Freitag, 29. März 2024

Archiv

Publizist Dalos zur Ungarn-Wahl
"Das ist die Zementierung der Ein-Mann-Demokratie"

Die Macht von Orbán sei keinen Augenblick lang in Gefahr gewesen, sagte der Publizist ist György Dalos im Dlf. Gründe dafür seien die Schwäche der Opposition. Aber auch das grundlegende Bedürfnis der ungarischen Gesellschaft nach sozialer Sicherheit: "Das ist das, was Orbán verspricht", sagte Dalos im Dlf.

György Dalos im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 09.04.2018
    Der ungarische Premierminister Viktor Orban hält seine Rede während der letzten Wahlkampfveranstaltung seiner Fidesz-Partei in Szekesfehervar am 6. April 2018.
    Mit Bedacht hat Viktor Orbán Székesfehérvár zum symbolträchtigen Abschluss seiner Wiederwahl-Kampagne ausgesucht (AFP / Ferenc Isza)
    Dirk-Oliver Heckmann: Dreimal war er bereits Ministerpräsident, Viktor Orbán. Jetzt steht er vor einer weiteren Amtszeit. Denn so umstritten Orbán im Rest Europas ist – viele Ungarinnen und Ungarn sehen in ihm einen guten Regierungschef und haben die Fidesz bei den gestrigen Wahlen erneut zur stärksten Kraft gemacht.
    Mitgehört hat György Dalos, Schriftsteller und Publizist, ehemaliger Mitherausgeber der linken Wochenzeitung "Der Freitag". Schönen guten Morgen, Herr Dalos.
    György Dalos: Guten Morgen.
    Heckmann: Hat Sie dieses klare Wahlergebnis für Orbán überrascht?
    Dalos: Nein. Ich wusste – und das habe ich auch öffentlich immer wieder gesagt -, dass für Orbán die Macht keinen Augenblick lang in Gefahr war. Es ging nur um die zwei Drittel der Stimmen, und da war ich vielleicht nicht ganz so pessimistisch. Ich dachte, dass all die Skandale, all die Korruptionsaffären der letzten zwei Jahre doch die eigene Anhängerschaft auch ein bisschen zum Umdenken bewegen und er kann die zwei Drittel verlieren. Das ist auch knapp geschehen. Aber andererseits wiederholte sich jetzt ein Sieg von vor vier Jahren, praktisch dieser Konstellation. Aber weil das eine Wiederholung ist, bedeutet das etwas mehr als ein durchschnittlicher Wahlsieg. Das ist die Zementierung, ich würde sagen, der Ein-Mann-Demokratie von Orbán.
    "Vor allem wirtschaftliche Erfolge"
    Heckmann: Noch kann man ja nicht genau sagen, ob die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht oder verfehlt worden ist nach unseren Informationen. Wie erklären Sie sich aber diesen klaren Wahlerfolg Orbáns? Man kann ja schlecht sagen, seine Wähler sind alle dumm.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos am 12.10.2014 auf der Frankfurter Buchmesse (imago/Hoffmann)
    Dalos: Nein, das ist nicht so. Das grundlegende Bedürfnis der ungarischen Gesellschaft ist soziale Sicherheit, und zwar sogar auf der ziemlich niedrigen Ebene, wie es möglich ist. Die Welt ist wirklich sehr kompliziert geworden. Es gibt unglaubliche Probleme auf allen Kontinenten und auch im Ungarn-Umfeld. Die Leute wollen Ruhe, Stabilität, und das ist das, was Orbán auf dieser, und sei sie noch so miserablen Ebene verspricht.
    Heckmann: Dennoch sagen viele Leute, Ungarn habe sich gut entwickelt.
    Dalos: Es gibt schon einige Erfolge dieser Regierung, vor allem wirtschaftliche Erfolge, oder die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und die werden dann natürlich auch mit Zufriedenheit quittiert. Andererseits gibt es zahlreiche ungelöste Probleme, auch wirtschaftliche Probleme und auch soziale, und es gibt noch einen Faktor, was Orbáns Sieg, ich würde sagen, fast gesetzmäßig macht, und das ist die Schwäche und Fantasielosigkeit der Opposition.
    Heckmann: Herr Dalos, Sie haben gerade von einer Ein-Mann-Demokratie in Ungarn gesprochen. Markus Ferber, der CSU-Politiker - den haben wir um 6:50 Uhr hier im Deutschlandfunk interviewt -, der sagte, diese Vorwürfe sind völlig überzogen. Ungarn ist natürlich eine Demokratie.
    Dalos: Ja! Wenn man einfach den institutionellen Rahmen sieht, dann ist Ungarn eine Demokratie. Wir haben ein Parlament, wir haben ein Verfassungsgericht, wir haben eine relativ freie Presse. Allerdings müssen wir auch sagen, dass Demokratie auch sehr unterschiedliche Qualitäten haben kann. Das, was in Ungarn die Demokratie ausmacht, ich würde sagen, das ist eine Struktur, die zunehmend unter staatlicher Kontrolle und unter autoritären ideologischen Einflüssen gerät. Das heißt, das ist eine beschädigte und wirklich bedrohte Demokratie.
    "Die Wahl der Gesellschaft"
    Heckmann: Aber selbst die internationalen Wahlbeobachter bescheinigen Ungarn, dass das eine demokratische, eine faire Wahl gewesen sei.
    Dalos: Man kann über keine massiven Wahlfälschungen sprechen. Das stimmt! Dann muss man natürlich als jemand, der sich zu der demokratischen Opposition zählt wie ich, man muss natürlich auch feststellen, dass das die Wahl der Massen, dass das die Wahl der Öffentlichkeit, die Wahl der Gesellschaft ist. Man kann natürlich auch darüber sprechen, dass unter dem unglaublichen Mediendruck, weil die meisten Medien gehören doch der Regierungspartei, und dass auch die hemmungslose Demagogie eine Rolle gespielt hat, was aber nicht die Schwäche der Opposition entschuldigen kann.
    Heckmann: Hemmungslose Demagogie - da fällt mir das Stichwort George Soros ein. Das ist ein Holocaust-Überlebender, der aus Ungarn stammt, in den USA lebt. Orbán hat ihm vorgeworfen, immer wieder jetzt im Wahlkampf, die angebliche Massenzuwanderung von Muslimen nach Europa zu steuern, und sein Ziel sei, die Völker ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben. Ich habe das auch schon Markus Ferber gefragt: Ist Orbán ein Antisemit?
    Dalos: Ich glaube nicht, dass er ein Antisemit ist, aber er hat auch mehrmals antisemitische Stimmungen und Atmosphären für seinen Machtgewinn missbraucht. Das heißt, wie er persönlich ist, das kann man schwer beurteilen. Aber seine Politik begünstigt einfach jede Menge Hasskultur, die wir haben. Auch George Soros so ein Phantom zu schaffen, das bedeutet, dass man diese bereits, ich glaube, 15 Jahre oder länger existierende Hasskultur zu den eigenen Zwecken benutzt.
    Die Ängste der Gesellschaft auf wenige Themen fokussieren
    Heckmann: Kaufen die Ungarn ihm das eigentlich ab, diese These, dass da jemand ist, der eine Massenzuwanderung organisiert, um die europäischen Völker quasi von innen auszulöschen?
    Dalos: Offensichtlich glauben sehr viele Menschen das, und zwar nicht nur in Orbáns Lager. Das hängt einerseits damit zusammen, dass dieses Flüchtlingsproblem ein reales Problem ist - nicht für Ungarn. Für Spanien, Italien, Deutschland vielleicht ist das ein Problem. In Ungarn wollen die meisten Flüchtlinge, ich glaube, nicht bleiben. Ungarn ist ebenso wie Tschechien oder Polen einfach ein Transitland. Aber es wird sehr geschickt operiert mit allen Ängsten der Menschen, und diese Ängste kann man auf diese Frage fokussieren, ohne dass Ungarn überhaupt von der Flüchtlingswelle betroffen wäre.
    Heckmann: Wie kommt das, dass das so gut funktioniert?
    Dalos: Weil die Ängste stark sind und die Ängste beziehen sich nicht unbedingt oder nicht nur auf dieses Phantom George Soros, den man eigentlich überhaupt nicht kennt, oder nicht nur auf die Flüchtlinge, die es in Ungarn in der Form vielleicht 2015 für drei Wochen gegeben hat. Aber alle Ängste kann man offensichtlich mobilisieren und sie auf ein einziges Thema fokussieren, und das hat natürlich bei dieser Wahlkampagne geholfen.
    "Ungarn ist wirtschaftlich sehr stark auf die EU angewiesen"
    Heckmann: Das kommt bei vielen Menschen an. Orbán argumentiert aber auch, wir lassen uns doch jetzt nicht von Brüssel vorschreiben, oder von Berlin, ob wir Flüchtlinge aufnehmen sollen oder nicht. Da hat er doch auch einen Punkt, oder nicht?
    Dalos: Natürlich! Aber diese Frage existiert so nicht. Selbst wenn Ungarn übrigens die von ihm akzeptierten Quoten annehmen würde, hätte das keine wirkliche Bedrohung bedeutet. Es gibt auch Flüchtlinge in Ungarn, ich glaube so 2000 Flüchtlinge. Da gibt es die Edelflüchtlinge, und zwar die Millionäre und Unternehmer aus der arabischen Welt, die mit ihren Aktien die Niederlassung in Ungarn eingekauft haben.
    Heckmann: Die Quoten, die Sie gerade angesprochen hatten, sind von Budapest nicht akzeptiert worden.
    Dalos: Ja, das ist auch keine eindeutige Haltung. Jedenfalls ist die Kommunikation in der ungarischen Politik so, dass man aus dieser einzelnen Frage plötzlich einen globalen Konflikt zwischen Ungarn und der EU vortäuscht, und das ist deswegen prekär, weil in der wirtschaftlichen Entwicklung ist Ungarn sehr stark auf die EU angewiesen, und ich glaube manchmal, dass selbst die Propaganda gegen die EU wird mit EU-Geldern mitfinanziert.
    Heckmann: Wir können aber festhalten, Orbán hat eine klare Mehrheit. Wie kommt seine Politik eigentlich bei jungen Leuten an? Wir haben Berichte gehört, wonach viele junge Menschen das Land verlassen.
    Dalos: 500.000 Ungarn haben in den letzten Jahren, in den letzten, ich würde sagen, acht bis zehn Jahren das Land verlassen. Das ist auch eine Art Abstimmung. Ich habe in Berlin in der ungarischen Botschaft abgestimmt und da sah ich diese jungen Leute, die wirklich gekommen sind, damit sie doch auch ihre Situation reflektieren. Es gibt keine eindeutig definierbare Stimmung bei den Jugendlichen, aber ich glaube, es gibt schon eine ziemlich große Gruppe von Jugendlichen, die gegen Orbán sind - einfach weil sie ihren Auslandsaufenthalt offensichtlich irgendwann rückgängig machen möchten und möchten nicht in ein autoritär gelenktes Land zurückkehren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.