Archiv


Psychische Probleme an Schulen

Peter Lange: Eine amerikanische Spruchweisheit sagt: Wenn es dir gut geht, brauchst du einen Therapeuten, wenn es dir schlecht geht, brauchst du einen Rechtsanwalt. Mit diesem Bonmot wollten seine Erfinder ein wenig die Luxusprobleme in der Luxusgesellschaft aufspießen, aber die Problemlage ist heute vielfach anders: Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter seelischen Störungen. Das wiederum hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie Psychotherapie und Nervenheilkunde bewogen, in ihren Jahreskongress einen speziellen Kinderkongress zu integrieren. Dabei konnten sich Lehrer und Kinder bei Fachleuten über Prüfungsangst, Alkoholkonsum und Mobbing informieren. Am Telefon ist nun Ulrich Voderholzer, er ist Psychiater und Psychotherapeut an der Uni Freiburg und einer der Organisatoren des Kongresses in Berlin. Herr Voderholzer, wie war denn die Beteiligung an diesem Kinderkongress?

Moderation: Peter Lange |
    Ulrich Voderholzer: Die war super. Ich war total erstaunt, wie viele Schüler mit großem Interesse gekommen sind und sich auch vorbereitet hatten, vorher diskutiert hatten, ihre Ergebnisse präsentiert hatten. Es war nicht so, dass die das als völlig uncool empfunden haben, über solche Themen zu reden. Da war ein ganz großes Interesse. Ich war begeistert, wie die sich damit auseinandergesetzt haben mit den Problemen.

    Lange: Sehen Sie das als Beleg dafür, dass auch immer mehr Kinder und Jugendliche Hilfe brauchen?

    Voderholzer: Die Probleme sind schon relativ groß, zum Beispiel Mobbing ist total verbreitet an den Schulen und mit dem Alkohol haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Einstiegsalter zu trinken immer niedriger geworden ist und immer häufiger Alkoholexzesse vorkommen. In der letzten Woche gab es eine Zeitungsmeldung, dass ein 13-Jähriger sich zu Tode gesoffen hat, was dramatisch ist. Es kommt immer häufiger das Komatrinken zum Beispiel vor, dass also Jugendliche bewusstlos ins Krankenhaus gebracht werden müssen.

    Lange: Stimmt denn die pauschale These, dass die seelischen Störungen und Erkrankungen zunehmen oder traut man sich damit heute eher zum Therapeuten oder Psychiater als früher?

    Voderholzer: Seelische Erkrankungen haben zugenommen. Das gilt nicht für alle, aber zum Beispiel für die Suchterkrankungen gibt es eine Zunahme. Der Konsum von Cannabis, von Alkohol hat immer mehr zugenommen. Auch depressive Erkrankungen haben bedauerlicherweise eher zugenommen. Das mag verschiedenen Gründe haben, der familiäre Zusammenhalt ist geringer geworden, der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft scheint immer größer zu werden. Die Ängste, eine Arbeitstelle zu kriegen, Prüfungsangst, so etwas scheint eher zugenommen zu haben. Man traut sich heute immer noch nicht, so wie wir es wünschen würden, sich solchen Problemen zu stellen oder zum Arzt zu gehen. Die Hemmschwelle ist immer noch groß, weil seelische Erkrankungen bei vielen einfach nicht als Krankheiten gelten, sondern als Schwäche, als Schicksal, wo man eh nichts tun kann. Dagegen wollen wir natürlich ankämpfen.

    Lange: Wäre es zu weit gegangen, zu sagen, dass im Grunde die Gesellschaft, so wie sie sich im Moment präsentiert mit all den Dauerkrisen, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Bedrohung durch Terrorismus, dass das im Grunde an sich schon etwas Krankmachendes ist?

    Voderholzer: Das kann man nicht sagen. Viele Menschen kommen mit den Belastungen bestens zurecht, aber es gibt Menschen, die einfach auch biologisch, das heißt erblich vulnerabel ausgestattet sind, die einfach ein erhöhtes Risiko haben, auf Stress so zu reagieren, und die sind es dann, die unter Druck, unter Stress, der teilweise zugenommen hat, dann krank werden. Aber es gilt natürlich nicht für die ganze Bevölkerung.

    Lange: Nun werden Sie an den Rahmenbedingungen, unter denen ihre Patienten leben, ja wenig ändern können. Wo setzten Sie denn an, wenn es um Therapie geht?

    Voderholzer: Das erste ist, Information geben. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die Information, welche seelischen Erkrankungen es gibt, was Risikofaktoren sind, einfach gering sind und dass auch die Meinung darüber, was man behandeln kann und wie die Behandlung abläuft, dass da viel Unkenntnis herrscht. Deswegen sind wir überzeugt, darüber zu reden, zu informieren ist schon mal der erste Schritt. Wir müssen da viel mehr auch mit der Bevölkerung, mit Laien, mit Schülern, mit Lehrern in Kontakt und ins Gespräch kommen. Heute ist es so, dass bei anderen Erkrankungen, nehmen wir zum Beispiel mal Zahnschmerzen - die Zahnärzte gehen heute schon in den Kindergarten und informieren die Kinder, wie man sich richtig die Zähne putzt. Was seelische Probleme betrifft, sind wir noch weit davon entfernt, dass wir erst mal Information geben.

    Lange: Hat sich das Verhältnis der Gesellschaft zu Psychotherapeuten oder der Eltern zu Psychotherapeuten in den letzten Jahren gewandelt? Werden sie selbstverständlicher angenommen?

    Voderholzer: Es hat sich sicher etwas zum Positiven verändert, aber es ist noch nicht so, wie wir uns es wünschen würden, dass man das als etwas, was auch zum Leben gehören kann, akzeptiert und in der Öffentlichkeit darüber redet. Der Fußballer Deisler hat es uns ja vorgemacht, dass man in der Öffentlichkeit auch darüber reden kann. Aber die meisten verheimlichen das noch und empfinden das als Schande. Das ist sicher nicht in allen Ländern so. In Deutschland ist das etwas stärker als in anderen Ländern, ist mein Eindruck.

    Lange: Nun ist das Ganze ja auch ganz banal eine Kostenfrage. Es geht darum, wer übernimmt am Ende die Kosten für eine solche Behandlung? Sehen Sie da Schwierigkeiten oder ist das inzwischen alles klar, wer in solchen Fällen dann zahlt? Die Krankenkasse zum Beispiel?

    Voderholzer: Das ist eigentlich geklärt, dass die Krankenkasse bei psychischen Erkrankungen die Kosten übernimmt und Psychotherapie bezahlt. Da sehe ich keine Probleme.

    Lange: Auch nicht durch die so und so vielte Gesundheitsreform?

    Voderholzer: Es werden sicherlich weitere Einschnitte auf uns zukommen und es wird alles wie in allen Bereichen des Gesundheitssystems etwas schwieriger werden, aber wenn zum Beispiel bei Schülern Probleme auftreten, es muss ja nicht gleich der Nervenarzt oder der Kinder- und Jugendpsychiater sein. Es gibt ja auch viele Beratungsstellen, die auch noch viel zu wenig in Anspruch genommen werden, schulpsychologische Dienste und so weiter.