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Radikalisierung im Netz
Weisband kritisiert Maßnahmen der Bundesregierung

Die Netzaktivistin Marina Weisband hält die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen zur Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz für unzureichend. "In diesem Paket steht gar nichts von Fortbildung der Behörden oder von einer Ausweitung des Personals, das macht mich skeptisch", sagte Weisband im Dlf.

Marina Weisband im Gespräch mit Peter Sawicki |
Die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband im Reichstag bei der Wahl des Bundespräsidenten 2017.
"Das Internet wird kein zivilisierterer Ort werden", sagte die Netzaktivistin Marina Weisband im Dlf (picture alliance / Gregor Fischer)
Peter Sawicki: Ob das Maßnahmenpaket ausreicht, darüber haben wir vor der Sendung mit Marina Weisband gesprochen. Sie ist Netzaktivistin, früheres Mitglied der Piratenpartei, mittlerweile Mitglied bei den Grünen. Und die erste Frage an sie war, ob das Internet jetzt zivilisierter wird.
Marina Weisband: Nein! Das Internet wird kein zivilisierterer Ort werden. Das neue Maßnahmenpaket der Bundesregierung kann uns höchstens dabei helfen, die Tatbestände, die an Volksverhetzung und so täglich zustande kommen, stärker zu verfolgen und dadurch möglichst einzudämmen auf bestimmten Plattformen. Das sind immer nur die Plattformen, die mehrere Millionen deutscher Benutzer haben. Aber es gibt erstens andere Plattformen, auf denen die Radikalisierung stattfindet. Zweitens habe ich bei dem Paket auch noch jede Menge Fragen, ob es wirklich so funktionieren wird wie gedacht, und drittens ist das Netz immer nur eine Abbildung der Gesellschaft und wenn wir nicht zivilisierter werden, wird das Netz es auch nicht.
Der Eingang der Staatsanwaltschaft in München.
Maßnahmenpaket der Bundesregierung - Neue Pläne gegen den Hass im Netz
Die Bundesregierung hat ihr "Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität" auf den Weg gebracht. Unter anderem soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärft werden, um mehr gegen Hass im Netz zu tun. Was das Vorhaben genau bedeutet und wie Experten reagieren – ein Überblick.
Sawicki: Dann lassen Sie uns doch mal die einzelnen Punkte durchgehen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man sagen, es geht in die richtige Richtung; aber wenn Sie jetzt von den Plattformen sprechen: Facebook beispielsweise soll ja dazu verpflichtet werden, Hasskriminalität oder Hetze, Morddrohungen zu melden. Sie sprechen aber von anderen Plattformen, die häufiger genutzt werden, oder?
Weisband: Ja. Was Facebook, Twitter und YouTube betrifft, ist diese Regulierung sehr, sehr sinnvoll, weil es hier ist, wo Aktivist*innen wo Politiker*innen und Journalist*innen angegriffen werden. Diese Debatten, wenn die beleidigend geführt werden, vergiften auch das allgemeine Klima des Diskurses. Insofern ist es richtig und gut, diese Plattformen zu regulieren. Es gibt andere Plattformen, auf denen aber hauptsächlich die Radikalisierung der Rechten stattfindet, und das sind nicht die genannten Plattformen, wobei YouTube da schon recht gut mit reinzählt. Aber es gibt auch noch Image-Bords, ich denke jetzt an 4chan oder 8chan, wo auch die Attentäter von zum Beispiel Christchurch und Halle sich radikalisiert haben. Diese fallen überhaupt nicht unter diese Regulierung.
"Netzwerke von Rechten müssen besser verstanden werden"
Sawicki: Vielleicht können Sie mal kurz erklären. Was sind das für Plattformen? Was für Menschen halten sich da auf?
Weisband: Das sind überwiegend junge Menschen. Es sind überwiegend Männer. Es gibt Überschneidungen mit der Gamer-Szene und auf diesen Plattformen passiert wirklich alles Mögliche. Es geht hauptsächlich um Humor, sehr viel bildbasierter Humor. Aber es gibt auch Bereiche, in denen ein bisschen experimentiert wird mit gesellschaftlichen Grenzen und mit Grenzen des Sagbaren, und dort ist es, wo die international organisierte rechte Szene auf Jagd nach jungen Männern geht, die eher nicht so sozial gefestigt sind und die sich dort ihre Haupt soziale Gruppe aufbauen, und spielt denen immer radikalere Inhalte unter. Die machen regelrecht ein Spiel daraus unter sich, wer irgendwie radikaler, krasser, menschenfeindlicher ist.
Das ist ein Mechanismus, über den meiner Ansicht nach die deutschen Behörden noch nicht so richtig einen Überblick haben und der auch den meisten Pädagog*innen noch nicht so geläufig ist, und das ist ein echtes Problem.
Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und Vorsitzender des Deutscher Richterbund, DRB
Richterbund zu Hass im Netz: "Wir wollen systematisches Aufräumen"
Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, hat das Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen Hasskriminalität im Netz begrüßt. "Bisher läuft die Strafverfolgung ins Leere", sagte Gnisa im Dlf. Für die nun zu erwartende Zunahme an Strafverfahren werde jedoch viel Personal benötigt.
Sawicki: Das heißt, muss man diese Plattformen besser verstehen, oder muss man vor allem auch Maßnahmen ergreifen, um sie vielleicht besser zu kontrollieren?
Weisband: Ich glaube, in erster Linie müssen die Netzwerke von Rechten besser verstanden werden. Das was Szenekenntnis heißt, klassischerweise, ich weiß irgendwie, wie die rechte Szene in Thüringen sich organisiert, muss übertragen werden auf das Internet, denn heutzutage haben wir es mit einer globalen rechten Szene zu tun, die eine komplett andere Sprache spricht als diese klassischen Dorf-Neonazis und die komplett eine andere Kultur unter sich hat und auch andere Radikalisierungsmechanismen. In diesem Paket steht jetzt wirklich gar nichts von einer Fortbildung von Behörden, von einer Ausweitung des Personals beim Kriminalamt. Das macht mich skeptisch.
Weisband: International zusammen arbeiten
Sawicki: Ist das Ausdruck dessen, dass man das noch nicht ernst genug genommen hat, oder dass man es immer noch nicht richtig versteht? Was glauben Sie?
Weisband: Ich glaube, man nimmt es inzwischen halbwegs ernst, nicht so ernst, wie man es die letzten Jahre hätte nehmen sollen, aber vor allen Dingen versteht man es noch nicht so richtig. Es ist dieses berühmte Neuland-Phänomen, glaube ich, gerade. Dass natürlich die Auswirkungen von Gewalt im Netz die Journalist*innen und die Politiker*innen sehen, und das ist auf Facebook zum Beispiel, das wird jetzt stärker geahndet – hoffentlich; auch keine Garantie mit diesem Paket. Und das ist gut! Das will ich wirklich überhaupt nicht kleinreden.
Ich will nur sagen: Es gibt da noch dieses andere Element, nämlich das, was die vielleicht nicht so direkt mitkriegen, sondern diese anderen Netze, über die sich rechte übrigens auch verabreden, um unter einem bestimmten Facebook-Post oder unter einem bestimmten YouTube-Video zu kommentieren. Das heißt Dogpiling, wenn sich alle koordiniert auf eine Person werfen, um sie mundtot zu kriegen.
Sawicki: Was muss man tun, um diese Netzwerke, um diese Plattformen besser zu verstehen?
Weisband: Erstens: Man braucht Expert*innen, die die entsprechenden Aufklärungsbehörden schulen, die auch die Leute schulen, die in Extremismus-Prävention arbeiten. Es geht ganz, ganz viel um Bildung und Fortbildung.
Sawicki: Gibt es die in Deutschland, diese Experten?
Weisband: Es gibt in Deutschland Expert*innen. Ich könnte jetzt ganz spontan nicht sehr viele aufzählen, aber es gibt auf jeden Fall, das Knowhow ist da, die Fachkompetenz ist da und es gibt viele Leute, die diese rechten Plattformen auch von innen beobachten. Es ist durchaus nicht unmöglich, diese Leute mit der Polizei zum Beispiel zu vernetzen und da einen Wissensaustausch stattfinden zu lassen.
Sawicki: Müsste man sich im Zweifelsfall auch vielleicht externe Hilfe holen aus dem Ausland bei diesem Thema?
Weisband: Ich glaube, das bringt ganz, ganz viel, und zwar deshalb, weil es so ein internationales Problem ist, weil die Plattformen, über die wir sprechen, nicht rein deutsch sind und deren Benutzer auch nicht rein deutsch. Die rechte Szene ist ironischerweise extrem gut international vernetzt und arbeitet international auch ganz gut zusammen. Wenn die Kriminalbeamten das nicht tun, dann sind die natürlich klar im Nachteil.
Sawicki: Haben Sie da Länder im Kopf, die bisher möglicherweise als Vorreiter fungiert haben?
Weisband: Leider nicht so richtig. Ich habe noch nicht gesehen, dass ein Land da wirklich gut durchgegriffen hätte. Ich könnte jetzt wirklich keine Positivbeispiele nennen.
"Wichtigste Präventionsmaßnahme wäre ein Demokratiefördergesetz"
Sawicki: Ist das ein Gesamtproblem bislang, ein globales Problem, dass man sich auf diesen Plattformen noch nicht so gut auskennt?
Weisband: Es ist ein gesamtglobales Problem. Wir haben neue Plattformen, neue Kommunikationswege, neue Technologien und neue Gesellschaften, die daraus entstehen, und es ist immer so, dass die Extremen sich neue Technologien zuerst zu eigen machen und der gesellschaftliche Mainstream hinterherzieht. Diese Lücke, die entsteht, ist eine, die sehr fruchtbar ist für Extremisten aller Art. Um denen zu begegnen, müssen wir gucken, da gibt es das, was wir nicht verstehen, und wir müssen möglichst schnell darüber lernen. Das fehlt mir halt komplett.
Das andere, was mir in dem Paket in dem Zusammenhang fehlt ist: Regulierung dieser Plattformen ist das eine. Das zweite ist aber: Vielleicht möchte ich gar nicht, dass Jugendliche in erster Linie ihre soziale Gesellschaft und ihren Zusammenhalt auf rechtsextremen Plattformen suchen. Da haben wir ganz, ganz wenig. Da liefert das Paket auch wenig im Sinne der Prävention, im Sinne dessen, worauf achtet man eigentlich in der Prävention, welche Mittel hat man zur Verfügung, welches Personal steht zur Verfügung.
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Beauftragter für Religion und Weltanschauungen der Partei Buendnis 90/Die Gruenen im Deutschen Bundestag
Von Notz (Grüne) - Strafen im dreistelligen Millionenbereich für Hasskriminalität im Netz
Bei Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten im Internet müsse härter durchgegriffen werden, forderte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz im Dlf. Mit Konzernen wie Facebook und Google werde in Deutschland in Sachen Haftungsrecht viel zu milde umgegangen.
Sawicki: Welche Maßnahme wäre die wichtigste im Bereich der Prävention?
Weisband: Die wichtigste Maßnahme im Bereich der Prävention wäre ein Demokratiefördergesetz. Das bedeutet, dass wir im Moment in Deutschland viele Projekte haben, wundervolle, richtige Projekte, die genau richtig Jugendliche an Digitalisierung heranführen, die Aussteigern aus der rechten Szene helfen, die politische Bildung betreiben, die mit Jugendlichen in abgehängten Landstrichen arbeiten. Aber alle diese Projekte können nur modellhaft gefördert werden. Das heißt, gefördert werden, wo die ersten paar, wenn man Glück hat, Projektlaufjahre, und danach sind die Projekte auf sich selbst gestellt, was natürlich Quatsch ist, weil es an dieser Stelle überhaupt kein Geld zu verdienen gibt.
Es gibt aber keine staatliche langfristige Förderung für solche Demokratieprojekte. Dafür bräuchte es die gesetzliche Grundlage eines Demokratieförderungsgesetzes. Das fordert die Familienministerin jetzt auch seit einer Weile und das müsste eigentlich dieses Paket krönen. Das ist aber noch nicht auf dem Weg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Anmerkung der Redaktion: Marina Weisband ist als Kolumnistin für die Dlf-Sendung @mediasres tätig.