Nachfolge von Liz Truss
Wird Rishi Sunak neuer Premier in Großbritannien?

Die britischen Konservativen müssen die Nachfolge von Liz Truss regeln. Boris Johnson nimmt Abstand von einer Rückkehr in die Downing Street. Beste Chancen hat Ex-Finanzminister Rishi Sunak. Er kann mindestens 100 Abgeordnete hinter sich vereinen.

    Zu sehen ist der frühere britische Finanzminister Rishi Sunak.
    Ex-Finanzminister Rishi Sunak ist der aussichtsreichste Kandidat für den Einzug in die Downing Street. (IMAGO/ZUMA Wire / Tayfun Salci)
    Die britische Premierministerin und Vorsitzende der konservativen Tory-Partei, Liz Truss, hat nach nur sechs Wochen im Amt ihren Rücktritt angekündigt. Sie war in den eigenen Reihen stark in die Kritik geraten. Parlamentswahlen stehen regulär erst wieder in zwei Jahren an. Die Tories wollen Neuwahlen vermeiden und planen, die Nachfolge von Liz Truss bis zum 28. Oktober zu klären. So lange bleibt sie noch als "Caretaker" im Amt, also als Chefin einer Übergangsregierung.

    Welche Tory-Politiker kommen für die Nachfolge von Liz Truss infrage?

    Wer Truss nachfolgt, steht vor großen Herausforderungen: Die Partei muss geeint, die Wirtschaftskrise bewältigt werden und es gilt, eine neue Vision für ein Post-Brexit-Großbritannien zu entwickeln. Zwei Namen sind dafür im Gespräch: Rishi Sunak und Penny Mordaunt. Beide waren bereits im Sommer im Rennen, als es um die Nachfolge von Boris Johnson ging, der am 7. Juli zurückgetreten war.

    Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak ist Favorit

    Der frühere Schatzkanzler Rishi Sunak ist der aussichtsreichste Kandidat für den Einzug in die Downing Street. Für ihn haben sich nach Zählung der BBC bereits mehr als 140 Parlamentarier öffentlich ausgesprochen. Notwendig ist die Unterstützung von mindestens 100 Abgeordneten. Boris Johnson holte Sunak 2020 als Finanzminister in sein Kabinett. Wie der Ex-Premier stimmte er beim EU-Referendum für den Brexit. Als großes Vorbild gilt für ihn Margaret Thatcher. Er steht für Markt-Liberalismus, einen schlanken Staat und niedrige Steuern.

    Penny Mordaunt gilt als zu unerfahren

    Penny Mordaunt wurde beim Rennen um die Johson-Nachfolge im Sommer Drittplatzierte. Die Präsidentin des britischen Unterhauses gehört zum rechten Flügel, gilt aber durchaus auch für moderate Konservative als wählbar. Gegen sie spricht, dass sie relativ unerfahren ist. Da Ex-Premier Boris Johnson einer erneuten Kandidatur inzwischen eine Absage erteilt hat, könnten nun theoretisch Abgeordnete aus dem Johnson-Lager zu Mordaunt wechseln und ihr damit deutlich mehr Rückhalt geben.

    Boris Johnsons steht nicht mehr zur Verfügung

    Ex-Premier Boris Johnson hatte zunächst ein Comeback erwogen, sich dann aber überraschend wieder zurückgezogen. Er behauptete, er habe den Rückhalt von 102 Abgeordneten und könne damit eine Bewerbung einreichen. Diese Zahl konnte von britischen Medien nicht verifiziert werden, da sich deutlich weniger Unterstützer öffentlich für Johnson ausgesprochen hatten. Leider sei keine Einigung mit seinen Rivalen Sunak oder Mordaunt zustande gekommen, sagte Johnson. Damit meinte er offenbar, dass die beiden sich hätten zurückziehen sollen.
    Ein Comeback Johnsons hätte das Potenzial gehabt, die tief gespaltene Tory-Partei noch tiefer ins Chaos zu stürzen: Mehrere Abgeordnete hatten für diesen Fall gedroht, Johnson die Gefolgschaft als Premier zu verweigern oder gar die Partei zu verlassen. Der einflussreiche Brexiteer Steve Baker bezeichnete ein Comeback als ein "garantiertes Desaster". Gegen den erst kürzlich geschassten Premierminister Boris Johnson wird im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsaussschuss noch ermittelt, ob er im Zuge von "Partygate" die Abgeordneten angelogen hat.

    Wie regeln die Tories die Nachfolge? Mit dem selben Verfahren wie bei Boris Johnson?

    Die Tories hatten nach dem Rücktritt von Boris Johnson am 7. Juli gerade erst ein Nachfolgeverfahren hinter sich. Erst gibt es mehrere Abstimmungen in der Tory-Fraktion im Unterhaus, bis zwei Kandidatinnen oder Kandidaten übrigbleiben. Diese beiden stellen sich dann einer Urwahl, das heißt einem Mitgliederentscheid. Das Urwahlverfahren ist aber extrem zeitaufwendig – mit acht oder mehr „Hustings“ (Wahlkampfduellen) vor der Parteibasis, die normalerweise wochenlang Zeit bekommt, sich ihre Meinung zu bilden. Als es um die Nachfolge von Boris Johnson ging, zog sich das Verfahren von der Bekanntgabe der Kandidaten am 12. Juli bis zur Bekanntgabe der Siegerin Liz Truss am 5. September. Rishi Sunak hatte damals das Rennen in der Fraktion gegen Liz Truss gewonnen. Die Mitglieder setzten ihn dann aber nur auf Platz zwei.
    Diesmal soll es schneller gehen. Mittels Eilverfahren soll innerhalb einer Woche, am 28. Oktober, feststehen, wer Liz Truss als Parteichefin - und damit dann auch als Premier - nachfolgt. Jeder Kandidat oder jede Kandidatin braucht zunächst mindestens 100 Stimmen von Tory-Abgeordneten, um weiterzukommen. Die Parteibasis soll dann online abstimmen.

    Wird sich nach Truss an der Politik etwas ändern?

    Liz Truss hat für eine Entscheidung Applaus bekommen: Dass sie Jeremy Hunt als Schatzkanzler eingesetzt hat. Hunt gilt als „safe pair of hands“ und sorgt dafür, dass in der Haushalts- und Steuerpolitik Maß und Mitte einziehen. Die Finanzmärkte, die wegen Truss‘ Steuerpolitik in Aufruhr waren, haben sich deswegen wieder beruhigt.
    Aber die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind gewaltig: hohe Inflation und Energiepreise, Exportprobleme wegen des Brexits, mangelnde Produktivität der britischen Wirtschaft. Boris Johnson hatte wirtschaftlich durchaus einen eher „linken“ Kurs verfochten und dem Norden und der Mitte Englands Milliarden über Milliarden Pfund versprochen. Damit hatte er die Wahlen in eigentlich „roten“ Wahlkreisen gewonnen.
    Viele Tories wollen aber wieder eine konservative Wirtschaftspolitik: Austerität, Steuern senken (wenn möglich), Sozialausgaben deckeln. Damit würde das britische Parteiensystem vielleicht wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Unterschiede zwischen Labour und Konservativen würden wieder klar sichtbar. Da aber die Gewerkschaften im Moment in höchster Streiklaune und die Probleme so gewaltig sind, steuert das Land auf eher noch schwerere Zeiten zu.

    Könnte es auch Neuwahlen geben?

    Die Opposition hat bereits Neuwahlen gefordert, doch einen Automatismus gibt es dafür nicht. Für die Konservativen sind Neuwahlen auch keine Option: Umfragen bescheinigen ihnen eine historische Niederlage, wenn jetzt gewählt würde. Die Fraktion würde demnach von fast 360 Abgeordneten auf unter 200 schrumpfen. Das wollen die Abgeordneten natürlich nicht, viele fürchten das Aus für sich selbst. Die Verzweiflung über den Zustand der eigenen Partei ist nichtsdestotrotz riesengroß.
    Im Moment ist Labour haushoher Favorit für die nächste Parlamentswahl in zwei Jahren. Die Konservativen haben erkennbar abgewirtschaftet. Labour-Chef Keir Starmer hat seinen Vorgänger Jeremy Corbyn vom Linksaußen-Flügel kaltgestellt. Die Partei ist wieder so pragmatisch wie unter Tony Blair - nur dass Keir Starmer kein Tony Blair ist.
    Keir Starmer, Vorsitzender der Labour-Partei in Großbritannien, in einem Zug
    Anwalt Keir Starmer ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour-Partei in Großbritannien (picture alliance/ empics/ Stefan Rousseau)
    Starmer war Staatsanwalt und tritt auch ein wenig so auf – in der Pose des Anklägers, gut vorbereitet vor jedem Auftritt im Unterhaus. Aber er ist etwas farblos und verfügt über wenig Charisma. Kritiker bemängeln auch, dass er zwar die Konservativen mit Biss attackiert, aber selbst keine Ideen hat, wie er das Land aus der politischen und wirtschaftlichen Krise herausführen will.
    Quelle: dpa, Friedbert Meurer, Nina Voigt, Christine Heuer, Imke Köhler, Ulrike Westhoff