weit überwiegende Mehrheit, nämlich etwa 180.000 Menschen, werden in Deutschland geduldet. Das heißt: Sie haben zwar kein Recht auf Asyl zugesprochen bekommen und auch keinen anderen Aufenthaltstitel. Dennoch steht ihrer Abschiebung ein sogenanntes Abschiebehindernis entgegen – sie dürfen also gerade nicht abgeschoben werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Vielen von ihnen droht in ihrem Heimatland politische Verfolgung, andere dürfen aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Seehofers Entwurf aber zielt auf eine andere Ursache ab:
"Die Sicherheitsbehörden können nichts dafür, wenn wir Rechtsgrundlagen haben, die ermöglichen, dass eine Person sich 14 Identitäten zulegt in Deutschland. Da muss ich uns als Politiker fragen: Haben wir die richtigen Rechtsgrundlagen, damit die Identität zweifelsfrei festgestellt werden kann? Und da muss ich sagen: Da hatten die Sicherheitsbehörden die Grundlagen eben nicht. Deshalb haben wir jetzt neue gesetzliche Grundlagen in den Bundestag eingebracht."

"Auf den ersten Blick mag das natürlich nachvollziehbar erscheinen, dass man sagt, ok, man muss alles Zumutbare gemacht haben, wie zur Botschaft zu gehen. Aber nicht alle Herkunftsstaaten haben ein vergleichbares Personenstandswesen wie Deutschland. Beispielsweise wird immer wieder angeführt Afghanistan: Da reicht es oftmals nicht, dass die Person zur Botschaft hingegangen ist und den Pass beantragt hat, denn sie muss ihr Identitätsdokument, die sogenannte Tazkira, erstmal in Afghanistan beglaubigen lassen, dort mit einer Tazkira von einem Verwandten väterlicherseits weitere Nachweise vorlegen. Also, das ist oft gar nicht so leicht, wie man sich das hier vorstellt."
Wer nach Ansicht der deutschen Behörden nicht genügend daran mitgewirkt hat, die eigene Identität aufzuklären, der soll künftig härter sanktioniert werden. Die Person soll dann besonders gekennzeichnet werden: In ihrem Aufenthaltspapier soll der Hinweis "Duldung für Person mit ungeklärter Identität" vermerkt sein. Darauf folgen Konsequenzen: ein Arbeitsverbot, gekürzte Sozialleistungen und das neue Rechtsinstitut der sogenannten Mitwirkungshaft. Das heißt: Verpasst eine Person einen Termin zur Vorbereitung der Abschiebung, also beispielsweise einen Termin bei einem Arzt, der feststellen soll, ob die Person reisefähig ist, kann sie inhaftiert werden.
"Und zwar sollen hier Menschen bis zu 14 Tage in Haft genommen werden können. Nach dem Gesetzeswortlaut selbst dann, wenn sie einmal einen Termin verpasst haben. Das ist natürlich völlig unverhältnismäßig. Man darf Haft nur als allerletztes Mittel überhaupt anwenden und diese Verhältnismäßigkeit ist hier überhaupt nicht mehr gegeben", führt Bellinda Bartolucci von Pro Asyl aus. Nicht nur von Seiten der Flüchtlingsorganisationen muss sich die Union mit Kritik an dem Entwurf auseinandersetzen. Er hatte bei mehreren Länder-Justizministern ungewöhnlich großen Protest ausgelöst. In einem Brief an Innenminister Seehofer machten die Justizminister von SPD und Grünen aus den Bundesländern ihrem Ärger Luft. Sie bezeichnen die Vorlage darin als – Zitat – "insgesamt undifferenziert und in weiten Teilen verfassungsrechtlich und rechtspolitisch bedenklich."
"Abschiebehäftlinge sind besondere Personen, nämlich, außer, dass sie nicht freiwillig ausreisen wollen, haben die ansonsten nichts gemacht. Das sind keine Strafgefangenen im eigentlichen Sinne und deshalb kann man die nicht in Haftanstalten unter Bedingungen unterbringen, unter denen Strafgefangene untergebracht werden. Das sieht die Europäische Rechtsprechung vor und deshalb wenden wir uns gegen diesen Vorschlag ganz vehement."
Denn in Abschiebehaft können sogar Familien mit Kindern genommen werden. Der Staat nutzt diese Haft vor allem, um zu verhindern, dass sie vor der Abschiebung untertauchen. In Abschiebehaft kommen also nur Personen, die abgeschoben werden dürfen. Das heißt: Hier ist die Identität der Menschen geklärt. Ihnen wird einzig vorgeworfen, dass sie nicht freiwillig ausreisen. 2014 hat der Europäische Gerichtshof deshalb entschieden, dass Abschiebehäftlinge nicht in den gleichen Gefängnissen wie Straftäter untergebracht werden dürfen. Mathias Middelberg von der CDU kann die Kritik der Justizminister nicht verstehen.
"Jedes Bundesland kann ja selbst entscheiden, ob es diese Möglichkeit, die der Bundesgesetzgeber einräumt, überhaupt nutzt. Das heißt, wir zwingen kein Land dazu. Nur, die Justizminister und Innenminister müssen sich auch fragen: Nutzen wir alle Möglichkeiten, um wirklich auch sicherzustellen, dass die Menschen, die hier kein Bleiberecht haben, unser Land auch verlassen."
Fakt ist aber auch: Die Gefängnisse der Bundesländer sind voll. Selbst wenn die Länder wollten, derzeit könnten sie Abschiebehäftlinge schon aus Kapazitätsgründen nicht in Gefängnissen unterbringen. Und so lässt sich vermuten, dass Innenminister Seehofer durch seinen rechtlich bedenklichen Vorschlag vor allem Druck auf die Länder ausüben will, mehr Abschiebehafteinrichtungen zu schaffen.
"Es ist klar, dass es nicht genug Plätze gibt, um mehr Leute in Abschiebehaft zu nehmen. Da müssen die Bundesländer ran. Hamburg und Schleswig-Holstein haben vereinbart, gemeinsam eine Einrichtung schaffen zu wollen. Das ist der richtige Weg, solche konkreten Einrichtungen zu schaffen. Alles andere sind Scheinlösungen, die am Ende zu großen Problemen führen."

Bereits vor Beginn seiner Amtszeit hatte Horst Seehofer das Thema Migration in den Mittelpunkt gestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass Horst Seehofer Vorschläge macht, die nicht nur auf politische, sondern auch auf grundlegende rechtliche Bedenken stoßen. 2017 im Bundestagswahlkampf war es diese Forderung: "Wir werden zu einer Begrenzung und auch zu einer Obergrenze kommen. Und wir garantieren der Bevölkerung für den Fall, dass wir uns an der Regierung beteiligen können, dass wir dafür sorgen, dass dies in der Regierung Einzug hält."
"Es ist schon zu beobachten, dass Horst Seehofer jetzt tatsächlich eine ganze Menge Gesetzentwürfe auf den Tisch wirft, die in hohem Maße bedenklich sind, und wo offenkundig ist, dass die Taktik ist, die SPD-Seite in der Bundesregierung mit so vielen Sachen zu bombardieren, dass irgendwas schon durchkommen wird."
So ging es diesmal in der Ressortabstimmung zwischen dem CSU-geführten Innenministerium und dem SPD-geführten Justizministerium unter Katharina Barley offenbar vor allem darum, die größten Zumutungen aus Seehofers Entwurf herauszustreichen. Denn sein ursprünglicher Entwurf sah noch deutlich schärfere Regelungen vor: Beispielsweise eine Regelung, nach der sich unter anderem Rechtsanwälte, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und Journalisten strafbar machen würden, wenn sie über bevorstehende Abschiebungen informieren.
"Die Einreise und auch die Ausreise sind für uns Teil derselben Medaille. Wir müssen die Einreise vernünftig regeln und das tun wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, aber wir müssen auch die Ausreise von Menschen sicherstellen, die hier kein Bleiberecht haben."
… das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, ein zentrales Projekt der SPD, liegt schon einige Zeit auf dem Verhandlungstisch. Nun will die Union im Bundestag erst zustimmen, wenn die SPD im Gegenzug ihr Ja zum "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" gibt. In der SPD wurde dieses Angebot zum Teil als Erpressung bezeichnet. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh: "Es ist nicht der Zeitpunkt, sich unter Druck setzen zu lassen und falsche Kompromisse zu schließen. Deshalb ist so eine einfache Verrechnung schlicht nicht gegeben."

"Und je größer die Gruppe ist, desto gefährlicher ist das. Wenn das eine sehr geringe Gruppe ist und es Möglichkeiten gibt auch diesem Zustand zu entkommen, ist das noch hinnehmbar. Wenn andererseits für andere Geduldete Chancen da sind, dauerhaft hier auch bleiben können, wenn sie entsprechend hier arbeiten oder in Ausbildung sind", sagt der SPD-Politiker Helge Lindh. Chancen für die Einen, Sanktionen für die Anderen ist demnach das, worauf es am Ende hinauslaufen wird. Ob sich dadurch aber die Zahl der Abschiebungen erhöhen wird, lässt sich nicht prognostizieren. Das Bundesinnenministerium jedenfalls setzt nicht allein auf das Geordnete-Rückkehr-Gesetz - auch sogenannte freiwillige Ausreisen werden beworben.
Im Herbst machte eine Plakatkampagne des Ministeriums Negativschlagzeilen: "Deine Zukunft. Dein Land. Jetzt", war auf Plakatwänden in U-Bahnhöfen zu lesen und daneben die Flaggen unter anderem von Afghanistan oder der Türkei. Nicht nur Asylantragsteller und Flüchtlinge, auch viele Migranten, die schon lange in Deutschland lebten, fühlten sich angesprochen. Das Ministerium erntete daraufhin einen Shitstorm in den sozialen Medien, viele Plakate wurden mit Farbbeuteln beworfen. Und die Zahl der freiwilligen Rückkehrer – sie sank zuletzt ebenso wie die Zahl der Abschiebungen.