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Razzia gegen Scheinehen
Auf der Spur der Schleuser-Netzwerke

Mit einer bundesweiten Razzia ist die Polizei gegen von Schleusern organisierte Scheinehen vorgegangen. Das Problem der Ermittler ist, dass es in der Regel keine hierarchisch-mafiösen Strukturen gibt. Das Geschäft betreiben Netzwerker, die ihre kriminellen Dienstleistungen miteinander verbinden.

Von Marcus Pindur | 18.07.2019
Polizisten stehen vor einem Haus
Polizei-Razzia in Wurzen (Deutschlandradio / Marcus Pindur )
Kurz vor sieben Uhr morgens, im Zentrum der sächsischen Kleinstadt Wurzen, ein noch kühler Sommermorgen. Die Pressesprecherin der Bundespolizei, Romy Gürtler, erklärt, wie der Einsatz über die Bühne geht.
"Ja, wir befinden uns jetzt vor dem eigentlichen Durchsuchungsobjekt, die Einsatzkräfte sind davor. Die Durchsuchungsleiterin wird jetzt klingeln, in der Hoffnung, dass der Beschuldigte die Tür öffnet. Dann wird ihm die vorläufige Festnahme ausgesprochen und der Durchsuchungsbeschluss wird ihm verlesen. Das macht die Durchsuchungsleiterin in Deutsch. Wir haben auch eine Dolmetscherin dabei, die ihm das gegebenenfalls in seine Sprache übersetzen kann. Aber er soll sehr gut deutsch sprechen und auch verstehen."
Der Polizeieinsatz in Wurzen ist nur eine von 60 Hausdurchsuchungen, die an diesem Tag in vier Bundesländern stattfinden. Der Beschuldigte ist in diesem Fall ein 50-jähriger indischer Staatsangehöriger, er soll einem Menschenschleuserring zugearbeitet haben oder sogar eine Führungsfigur sein. Es geht um Schleusungen meist pakistanischer Männer nach Deutschland mittels fingierter Eheschließungen und gefälschter Miet- und Arbeitsverträge.
Sechs Pkw auf den Beschuldigten zugelassen
Das Gebäude ist von außen unauffällig und neu gestrichen, innen macht es einen eher ungepflegten Eindruck. Im Erdgeschoss ist ein Imbiss, den der Beschuldigte betreibt, im ersten Stock seine Wohnung. Zunächst wird die Tür nicht geöffnet. Dann geht alles recht schnell.
"Guten Tag, sind Sie Herr…?"
Die Polizeisprecherin erklärt:
"Wahrscheinlich haben wir sie jetzt aus dem Bett geholt. Sie haben jetzt natürlich die Möglichkeit, sich anzukleiden. Und dann wird der Durchsuchungsbeschluss vorgelesen. Die Personen wurden schon getrennt, aus dem Grund, dass sie sich nicht mehr absprechen können."
Ein Dutzend Polizisten dringen in voller Einsatzmontur inklusive kugelsicherer Weste in die Vierzimmerwohnung ein, die jetzt erst einmal durchsucht wird.
Nach einigen Stunden liegt ein vorläufiges Durchsuchungsergebnis vor: 10.000 Euro in bar, ein Schuldschein über 20.000 Euro, außerdem stellt sich heraus, dass sechs Pkw auf den Beschuldigten zugelassen sind. Nach Aussage einer Mieterin in dem Haus ist er auch Eigentümer der Immobilie.
Schleuser betreiben hohen Aufwand
"Ansonsten wurden jetzt noch mehrere Rechner, ein Laptop, mehrere Handys, schon aufgefunden, wo man jetzt halt schaut: wem gehören die? Denn wir dürfen ja nur die Sachen des Hauptbeschuldigten mitnehmen. Sind die Sachen von seiner Frau oder Tochter, nehmen wir die nicht mit. Das wird jetzt gerade aufgeklärt, geguckt, wem gehört was, und dann geht´s an die Sicherstellung der Sachen."
Auch mehrere Ordner mit schriftlichen Unterlagen werden beschlagnahmt. Die Schleuser betreiben hohen Aufwand. Erst reisen Männer aus Pakistan oder Indien mit Touristenvisa nach Zypern oder nach Dänemark. Dorthin werden die Schein-Ehefrauen aus Osteuropa geflogen. Nach der Hochzeit fahren sie in der Regel schnell wieder ab. Die Ehemänner reisen dann nach Deutschland und beantragen eine EU-Aufenthaltskarte.
Das Ganze geht auch andersherum: In der Wohnung in Wurzen hält sich eine junge Inderin auf, die angeblich mit einem Deutschen verheiratet ist.
"Da wird man natürlich mit dem Standesamt Kontakt aufnehmen und den Ehemann mal ein bisschen genauer befragen, das wird dann im Laufe der Ermittlungen erfolgen. Sie ist hier mit Visa eingereist, studiert wohl auch und ihr Reisepass wurde Ende 2018 eingezogen durch die Ausländerbehörde und wird derzeit kriminaltechnisch untersucht. Das heißt, also auch da besteht der Verdacht, dass das Dokument gefälscht sein könnte."
Wie sich herausstellt, kennt die junge Frau zwar den Namen und das Geburtsdatum ihres Ehemannes, nicht jedoch seinen Wohnort. Die beiden haben in Dänemark geheiratet und sich angeblich über Facebook kennengelernt.
Nach einer Scheinheirat kommen die sogenannten "Unterstützer" ins Spiel. Sie gehen mit den eingeschleusten Männern oder Frauen auf die Ämter und besorgen gefälschte oder fingierte Miet- und Arbeitsverträge, ohne die es keine Aufenthaltsberechtigung gibt. Gewerbetreibende bieten sich dabei als "Unterstützer" an, weil sie besonders leicht eine Arbeitstätigkeit für die Betroffenen vortäuschen können. Sie fungieren auch als Dolmetscher bei Amtsbesuchen und helfen beim Ausfüllen von Formularen.
Ein lukratives Geschäft: Zwischen 15. und 22.000 Euro kostet das Gesamtpaket der Schlepper für eine Person - in Indien oder Pakistan ein Vermögen. Setzt man nur eine Fallzahl im unteren dreistelligen Bereich an, dann werden hier Millionen gemacht.
Den einen Paten, der die Fäden in der Hand hält, gibt es nicht
39 Festnahmen gibt es insgesamt an diesem Tag. Die meisten der mutmaßlichen Schleuser werden in einem alten DDR-Terminal am Leipziger Flughafen der Reihe nach vorgeführt und erkennungsdienstlich behandelt. Das Phänomen der Scheinehen ist nicht neu, so der zuständige Ermittlungsleiter der Bundespolizei in Halle, Markus Pfau.
"Wir stellen aber in den letzten Jahren bundesweit - das ist kein rein sächsisches Phänomen - stellen wir ein Anwachsen dieser Fallzahlen fest. Dafür sprechen Ermittlungen unserer Kollegen in Hamburg, in Berlin, in Baden-Württemberg. Und es ist stets der gleiche Modus Operandi, dass also stets aus dem vornehmlich osteuropäischen Ausland Scheinehe-Partnerinnen angeworben werden, und dann diese Rechtslage ausgenutzt wird. Das ist ein Phänomen, was nach unseren Erfahrungen sehr raumgreifend ist."
Nach Auskunft des ehemaligen Europol-Direktors Jürgen Storbeck ist die Scheinehen-Schleusung zwar eine der raffinierteren, aber nicht die häufigste Methode der Schleuser. Immer noch werden Migranten am ehesten mit Lastkraftwagen oder in Containern mit gefälschten Papieren transportiert, oder eben über das Mittelmeer in seeuntüchtigen Schlauchbooten.
Das Schleusergeschäft ist dabei in der Regel nicht hierarchisch-mafiös strukturiert. Den einen Paten, der die Fäden in der Hand hält, gibt es nicht. Das Geschäft betreiben Netzwerker, die ihre kriminellen Dienstleistungen miteinander verbinden: Falsche Papiere, Anlaufadressen - und Geldweitergabe über Mittelsleute erfordern verzweigte Netzwerke entlang der Fluchtrouten.
Das macht es für die Ermittler nicht einfach. Vor dem Zugriff im Fall der Scheinehen-Schleuser in Sachsen und mehreren andern Bundesländern musste die Bundespolizei zwei Jahre lang ermitteln.