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Reform der Lebensversicherungen
"Geschenk an die Lobby"

Der Bund der Versicherten hat die Pläne der Bundesregierung zur Reform der Lebensversicherung scharf kritisiert. Vorstandssprecher Axel Kleinlein sagte im Deutschlandfunk, dies käme nur der Versicherungswirtschaft zugute. Berlin sei "in die Falle der Versicherungslobby getappt" und habe in so manchem Eckpunkt des Reformpapiers "eine Lachnummer" vorgelegt.

Axel Kleinlein im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.03.2014
    Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der Versicherten
    Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der Versicherten (dpa / Karlheinz Schindler)
    Christiane Kaess: Es gibt in Deutschland mehr Lebensversicherungen als Einwohner, und das zeigt schon, wie viele Menschen sich als Modell für ihre Altersvorsorge für diese Variante entschieden haben. Die Politik ist an den Mechanismen der Lebensversicherungen nicht unbeteiligt. So legt zum Beispiel das Bundesfinanzministerium den Garantiezins fest, also das, was an Verzinsung dem Einzahler später mindestens einmal ausgezahlt wird. Seit 2005 wird dieser Garantiezins immer niedriger – eine Folge der Finanzkrise. Den Versicherern machen die niedrigen Zinsen an den Finanzmärkten zu schaffen. Die Politik will jetzt eingreifen und zum Schutz der Kunden vor allem die Unternehmen stärker an die Kandare nehmen. In Berlin will man das so verstanden wissen, dass es um Verbraucherschutz, die Sicherung der Ansprüche der Kunden sowie um zugesagte langfristige Garantien gehe, aber nicht um die Besserstellung der Unternehmen.
    Am Telefon ist jetzt Axel Kleinlein, er ist Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten. Guten Morgen!
    Axel Kleinlein: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Kleinlein, stärken die Vorschläge aus der Politik denn tatsächlich die Position der Verbraucher?
    Kleinlein: Nein! Das ist ein Reformpaket, das so gut wie ausschließlich den Versicherungsunternehmen zugute kommt. Besonders die Streichung der Bewertungsreserven, das ist ein echtes Geschenk an die Versicherungswirtschaft, und hier ist Herr Meister auch in seiner Argumentation schon in die Falle der Versicherungslobby getappt, denn die behaupten gerne, dass es nur um einen kleinen Teil der Kunden geht, die auf Bewertungsreserven verzichten müssen. Tatsächlich sind es wirklich alle Kunden. Jeder, der mit einem klassischen Vertrag, also mit einem Vertrag, der nicht rein fondsgebunden ist, ansparen will, ist betroffen von der Kürzung der Bewertungsreserven, denn jeder Vertrag läuft irgendwann mal aus oder wird gekündigt. Da gibt es heute Bewertungsreserven und die sollen massiv gekürzt werden.
    Sägen an verfassungsrechtlichem Anspruch
    Kaess: Genau, diesen Punkt, Bewertungsreserven, lassen Sie uns den gleich aufgreifen, wenn das auch Ihre schärfste Kritik ist. Es heißt, die Kunden sollen nicht mehr so stark daran beteiligt werden. Was heißt das im einzelnen?
    Kleinlein: Das heißt, dass da, wo früher oder seit 2008 bisher gesagt wird, von den Bewertungsreserven soll der Kunde entsprechend seines Vertrages einen Anteil bekommen und von dem dann die Hälfte - das wird im Moment so praktiziert -, das soll vollständig gestrichen werden für die Bewertungsreserven aus den fest verzinslichen Wertpapieren. Klingt jetzt alles recht kompliziert. Es geht einfach darum, um die Gelder, die die Unternehmen als Gewinne heben könnten, wenn sie alle Papiere an den Finanzmärkten verkaufen würden. Da liegt richtig viel Geld drin, da geht es nicht nur um ein paar hundert Millionen, sondern um echte Milliarden-Beträge. Deswegen sind wir als Bund der Versicherten vor langer, langer Zeit schon vors Gericht gegangen, um diese Werte für die Kunden einzuklagen, und das Verfassungsgericht hat uns Recht gegeben 2005 und hat gesagt, die Kunden müssen hier dran beteiligt werden. Da ist es schon ein starkes Stück, wenn hier an einem verfassungsrechtlichen Anspruch jetzt gesägt werden würde.
    Kaess: Aber, Herr Kleinlein, es heißt, in der allgemeinen Bewertung für einen kleinen Teil der Kunden, von denen die Policen bald fällig werden, kann das geringere Auszahlungen bedeuten, aber der Großteil der Versicherer, für den bleibt mehr. Wie kommen Sie auf andere Zahlen?
    Kleinlein: Das liegt eben daran, dass jeder, der ein Versicherungskunde ist, irgendwann mal seinen Vertrag am Ende hat oder kündigt. Das ist der Zeitpunkt, wo er eigentlich Bewertungsreserven bekommen soll, nach Willen des Verfassungsgerichts, und das soll eben jetzt zu einem starken Teil zusammengestrichen werden. Dieses Märchen davon, dass nur ein kleiner Teil betroffen wäre, das wurde jetzt von der Versicherungswirtschaft in die Welt gesetzt, ist aber einfach faktisch falsch. Jeder Kunde hat einen Anspruch auf Bewertungsreserven.
    Kaess: Und die Kritiker sagen, Ihre Position vertritt gerade mal fünf Prozent der Versicherten, und für die wollen Sie jetzt die Reserven verfrühstücken.
    Kleinlein: Jeder Versicherte hat irgendwann mal seinen Vertrag am Ende und dann will er Schlussüberschüsse sehen, dann will er beteiligt werden, dann will er eben fair beteiligt werden. Und das, was hier jetzt vorbereitet wird, ist, für alle Kunden diese Beteiligung zu streichen. Es ist ein kleiner Teil der Kunden, deren Vertrag in 2014 ausläuft, aber auch die Kunden, deren Verträge in 2015/20, 2030 und so weiter auslaufen, die sind gleichermaßen betroffen von den Streichungen, die jetzt geplant sind.
    Kaess: Dann frage ich mal anders herum: Ist es nicht nötig, dass diese hoch verzinsten Aktien oder Anleihen, um die es da geht, den Versicherungen erhalten bleiben, um auch eben in Zukunft zu garantieren, dass die Versicherungen an ihre Kunden, ich sage mal lohnend auszahlen können? Das wäre ja nur gerecht.
    Kleinlein: Das kommt ganz darauf an, wie das Versicherungsunternehmen seine Kapitalanlage steuert. Es ist ja nicht so, dass diese Anleihen einfach immer fest gehalten werden in den Unternehmen und niemals angerührt oder verkauft werden. Gott sei Dank haben die Unternehmen gute Kapitalanleger, die auch Gewinne heben, wenn es sinnvoll ist, diese Gewinne zu heben. Zum Beispiel die Deutsche Aktuarvereinigung schlägt sogar ausdrücklich vor, derartige Bewertungsreserven zu heben, um die Zinszusatzreserve auszufinanzieren. Also, Kapitalanlage läuft nicht so scherenschnittartig, dass man sagt, man kauft ein Papier, legt es in die Schublade und lässt es einfach dann 20 Jahre lang da liegen. Glücklicherweise sind die Kapitalanleger in den Unternehmen da erheblich professioneller. Diese scherenschnittartige Argumentation aber, die trifft eben überhaupt nicht den Kern der Sache. Es gibt kein Unternehmen, das die Papiere einfach kauft und nur herumliegen lässt.
    "Eine Lachnummer"
    Kaess: Dann schauen wir mal noch auf weitere Punkte in diesem Gesetzespaket. Michael Meister sagt, mehr Geld für die Versicherten, weniger Geld für die Aktionäre. Es soll also die Möglichkeit einer Ausschüttungssperre an die Aktionäre geben. Heißt: Falls ein Versicherer seine Garantiezusagen an die Kunden nicht einhalten kann, soll er auch keine Dividende an seine Anteilseigner auszahlen dürfen. Das ist in Ordnung?
    Kleinlein: Das ist eine Lachnummer, denn wenn das Unternehmen die Garantien nicht mehr bedienen kann, dann ist das Unternehmen in einer derartigen Schieflage, dass es gar nicht mehr weiterarbeiten darf. Also, diese Regelung heißt einfach nur, wenn das Unternehmen sowieso vom Markt gehen muss, weil es zu schwach ist, dann darf nichts mehr an die Aktionäre ausgezahlt werden. Mit Verlaub: Dann ist jeder Aktionär schon längst weg.
    Kaess: Werden die Unternehmen damit auch weniger attraktiv für die Aktionäre?
    Kleinlein: Die Unternehmen sind im Moment hochgradig attraktiv und da muss man auch keine Unterstützungen geben. Aktuell ist es ja so, dass die Unternehmen von ihren Finanzzahlen her sehr gut dastehen. Sie haben keine Probleme, sie haben keine Probleme, auch die Garantiezinsen zu erwirtschaften, die sie bringen müssen. Denjenigen, denen es schlecht geht, das sind die Kunden, die mit diesen niedrigen Überschussbeteiligungen leben müssen.
    Kaess: Und da heißt es jetzt in diesem Gesetzespaket: Die Versicherungskunden sollen künftig stärker an den Überschüssen beteiligt werden. Das klingt doch zumindest gut für die Verbraucher?
    Kleinlein: Das einzige Element, das wirklich positiv ist, ist die Idee, diese Risikoüberschuss-Beteiligung leicht anzuheben. Da sind wir, wie es auch im Beitrag hieß, im dreistelligen Millionenbereich. Aber Sie müssen sich vorstellen, dass in den letzten Jahren allein durch die sogenannte Zinszusatzreserve ein anderer Reservetopf, der neu gebildet wurde, 13,5 Milliarden den Kunden schon wieder weggenommen wurden.
    Kaess: Die Zinszusatzreserve, glaube ich, müssen Sie kurz erklären.
    Kleinlein: Die Zinszusatzreserve ist die Idee gewesen von der Regierung zu sagen, in der Niedrigzinsphase sollen die Unternehmen Geld bei Seite legen für die hoch verzinsten Verträge mit vier Prozent oder dreieinhalb Prozent Garantiezins, damit da auf jeden Fall gewährleistet ist, dass hier die Garantieleistungen auch immer bedient werden können. Diese Ausfinanzierung dieser Zinszusatzreserve erfolgte aber zu Lasten der Gewinne und damit auch zu Lasten der Überschüsse der Kunden. Und das Geld, was da reingesteckt wird in diese Zinszusatzreserve, fließt niemals an die Kunden, sondern wenn die Zinszusatzreserve sich auflöst – das erfolgt regulär ganz normal im Vertragsverlauf –, dann fließt das Geld zum Unternehmen. Das ist nicht in Ordnung und da sind 13,5 Milliarden jetzt schon weggeparkt, die langsam und stetig den Unternehmen wieder zufließen, und da kann ein Ausgleich über die Risikoüberschuss-Beteiligung von ein paar hundert Millionen nichts wirklich dran ändern.
    "Sargnagel für die Altersvorsorge"
    Kaess: Herr Kleinlein, was würden Sie sagen unterm Strich: Sind Lebensversicherungen für Verbraucher noch attraktiv?
    Kleinlein: Einspruch! Das ist eine Suggestivfrage, weil Sie damit unterstellen, sie waren jemals attraktiv. Lebensversicherungen waren noch nie besonders attraktiv. Sie sind aber noch unattraktiver geworden denn je und wenn diese Regelungen durchkommen und wenn die auch so umgesetzt werden, wie von der Regierung geplant, dann ist das ein weiterer Sargnagel für die Altersvorsorge mit Versicherungsprodukten.
    Kaess: Das Argument der Versicherer ist aber immer noch, es lohnt sich doch, weil eben wegen der niedrigen Garantiezinsen dafür auch weniger Geld für die Beitragsgarantien zurückgelegt werden muss. Das heißt, man kann höhere Risiken eingehen und damit mehr Rendite für die Kunden erwirtschaften.
    Kleinlein: Das sind die Ziele, die die Versicherungswirtschaft immer wieder sagt. Tatsächlich sehen wir aber unterm Strich, dass genau das nicht passiert, und die Kunden müssen immer mehr Risiken selber übernehmen. Ein niedrigerer Garantiezins heißt ja mehr Risiko für den Kunden. Tatsächlich kommt aber am Schluss auch nicht mehr hinten raus. Im Gegenteil: Die Versicherungskunden werden mehr und mehr geschröpft und das Projekt Altersvorsorge mit Versicherungsprodukten droht endgültig zu scheitern.
    Kaess: Die Meinung von Axel Kleinlein, er ist Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten. Danke für diese Einschätzungen heute Morgen.
    Kleinlein: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.