Sonntag, 28. April 2024

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Rechtswissenschaftler über die liberale Gesellschaft
Christoph Möllers: "Wir sind sehr viel weiter, als wir jemals waren"

Derzeit gebe es zwar eine Polarisierung des politischen Diskurses in Deutschland, aber kein systemisches Problem, sagte der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers im Dlf. Besorgt sei er eher, wenn Systeme umkippten und die politische Diskussion nicht mehr funktioniere, wie in den USA, Großbritannien, Ungarn oder der Türkei.

Christoph Möllers im Gespräch mit Anja Reinhardt | 27.09.2020
Christoph Möllers imi Porträt
"Die Errungenschaften des Liberalismus bestehen nicht zuletzt darin, staatliche Herrschaft zu formalisieren und besser beobachten zu können", sagte Christoph Möllers im Dlf (imago / photothek)
Es gebe in Deutschland derzeit eine Verschärfung der Auseinandersetzung in der Gesellschaft, sagte Christoph Möllers von der Humboldt-Universität Berlin. "Wir haben zweifelnde Loyalitäten im öffentlichen Dienst bei Polizisten, wir haben irgendwie die AfD, wir haben eine Menge kleiner oder auch mittlerer Probleme, aber ich glaube nicht, dass wir so ein richtiges systemisches Problem haben. Man könnte, wenn man sich nur die Bundesrepublik anguckt, auch sagen, das ist eine Normalisierung. Das ist, wie ein politisches Problem halt ist. Es gibt immer ein paar Leute, die sind radikal und total dagegen", so der Rechtswissenschaftler.
Sorgen mache ihm, dass Systeme umkippen. "Wenn wir sehen, dass die politische Kommunikation nicht mehr so funktioniert, wie wir es in den USA oder Großbritannien beobachten können, gar nicht zu reden von Ländern wie Ungarn, der Türkei oder den Philippinen oder in anderen Ländern in Asien, dann haben wir auf einmal ein Problem, das sich sehr ähnlich sieht in ganz unterschiedlichen Ländern." Da gebe es dann keine unabhängige Justiz mehr, keine fairen Wahlen, Potentaten würden zwar demokratisch gewählt, aber richteten sich in einem System ein, in dem sie nicht mehr abgewählt werden können. Die Diagnosen seien dann relativ einfach zu stellen.
Bunte Geschichte des Liberalismus
Am Begriff Liberalismus interessiere ihn die Frage: "Was verteidigen wir eigentlich, was wollen wir? Nicht so sehr: Wogegen richten wir uns jetzt." Sowohl Gegner als auch Anhänger griffen zu diesem Begriff, um eine Unterscheidung zu ziehen, zwischen einem System, wie dem der Bundesrepublik und autoritären Systemen.
"Ich habe gesehen, wie unglaublich bunt die Geschichte des Liberalismus ist, wie schwer es ihn auf den Begriff zu bringen ist. Sie ist voller Widersprüche. Und dann ist mir mehr und mehr klar geworden, dass es mit der staatlichen Regulierung als Gegenbegriff zum Liberalismus vielleicht gar nicht so gut funktioniert. Sondern ideengeschichtlich und systematisch ist der Liberalismus immer an starken Staaten orientiert gewesen, er braucht eigentlich eine starke politische Herrschaft, um überhaupt erstmal sich selber zu definieren und er ist auch nicht per se dagegen, das ist eher ein neuerer Diskurs, den wir führen mit Blick auf Neoliberalismus. Die zweite Frage ist, ob wir heute sagen könnten: Der Staat reguliert beispiellos mehr als früher. Das weiß ich auch nicht unbedingt. Die Errungenschaften des Liberalismus bestehen nicht zuletzt darin, staatliche Herrschaft zu formalisieren und besser beobachten zu können. Und da würde ich immer noch sagen, sind wir jedenfalls in den westlichen Demokratien immer noch und auch trotz gewisser Rückschläge sehr viel weiter, als wir es jemals waren", sagte Christoph Möllers im Dlf.