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Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn
Caspary (CDU): "Unabhängig und ergebnisoffen prüfen"

Die Christdemokraten verzweifelten manchmal daran, dass Viktor Orbán immer wieder die Grenzen austeste, sagt der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary im Dlf. Bisher habe Orbán sich aber immer an europäisches Recht gehalten, sobald man ihm auf die Finger geklopft habe. Caspary will deswegen für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn stimmen.

Daniel Caspary im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary bei einer Rede auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg.
    Laut CDU-Europapolitiker Daniel Caspary laufen in Ungarn viele Sachen nicht, "wie wir uns das vorstellen", dennoch sei die Welt dort nicht so schlimm, wie dargestellt (picture alliance / Christoph Schmidt/dpa)
    Christine Heuer: Spannend wird es heute nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel. Manfred Weber hat sich bereits entschieden. Der EVP-Chef im Europaparlament wird heute für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn stimmen. Der CSU-Politiker, der gern Spitzenkandidat bei der Europawahl werden möchte und danach Kommissionspräsident in Brüssel, hatte von Ungarns Regierungschef Zugeständnisse gefordert, und genau die hat Viktor Orbán gestern bei der Parlamentsdebatte und später auch im Kreise seiner Kollegen von der EVP offenbar rundheraus abgelehnt. Im Plenum warf Orbán der EU Erpressung vor. Aufregende Stunden waren das in Straßburg. Bei allem dabei war der CDU-Politiker Daniel Caspary, Mitglied der EVP-Fraktion. Vor einer knappen Stunde habe ich ihn sprechen können und ich habe ihn zuerst gefragt, wie er Viktor Orbán gestern denn in Straßburg erlebt hat.
    Daniel Caspary: Mein Eindruck war, Viktor Orbán hat gestern im Europäischen Parlament die Rede gehalten, die er an das ungarische Volk richten wollte. Aber die Rede, die wir entspannend im Europäischen Parlament gebraucht hätten, die haben wir gestern sicherlich nicht erlebt.
    "In Ungarn laufen viele Sachen nicht, wie wir uns das vorstellen"
    Heuer: Und wie war das dann später hinter verschlossenen Türen in der EVP-Fraktion?
    Caspary: Viktor Orbán ist einer unserer starken Parteivorsitzenden. Wir sind als Europäische Volkspartei eine Partei mit sehr breiten Auslegern, sowohl rechts-links als auch bei den liberalen, christlichen, sozialen und konservativen Gruppen. Aber es wurde in der Fraktion auch schon deutlich, dass wir in der Vergangenheit immer sehr solidarisch mit der Fidesz waren, aber dass wir auf der anderen Seite auch eine Grunderwartung haben, wie wir als Parteifamilie miteinander umgehen, nämlich gemeinsam und unter gegenseitiger Rücksichtnahme. Und das ist schon ein Kritikpunkt, dass wir manchmal den Eindruck haben, dass Viktor Orbán hier nicht unbedingt als gutes Familienmitglied unterwegs ist.
    Heuer: Klingt nach Knatsch. War es so?
    Caspary: Ja! Aber das ist doch das, was politische Diskussion ausmacht. Wir stehen ja genau im Dialog. Das ist ja das, was wir in Europa dringend brauchen, dass wir nicht ausgrenzen, sondern irgendwie versuchen, den Laden zusammenzuhalten. Wir haben in Europa riesen Schwierigkeiten. Schauen Sie mal: Die Briten gehen. Der Beginn des Brexits aus meiner Sicht liegt auch darin begründet, dass David Cameron 2009 die britischen Konservativen aus unserer Fraktion abgezogen hat. Das hat Gesprächsfäden gekappt, das hat weiter den Entfremdungsprozess beschleunigt. Und das ist genau die Herausforderung, vor der wir stehen. Wir haben auf der einen Seite das Problem, dass in Ungarn viele Sachen nicht so laufen, wie wir uns das vorstellen. Ich kann nachvollziehen, dass einige fordern, schmeißt ihn raus. Ich halte davon im Moment aber nichts.
    Auf der anderen Seite, wenn wir uns anschauen: Die Sozialisten haben das Problem in Rumänien mit dieser unsäglichen Regierung, die gegen alle möglichen Dinge verstößt. Die Liberalen haben das Problem mit Babis in Tschechien. Und wenn wir jetzt alle gegenseitig voneinander verlangen, kappt die Gesprächsfäden, schmeißt sie raus, dann ist genau meine große Sorge, dass wir den Riss und die Spaltung in Europa weiter vorantreiben. Und bei allen inhaltlichen Unterschieden und Schwierigkeiten, die wir haben, aber wir müssen irgendwie den Laden gerade zusammenhalten.
    "In Ungarn ist die Welt nicht so schlimm, wie dargestellt"
    Heuer: Was heißt denn das? Wie stimmen Sie heute ab? So wie Ihr Fraktionsvorsitzender Manfred Weber, für das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn?
    Caspary: Ich werde heute aller Voraussicht nach auch für das Rechtsstaatsverfahren abstimmen. Ich möchte aber ganz deutlich dazu sagen: Ich halte das Schauspiel, das auch die linke Seite im Europäischen Parlament gestern abgegeben hat, für einen riesen Fehler. Das eine ist: Ich bin überzeugt, in Ungarn ist die Welt nicht so schlimm, wie uns das öffentlich immer wieder dargestellt wird. Das ist auch wieder ein riesen Unterschied zum Beispiel zu Babis oder zu den Rumänen. Viktor Orbán kommt immer ins Europäische Parlament, wenn Kritik geäußert wird. Er drückt sich nicht vor der Debatte, er stellt sich der Debatte, auch bei uns in der Fraktion. Wir haben gestern wieder zweieinhalb Stunden diskutiert. Die europäische Kommission hat ja mehrere Sachen in der Prüfung. Es laufen im Moment vier EuGH-Verfahren, um zu prüfen, wie ist denn wirklich die Situation in Ungarn. Das heißt, wir sind ja heute schon nicht untätig. Und was mich besonders ärgert: Das Artikel-7-Verfahren ist ja nicht, wie das im Moment in weiten Teilen der Öffentlichkeit dasteht, ein Verfahren, wo jetzt jemand verurteilt wird - ich hatte gestern den Eindruck, im Europäischen Parlament hat die linke Seite, hat die grüne Seite quasi eine Verurteilung von Ungarn dargestellt und von Viktor Orbán dargestellt -, sondern das Artikel-7-Verfahren soll der Beginn einer unabhängigen ergebnisoffenen Prüfung sein. Das ist quasi wie vor Gericht: Es gilt erst mal der Unschuldsbeweis. Es ist ein objektives Verfahren, wo am Ende ein Freispruch oder ein Änderungswunsch oder eine quasi Verurteilung steht. Das ist genau die Situation, wenn Sie sich den Bericht anschauen, den Bericht der zuständigen Berichterstatterin der Grünen, Sargentini, das Dokument, in dem …
    "Artikel-7-Verfahren - eine Chance, um zu prüfen"
    Heuer: Herr Caspary, entschuldigen Sie bitte! Herr Caspary, ich gehe da jetzt mal rein. Wenn die Linke Sie gestern so gestört hat im Parlament und die Grünen auch, warum stimmen Sie dann trotzdem für das Artikel-7-Verfahren? Viktor Orbán und Fidesz, sind das vielleicht doch keine lupenreinen Demokraten?
    Caspary: Ganz im Gegenteil, sondern wir haben doch jetzt die Situation, dass Viktor Orbán Dinge macht, die uns auch stören als Europäische Volkspartei, die uns auf die Nerven gehen. Wir haben die Situation, dass das öffentliche Bild eine Katastrophe ist. Und mit meinen Erläuterungen wollte ich genau darauf heraus: Das Artikel-7-Verfahren oder ein möglicher Beginn eines Artikel-7-Verfahrens ist keine Verurteilung, und genau das war der Versuch der linken Seite im Parlament, sondern ein Artikel-7-Verfahren aus meiner Sicht ist auch die Chance, dass die ungarische Regierung darlegen kann, wie ist die Situation im Land wirklich. Am Ende dieses Artikel-7-Verfahrens kann theoretisch auch stehen, es ist alles gar nicht so schlimm, wie es dargestellt wird, sondern die Lage ist eine andere. Deswegen sehe ich das Artikel-7-Verfahren als Chance, das einfach mal wirklich prüfen zu lassen von der europäischen Kommission, wie ist die Situation wirklich, und dann schauen wir, was am Ende steht. Ich möchte nur, dass dieses Verfahren ergebnisoffen und objektiv geführt wird und nicht im Vorfeld verurteilt wird.
    "Wünsche mit Orban als Partner"
    Heuer: Das heißt, Sie haben sich noch keine abschließende Meinung darüber gebildet, ob Viktor Orbán demokratisch genug ist für die Europäische Union?
    Caspary: Der Punkt ist der, und da mache ich keinen Hehl draus: Wir haben viele Dinge, wo wir Gemeinsamkeiten mit Viktor Orbán haben. Viktor Orbán aus meiner Überzeugung ist demokratisch an Bord und ich wünsche mir ihn als Partner. Aber wir haben auch Sachen, die für uns als europäische Christdemokraten nicht in Ordnung sind. Wie er umgeht mit der Universität und der Frage von Forschungsfreiheit und Freiheit der Lehre, ist für uns nicht in Ordnung. Wir haben Probleme mit der Frage, wie geht er mit den Nichtregierungsorganisationen um. Für mich ist am Ende der Lackmustest aber nicht, was ist da alles an Vorwürfen im Raum, sondern für mich ist die rote Linie am Ende, hält die ungarische Regierung auf Dauer europäisches Recht ein, oder gibt es irgendwo einen Fall, wo die ungarische Regierung letztinstanzliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht einhält. Soweit sind wir heute nicht. Und noch mal: Deswegen wünsche ich mir einen Dialog. Der ist dringend nötig. Wir führen den innerhalb der Europäischen Volkspartei mit Viktor Orbán regelmäßig, wie auch gestern Abend sehr deutlich. Ich mag aber keine Vorverurteilungen, aber ich finde die Idee ganz gut. Das Artikel-7-Verfahren wurde geschaffen damals, als man Österreich ohne irgendein geordnetes Verfahren das Stimmrecht im Rat entzogen hat. Das Artikel-7-Verfahren wurde geschaffen, um zu schauen, dass diese Länder auch eine Möglichkeit zur Verteidigung haben, und deswegen noch mal: Mir geht es um keine Vorverurteilung, aber ich möchte ihm genau diese Chance der Klarstellung geben.
    Heuer: Herr Caspary, der Punkt ist klar geworden. – Ich würde gerne noch mal mit Ihnen über die Fidesz in der EVP reden. Sie haben schon gesagt, Sie sind dagegen, die Partei rauszuschmeißen. Kann es sein, dass es Ihnen einfach darum geht, rechte Wähler in Europa nicht zu verschrecken vor der Europawahl nächstes Jahr?
    Orbán sendet Zeichen der Dialogbereitschaft
    Caspary: Nein, ganz und gar nicht. Dann müssten wir uns ja als Europäische Volkspartei jetzt wirklich absolut schützend vor Fidesz stellen. Genau das tun wir nicht, sondern das ist auch der wesentliche Unterschied bei uns in der Europäischen Volkspartei, und deswegen tun wir uns in der Debatte so schwer, wenn bei uns Dinge schieflaufen. Wir haben ein klares Wertefundament und dann brauchen wir keine Angriffe von außen.
    Heuer: Das teilen Sie aber offenbar nicht mit der Regierungspartei von Ungarn.
    Caspary: Ja, das ist genau die Frage, die wir schon seit Jahren im Dialog innerhalb der Europäischen Volkspartei, auch jetzt in dem wiederaufgelebten Dialog zwischen der ungarischen Fidesz und der deutschen CDU, den wir letzte Woche wieder neu gestartet haben, wirklich auf den Grund gehen wollen. Aber mir ist das Herzensanliegen: Wir sind im Gespräch und wir drücken uns innerhalb der Europäischen Volkspartei nicht. Auch dass Orbán gestern ins Europäische Parlament kam, ist doch ein Zeichen der Dialogbereitschaft. Und mir ist noch mal wichtig, dass wir der Europäischen Kommission die Gelegenheit geben zu prüfen, wie ist die Situation im Land wirklich, dass das ein objektives Verfahren ist. Das ist der große Unterschied zu uns. Wenn eine sozialistische Regierung Unsinn macht, wie zum Beispiel in Rumänien, dann stellen sich die Sozialisten in aller Regel schützend vor diese Regierung. Es findet kein Dialog mit der Regierung im Parlament statt. Wir stellen uns der Debatte und ich wünsche mir, dass wir die Debatte objektiv führen, denn es geht hier nicht darum, Europa zu spalten, Gräben zu vertiefen, sondern es geht darum, dass wir in Europa möglichst alle an Bord auf dem Pfad der Tugend, auf dem Pfad der Demokratie halten und irgendwie den Laden zusammenhalten. Da finde ich einfach das Vorgehen der linken Seite nicht sehr glorreich. Wer die Regierung beschimpft, teilweise das Volk beschimpft, wer hier mit Vorverurteilungen arbeitet und viele Kritikpunkte anspricht, die schon längst ausgeräumt sind, das ist nicht in Ordnung. Viktor Orbán hat in der Vergangenheit ja viele, viele Kritikpunkte auch aufgegriffen. Ungarn hat die Verfassung geändert auf Wunsch der europäischen Kommission. Es wurden viele Gesetze geändert auf Wunsch der europäischen Kommission. Das ist für uns auch als Christdemokraten manchmal das, an dem wir verzweifeln, dass Viktor Orbán immer wieder die Grenzen austestet. Aber wenn wir ihm auf die Finger klopfen, dann hat er bisher immer am Ende europäisches Recht eingehalten, und genau deswegen tun wir uns so schwer, weil es berechtigte Kritikpunkte gibt. Aber weil wir im Dialog sind, haben wir es bisher am Ende immer geschafft, Ungarn und die ungarische Regierung auf dem Pfad der Tugend zu halten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.