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Protest gegen Migrations-Deal
Wie Seehofers Abschiebeplan verhandelt wird

Mehr Sanktionen und schärfere Haftregeln schlägt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in seinem Entwurf zum sogenannten "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" vor. Die CDU-Justizminister haben rechtliche Bedenken. Doch das Kabinett wird den Vorschlag wohl beschließen. Denn er ist Teil eines Deals.

Von Ann-Kathrin Jeske | 16.04.2019
Ein Graffiti mit dem Text "Abschiebung = Mord" ist an einer Weinbergsmauer in Würzberg, Bayern zu sehen. Die Kriminalpolizei ermittelt gegen die unbekannten Täter, die in einer Pressemitteilung ihre Aktion begründeten.
Graffiti gegen Abschiebung am 27.03.2019 in Würzberg, Bayern, (dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
"Horst du Kartoffel" und "Home is where the Horst is not" steht auf den Plakaten der Demonstranten. In der gesamten Republik demonstrieren an diesem Samstag Ende März mehrere tausend Menschen unter dem Motto "Seehofer wegbassen" - gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine Politik.
"Wir wollen Seenotrettung, wir wollen Solidarität. Und wenn Leute dann hier ankommen, wollen wir aber auch, dass ihnen Rechte zugesprochen werden, dass sie nicht entrechtet werden – wie wir es in diesem Vorschlag ja ganz deutlich sehen", fordert die Aktivistin Laura Kettel vom Bündnis Seebrücke, das zu dem Protest aufgerufen hat.
Der Vorschlag, von dem sie spricht, ist der Entwurf zum sogenannten "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" aus der Feder des Innenministeriums. Am 17. April soll er das Kabinett passieren, um danach im Bundestag verhandelt zu werden. Das Ziel des Entwurfs: Seehofer will die Anzahl der Abschiebungen erhöhen. Mit scharfer Rhetorik hat sich der CSU-Politiker in den vergangenen Jahren wie kein anderes Regierungsmitglied zum Migrations-Kritiker, wenn nicht –Gegner, stilisiert:
"Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war", erklärte Seehofer erst im vergangenen Sommer und machte so deutlich, dass das Thema Abschiebung für ihn nicht nur ein Zuständigkeitsbereich in seinem Ministerium ist, sondern offenbar auch ein persönliches Anliegen für ihn als Minister und CSU-Mann.
Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, auf der Regierungsbank
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will erreichen, dass Deutschland mehr abschiebt (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
Gemessen an der Zahl der Abschiebungen fällt seine Bilanz nach einem Jahr als Innenminister zunächst einmal negativ aus: Die Zahlen sind rückläufig. Während im Jahr 2017 fast 24 000 Menschen aus Deutschland abgeschoben wurden, waren es 2018 rund 4000 Menschen weniger. Daher soll nun das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" beschlossen werden, um mehr Menschen abzuschieben.
"Wir haben einige Hunderttausend, die zurückgeführt werden müssten. So, nur dass man die Größenordnung kennt und den Auftrag, diese Politik fortzuführen", meint Seehofer. Genau gesagt waren es am Ende vergangenen Jahres 235.957 ausreisepflichtige Personen. Doch nur etwa 55.000 von ihnen sind vollziehbar ausreisepflichtig und dürfen somit tatsächlich abgeschoben werden. Die weit überwiegende Mehrheit, nämlich etwa 180.000 Menschen, werden in Deutschland geduldet. Das heißt: Sie haben zwar kein Recht auf Asyl zugesprochen bekommen und auch keinen anderen Aufenthaltstitel. Dennoch steht ihrer Abschiebung ein sogenanntes Abschiebehindernis entgegen – sie dürfen also gerade nicht abgeschoben werden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Vielen von ihnen droht in ihrem Heimatland politische Verfolgung, andere dürfen aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Seehofers Entwurf aber zielt auf eine andere Ursache ab:
"Die Sicherheitsbehörden können nichts dafür, wenn wir Rechtsgrundlagen haben, die ermöglichen, dass eine Person sich 14 Identitäten zulegt in Deutschland. Da muss ich uns als Politiker fragen: Haben wir die richtigen Rechtsgrundlagen, damit die Identität zweifelsfrei festgestellt werden kann? Und da muss ich sagen: Da hatten die Sicherheitsbehörden die Grundlagen eben nicht. Deshalb haben wir jetzt neue gesetzliche Grundlagen in den Bundestag eingebracht."
Personen sollen schneller abgeschoben werden können
Dass Personen den Behörden gegenüber unterschiedliche Identitäten angeben, ist eher die Seltenheit. Häufiger ist der Fall der ungeklärten Identität aufgrund eines fehlenden Passes. In beiden Fällen ist die ungeklärte Identität ein Abschiebehindernis. Dahinter steckt eine einfache Erwägung: Wenn der Staat nicht genau weiß, aus welchem Land eine Person kommt, kann er diese auch nicht abschieben. Nur, wenn alle Personalien sicher feststehen und die Person einen gültigen Pass hat, darf abgeschoben werden. An diesen Punkt will man mit dem neuen Gesetz schneller kommen, erklärt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mathias Middelberg: "Identitätsklärung ist für uns auch deshalb so wichtig, weil es um das Grundprinzip geht: Ehrlich währt am längsten. Wer ehrlich mit uns umgeht, der soll daraus auch durchaus seine Vorteile haben. Wer uns aber über seine Identität täuscht oder auch bewusst seine Rückkehr hintertreibt, bei dem müssen wir ganz klar sagen: Für dich sind hier die Ampeln auf Rückkehr geschaltet."
Das Bild zeigt Mathias Middelberg (CDU) im Deutschen Bundestag.
Mathias Middelberg (CDU): "Identitätsklärung ist für uns auch deshalb so wichtig, weil es um das Grundprinzip geht: Ehrlich währt am längsten." (dpa / Christophe Gateau)
Denn Middelberg vermutet, dass viele Migranten mit geringer Bleibeperspektive ihre Pässe absichtlich verlieren oder nicht vorlegen, um ein Abschiebehindernis zu schaffen. Häufig aber sind Ursachen für eine ungeklärte Identität banal: ein abgelaufener Pass zum Beispiel. Der Entwurf listet nun einen langen Katalog an Handlungen auf, die eine Behörde von den Migranten verlangen kann. Auch die Pflicht, bei der Botschaft seines Herkunftsstaats einen neuen Pass zu beantragen gehört dazu. Bellinda Bartolucci von Pro Asyl erklärt, warum das in der Praxis schwierig sein kann:
"Auf den ersten Blick mag das natürlich nachvollziehbar erscheinen, dass man sagt, ok, man muss alles Zumutbare gemacht haben, wie zur Botschaft zu gehen. Aber nicht alle Herkunftsstaaten haben ein vergleichbares Personenstandswesen wie Deutschland. Beispielsweise wird immer wieder angeführt Afghanistan: Da reicht es oftmals nicht, dass die Person zur Botschaft hingegangen ist und den Pass beantragt hat, denn sie muss ihr Identitätsdokument, die sogenannte Tazkira, erstmal in Afghanistan beglaubigen lassen, dort mit einer Tazkira von einem Verwandten väterlicherseits weitere Nachweise vorlegen. Also, das ist oft gar nicht so leicht, wie man sich das hier vorstellt."
Wer nach Ansicht der deutschen Behörden nicht genügend daran mitgewirkt hat, die eigene Identität aufzuklären, der soll künftig härter sanktioniert werden. Die Person soll dann besonders gekennzeichnet werden: In ihrem Aufenthaltspapier soll der Hinweis "Duldung für Person mit ungeklärter Identität" vermerkt sein. Darauf folgen Konsequenzen: ein Arbeitsverbot, gekürzte Sozialleistungen und das neue Rechtsinstitut der sogenannten Mitwirkungshaft. Das heißt: Verpasst eine Person einen Termin zur Vorbereitung der Abschiebung, also beispielsweise einen Termin bei einem Arzt, der feststellen soll, ob die Person reisefähig ist, kann sie inhaftiert werden.
"Und zwar sollen hier Menschen bis zu 14 Tage in Haft genommen werden können. Nach dem Gesetzeswortlaut selbst dann, wenn sie einmal einen Termin verpasst haben. Das ist natürlich völlig unverhältnismäßig. Man darf Haft nur als allerletztes Mittel überhaupt anwenden und diese Verhältnismäßigkeit ist hier überhaupt nicht mehr gegeben", führt Bellinda Bartolucci von Pro Asyl aus. Nicht nur von Seiten der Flüchtlingsorganisationen muss sich die Union mit Kritik an dem Entwurf auseinandersetzen. Er hatte bei mehreren Länder-Justizministern ungewöhnlich großen Protest ausgelöst. In einem Brief an Innenminister Seehofer machten die Justizminister von SPD und Grünen aus den Bundesländern ihrem Ärger Luft. Sie bezeichnen die Vorlage darin als – Zitat – "insgesamt undifferenziert und in weiten Teilen verfassungsrechtlich und rechtspolitisch bedenklich."
Kritik sogar von CDU-Justizministern
Und sogar die CDU-Justizminister der Länder haben sich in einem Brief an den Unions-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Ralph Brinkhaus über Seehofers Entwurf massiv beschwert. Sie kritisieren eine neue Regelung zur Abschiebehaft. Bislang müssen Abschiebehäftlinge getrennt von Strafgefangenen untergebracht werden. Dem neuen Vorschlag zufolge könnte sich das ändern. Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann erläutert die Kritik:
"Abschiebehäftlinge sind besondere Personen, nämlich, außer, dass sie nicht freiwillig ausreisen wollen, haben die ansonsten nichts gemacht. Das sind keine Strafgefangenen im eigentlichen Sinne und deshalb kann man die nicht in Haftanstalten unter Bedingungen unterbringen, unter denen Strafgefangene untergebracht werden. Das sieht die Europäische Rechtsprechung vor und deshalb wenden wir uns gegen diesen Vorschlag ganz vehement."
Denn in Abschiebehaft können sogar Familien mit Kindern genommen werden. Der Staat nutzt diese Haft vor allem, um zu verhindern, dass sie vor der Abschiebung untertauchen. In Abschiebehaft kommen also nur Personen, die abgeschoben werden dürfen. Das heißt: Hier ist die Identität der Menschen geklärt. Ihnen wird einzig vorgeworfen, dass sie nicht freiwillig ausreisen. 2014 hat der Europäische Gerichtshof deshalb entschieden, dass Abschiebehäftlinge nicht in den gleichen Gefängnissen wie Straftäter untergebracht werden dürfen. Mathias Middelberg von der CDU kann die Kritik der Justizminister nicht verstehen.
"Jedes Bundesland kann ja selbst entscheiden, ob es diese Möglichkeit, die der Bundesgesetzgeber einräumt, überhaupt nutzt. Das heißt, wir zwingen kein Land dazu. Nur, die Justizminister und Innenminister müssen sich auch fragen: Nutzen wir alle Möglichkeiten, um wirklich auch sicherzustellen, dass die Menschen, die hier kein Bleiberecht haben, unser Land auch verlassen."
Fakt ist aber auch: Die Gefängnisse der Bundesländer sind voll. Selbst wenn die Länder wollten, derzeit könnten sie Abschiebehäftlinge schon aus Kapazitätsgründen nicht in Gefängnissen unterbringen. Und so lässt sich vermuten, dass Innenminister Seehofer durch seinen rechtlich bedenklichen Vorschlag vor allem Druck auf die Länder ausüben will, mehr Abschiebehafteinrichtungen zu schaffen.
Denn tatsächlich gibt es in Deutschland nur rund 500 Plätze für Abschiebehäftlinge. Demgegenüber standen im vergangenen Jahr etwa 7.000 Fälle, in denen die Abschiebung am Tag des Vollzugs scheiterte, ein Teil davon, weil Personen untergetaucht waren. Und dafür macht Seehofer die Länder verantwortlich. Auch der grüne Justizsenator aus Hamburg, Till Steffen, sieht Handlungsbedarf:
"Es ist klar, dass es nicht genug Plätze gibt, um mehr Leute in Abschiebehaft zu nehmen. Da müssen die Bundesländer ran. Hamburg und Schleswig-Holstein haben vereinbart, gemeinsam eine Einrichtung schaffen zu wollen. Das ist der richtige Weg, solche konkreten Einrichtungen zu schaffen. Alles andere sind Scheinlösungen, die am Ende zu großen Problemen führen."
Fraglich, ob Regelung hilft Zahl der Abschiebungen zu erhöhen
Scheinlösungen sind für Till Steffen aber die allermeisten Vorschläge in dem Entwurf zum "Geordnete-Rückkehr-Gesetz". Der Hamburger Justizsenator bezweifelt, dass die Regelungen dazu beitragen könnten, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Denn die Vorhaben würden die Migranten nicht aktiv dabei unterstützen, beispielsweise die Identität zu klären, sondern sie lediglich sanktionieren, wenn die Identität nicht geklärt ist.
Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen), Justizsenator von Hamburg, spricht bei einer Pressekonferenz in den neuen Räumen der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg.
Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) hält die allermeisten Vorschläge des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ für Scheinlösungen (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
"Es geht ja hier gar nicht um die Frage, ob die Personen tatsächlich abgeschoben werden, denn genau das ist ja nicht möglich und weil es nicht möglich ist, muss eine Duldung ausgesprochen werden. Das verschärft ein Problem, dass wir jetzt schon häufig haben: Dass die Leute nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, dass sie aber auch hier nicht ankommen können, also ihnen keine Möglichkeit der Integration gegeben wird. Und solche Leute, die keine Perspektive haben, die haben dann häufig auch sehr große Probleme und machen Probleme."
Bereits vor Beginn seiner Amtszeit hatte Horst Seehofer das Thema Migration in den Mittelpunkt gestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass Horst Seehofer Vorschläge macht, die nicht nur auf politische, sondern auch auf grundlegende rechtliche Bedenken stoßen. 2017 im Bundestagswahlkampf war es diese Forderung: "Wir werden zu einer Begrenzung und auch zu einer Obergrenze kommen. Und wir garantieren der Bevölkerung für den Fall, dass wir uns an der Regierung beteiligen können, dass wir dafür sorgen, dass dies in der Regierung Einzug hält."
In den Koalitionsvertrag hielt das Wort "Obergrenze" aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken am Ende zwar keinen Einzug. Und doch heißt es dort, dass die Migration die Zahl von 180 000 bis 220 000 Personen nicht übersteigen wird. Maximale Forderungen unterstützt mit markigen Worten, die immerhin zu Kompromissen führen – nach diesem Prinzip verfuhr Seehofer schon einige Male: So war es bei den sogenannten Ankerzentren, also zentrale Aufnahmestellen für Asylantragsteller, die aktuell nur in drei von 16 Bundesländern eingerichtet wurden. Und mit seinem Anspruch, Asylantragsteller, die schon in einem anderen EU-Staat registriert sind, an der deutschen Grenze zurückzuweisen.
Der Deal mit der SPD
Weil das gegen Europarecht verstoßen hätte, erwirkte der Innenminister schließlich nur ein bilaterales Abkommen mit Österreich, das solche Zurückweisungen möglich machte. Die Bilanz einige Monate später: Drei Asylsuchende waren aufgrund des Abkommens an der deutschen Grenze abgewiesen worden. Justizsenator Till Steffen beobachtet diese Taktik des Innenministers auch jetzt wieder:
"Es ist schon zu beobachten, dass Horst Seehofer jetzt tatsächlich eine ganze Menge Gesetzentwürfe auf den Tisch wirft, die in hohem Maße bedenklich sind, und wo offenkundig ist, dass die Taktik ist, die SPD-Seite in der Bundesregierung mit so vielen Sachen zu bombardieren, dass irgendwas schon durchkommen wird."
So ging es diesmal in der Ressortabstimmung zwischen dem CSU-geführten Innenministerium und dem SPD-geführten Justizministerium unter Katharina Barley offenbar vor allem darum, die größten Zumutungen aus Seehofers Entwurf herauszustreichen. Denn sein ursprünglicher Entwurf sah noch deutlich schärfere Regelungen vor: Beispielsweise eine Regelung, nach der sich unter anderem Rechtsanwälte, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und Journalisten strafbar machen würden, wenn sie über bevorstehende Abschiebungen informieren.
Jetzt sollen sich nur noch Beamte strafbar machen, wenn sie konkrete Abschiebungen öffentlich machen. Aber: Alle anderen Personen können sich dazu weiterhin wegen Beihilfe und Anstiftung strafbar machen. Bemerkenswert ist deshalb, dass der Entwurf noch vor Ostern, am 17. April, das Kabinett passieren soll. Der Grund zur Eile ist offenbar einem Deal geschuldet, den die Union rasch mit der SPD abwickeln möchte. Mathias Middelberg von der CDU:
"Die Einreise und auch die Ausreise sind für uns Teil derselben Medaille. Wir müssen die Einreise vernünftig regeln und das tun wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, aber wir müssen auch die Ausreise von Menschen sicherstellen, die hier kein Bleiberecht haben."
… das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, ein zentrales Projekt der SPD, liegt schon einige Zeit auf dem Verhandlungstisch. Nun will die Union im Bundestag erst zustimmen, wenn die SPD im Gegenzug ihr Ja zum "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" gibt. In der SPD wurde dieses Angebot zum Teil als Erpressung bezeichnet. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh: "Es ist nicht der Zeitpunkt, sich unter Druck setzen zu lassen und falsche Kompromisse zu schließen. Deshalb ist so eine einfache Verrechnung schlicht nicht gegeben."
Helge Lindh, Bundestagsabgeordneter der SPD-Fraktion, spricht im Bundestag. 
Helge Lindh (SPD) meint, es sei nicht der Zeitpunkt, sich unter Druck setzen zu lassen und falsche Kompromisse zu schließen (dpa / Jens Büttner)
Doch im Kabinett scheint der Deal beschlossene Sache. Denn in den Verhandlungen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz hatte die SPD der Union eine Regelung abgerungen, für die sie schon seit Langem kämpft: den sogenannten Spurwechsel. Gemeint sind folgende Fälle: Asylantragsteller, die abgelehnt werden, aber in Deutschland Arbeit oder eine Ausbildung gefunden haben, sollen nicht abgeschoben werden, sondern bleiben dürfen. Und das soll nach dem Willen der SPD nicht nur für diejenigen gelten, die in der Hochphase der Migration in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, sondern auch für künftige abgelehnte Asylantragsteller.
Das aber will Mathias Middelberg von der CDU verhindern: "Wir wollen jetzt nicht diese Regelung schaffen für die Zukunft. Also jemand, der jetzt als Asylbewerber zu uns kommt, der soll nicht die Erwartung haben: Eigentlich ist es völlig egal, wie das Asylverfahren ausgeht. Ich hab hier zwar gar kein Bleiberecht, aber ich versuche mal einfach eine Arbeit zu kriegen. Wenn wir das so für die Zukunft festschreiben, dann ist das natürlich der Aufruf in alle Welt: Kommt nach Deutschland, macht ein Asylverfahren und nutzt das zur Jobsuche."
Vom Spurwechsel könnten 30.000 Geduldete profitieren
Und so wird es am Ende wohl auf ein Zahlenspiel zwischen den Koalitionären hinauslaufen. Der Anreiz für die SPD sich auf den Deal einzulassen ist dabei groß: Schätzungen zufolge könnten von einem Spurwechsel aktuell rund 30.000 Geduldete profitieren, also auf diesem Weg eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Der Preis, den die Sozialdemokraten für diesen Erfolg zahlen müsste, wären die zuvor aufgezählten Sanktionen aus Seehofers "Geordnete-Rückkehr-Gesetz": Arbeitsverbote, Kürzungen von Sozialleistungen, schärfere Haftregelungen.
"Und je größer die Gruppe ist, desto gefährlicher ist das. Wenn das eine sehr geringe Gruppe ist und es Möglichkeiten gibt auch diesem Zustand zu entkommen, ist das noch hinnehmbar. Wenn andererseits für andere Geduldete Chancen da sind, dauerhaft hier auch bleiben können, wenn sie entsprechend hier arbeiten oder in Ausbildung sind", sagt der SPD-Politiker Helge Lindh. Chancen für die Einen, Sanktionen für die Anderen ist demnach das, worauf es am Ende hinauslaufen wird. Ob sich dadurch aber die Zahl der Abschiebungen erhöhen wird, lässt sich nicht prognostizieren. Das Bundesinnenministerium jedenfalls setzt nicht allein auf das Geordnete-Rückkehr-Gesetz - auch sogenannte freiwillige Ausreisen werden beworben.
Im Herbst machte eine Plakatkampagne des Ministeriums Negativschlagzeilen: "Deine Zukunft. Dein Land. Jetzt", war auf Plakatwänden in U-Bahnhöfen zu lesen und daneben die Flaggen unter anderem von Afghanistan oder der Türkei. Nicht nur Asylantragsteller und Flüchtlinge, auch viele Migranten, die schon lange in Deutschland lebten, fühlten sich angesprochen. Das Ministerium erntete daraufhin einen Shitstorm in den sozialen Medien, viele Plakate wurden mit Farbbeuteln beworfen. Und die Zahl der freiwilligen Rückkehrer – sie sank zuletzt ebenso wie die Zahl der Abschiebungen.